Editorial / Vom nicht endenden sozialen und emanzipatorischen Kampf
Ein weitgehend unblutig verlaufener Militärputsch der linken „Bewegung der Streitkräfte“ (MFA) hat in Portugal vor 50 Jahren den „Estado Novo“, die älteste faschistische Diktatur Europas, beendet. Die Nelkenrevolution hat das Land nachhaltig verändert. Eine „unmögliche Revolution?“, fragt der Publizist und Zeitzeuge Phil Mailer in seinem gleichnamigen Buch. Der junge Ire arbeitete damals als Lehrer in Lissabon – und blieb dort. Es war ein Moment der Utopie, in dem alles möglich schien. Es gab Fabrik- und Landbesetzungen und ging um die Selbstverwaltung der Betriebe durch die Arbeiter. Die „unvollendete Revolution“, wie manche sagen, währte nur kurz, doch der Weg zu einer stabilen Demokratie und mit ihr auch zur Integration Portugals in die Europäische Gemeinschaft, die spätere Europäische Union, war geebnet. Allerdings liegt über dem Gedenken von heute und über dem romantisch verklärten Bild von der antifaschistischen Revolution der Schatten des jüngsten Rechtsrucks und des Aufstiegs der rechtspopulistischen und rechtsextremen Partei Chega. Ihr Erfolg bei den Wahlen ist ein politischer Rückschritt. Dabei ging es einst um Freiheit und Gerechtigkeit. Die Erinnerung an die Errungenschaften der MFA bleibt vor allem unter jenen Portugiesen lebendig, die noch heute mit Nelken der Revolution gedenken.
Vor 30 Jahren rebellierte in Chiapas im Süden Mexikos das Zapatistische Befreiungsheer (EZLN) gegen Neoliberalismus und Unterdrückung, als mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (Nafta) gerade ein kaum noch regularisierter Markt umgesetzt wurde. Vermummte indigene Guerilleros kamen aus ihren Verstecken im lakandonischen Urwald und trafen mit ihrem Utopismus einen Nerv der Zeit, in der nach dem vermeintlichen Scheitern linker Utopien eine Leerstelle entstanden war und in welcher der ungezügelte Kapitalismus angeblich am „Ende der Geschichte“ stand. Tausende Linke aus der ganzen Welt pilgerten 1996 zum Ersten Interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den Wirtschaftsliberalismus (Neoliberalismus). Der maskierte Subcomandante Marcos war der neue Che Guevara für den „Sozialismus des 21. Jahrhundert“ und für viele Globalisierungskritiker weltweit. In der Folge entstanden Attac und Occupy. Manu Chao spielte dazu auf. Eine andere Welt schien möglich. Doch „der kommende Aufstand“ blieb aus. Und in Chiapas leiden die Menschen heute unter der Gewalt der Drogenkartelle.
Während es in den Entwicklungs- und Schwellenländern erst mal darum ging, soziale Gerechtigkeit zu erringen – etwa in sich anbahnenden wirtschaftlichen Supermächten wie Brasilien, wo es dem aus der Gewerkschaftsbewegung stammenden Präsidenten „Lula“ da Silva gelang, Millionen Menschen aus der Armut zu holen, ging es in vielen westlichen Ländern vor allem darum, die bisherigen Errungenschaften – wie in Luxemburg etwa Index, Mindestlohn und Einheitsstatut – zu verteidigen und den Kampf beständig fortzuführen sowie bisher benachteiligte gesellschaftliche Schichten zu emanzipieren. Dies verlief zwar mehr unspektakulär als revolutionär und auch ohne Nelken im Gewehrlauf und ohne maskierte Revolutionäre, die Pfeife rauchten, sondern etwa in langen, zähen (Kollektivvertrags-)Verhandlungen mit Patronat und Regierung, bisweilen unter der Anwendung von Streiks- und Demonstrationsrecht, manchmal mit spektakulären Durchbrüchen und nicht selten in einem Schneckentempo, aber mit Erfolg. Die mexikanischen Zapatisten würden dies wohl „die Strategie der Schnecke“ (auf Spanisch: caracol) nennen: langsam, aber vorankommend.
Doch auf internationaler Ebene wie auch hierzulande können die Gewerkschaften ein Lied davon singen, dass sich der Wind mittlerweile gedreht hat: Er weht derzeit von kapitalistischer bzw. neoliberaler Seite sowie von rechts bzw. autoritärer Seite in einer von Kriegen und handelspolitischen Konflikten geprägten Zeit. Umso mehr gilt es daher, sowohl im Sinne von Portugals „unvollendeter Revolution“ als auch der Zapatisten, für die „Unterdrückten der Erde“ (Frantz Fanon), die unzähligen Benachteiligten und prekär Beschäftigten weltweit zu kämpfen – ganz nach dem Motto „la lutta continua“. Nicht nur an einem symbolischen Tag wie dem 1. Mai gehört daran erinnert.
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