Wahlen 2023 / Vom Rundtischgespräch zur Realsatire: Rückblick auf die Tables Rondes des Tageblatt
Wenn die Grünen sich bei der ADR bedanken, bereits Bestehendes noch gefordert wird und nach dem Abend der Minibus einer gründlichen Reinigung unterzogen werden muss, kann das nur eines bedeuten: Die Tageblatt-Table-Ronde war zu Gast.
LSAP-DP- „déi gréng“ schmusen im Norden, während in einer hypothetischen CSV-DP-Koalition zumindest Meisch und Mischo keine Freunde mehr werden. Bausch überzeugt trotz angekündigtem Rückzug als Minister und in Esch schält sich ein Linker in der Mitte der Bühne als Publikums- und überraschenderweise auch als Kandidatenliebling der Rechten heraus. Die Tageblatt-Rundtischgespräche in Oberanven, Ellingen, Esch und Diekirch haben die besten und schlimmsten Facetten der Politiker zutage gebracht. Eine humoristische Annäherung an die vier Abende auf der Tageblatt-Bühne.
Aller Anfang ist schwer – ein Sprichwort, das sich jemand ausgedacht hatte, der zumindest nicht bei der ersten Tageblatt-Table-Ronde im Zentrum dabei war. Es dauerte keine zehn Minuten, bis der ADR-Entsandte Tom Weidig François Bausch an den Kopf warf, dass, „wenn Minister Bausch von Technologie spricht, ist das, als ob der Papst von Sex redet“. Aus der Fassung bringen ließ sich der Grünen-Minister jedoch nicht. „Man muss Humor haben, sonst sind solche Abende ja nicht zu überstehen.“
Fokussierter Klassenkampf
In Diskussionen über Mobilität, Gesundheit und natürlich den Wohnungsbau warfen sich die Kandidaten die auswendig gelernten Parteiprogramme an den Kopf. Lediglich Frank Engel versuchte sich zwischendurch als Moderator. „De Klassekampf op der Gauche schéngt flott ze sinn“, meinte er trocken, als sich David Wagner und François Bausch über die Geschichte der Kollektivverträge im vergangenen Jahrhundert stritten.
Weniger wortgewandt war da Claude Lamberty (DP), der auf eine Ja-oder-Nein-Frage sein Antwortschild „in die Mitte hielt“. Da konnte Franz Fayot (LSAP) schon eher mit seinen Englischkenntnissen punkten. Fayot war, wie er selbst rund 16-mal betonte, frisch aus New York mit neuen Sprichwörtern im Gepäck eingetroffen: „Et gëtt keng Silver Bullet am Logement.“ Eine ganz ähnliche Gehirnakrobatik wurde den Zuschauern bei den Ausführungen der Piratin Josiane Engel abverlangt, die im Gesundheitssektor eine Liberalisierung ohne Privatinvestoren forderte. Verständlicher – wenn auch faktisch falsch – war ihre Abgrenzung zur ADR. „Wir würden nie mit der ADR in ein Boot steigen, das ist nicht neu“, bekundete Josiane Engel. Ein Faktencheck zeigt auf: Doch, würden sie, und haben sie. Das Boot hieß „LUSS Groupement technique“ und befuhr von November 2018 bis Dezember 2019 die rechten Fahrgewässer Luxemburgs.
Verkehrte Welt
„Wir sind weniger verrückt, als die Leute denken“, meinte jedenfalls David Wagner, nur um das Ganze anschließend zu relativieren. „Obwohl …“ – ob der Linken-Politiker damit seine Parteigenossen und ihre Idee der 32-Stunden-Woche meinte oder die gesamte Rasselbande auf der Bühne, soll der Interpretation der Zuschauer überlassen werden. Dass dies nicht so einfach war, bezeugt unter anderem der Umstand, dass sich ein Grüner bei der ADR bedankte. So geschehen, als Tom Weidig meinte, er würde niemals grün wählen. „Yes, merci“, freute sich der Verteidigungsminister der Grünen, François Bausch.
Weniger Grund zur Freude hatte in dem Sinne Marc Baum, der von seinem ADR-Pendant im Süden, Fred Keup, heiß umworben wurde. „Ich würde Marc Baum wählen“, beantwortete der ADR-Spitzenkandidat zuckersüß die Frage, welchen nationalen Spitzenkandidaten er wählen würde, wenn nicht den der eigenen Partei. Insgesamt hatte Marc Baum an dem Abend Hochkonjunktur, wurde er doch auch von Luc Majerus (Fokus) zum künftigen Premier designiert. Taina Bofferding würde Sam Tanson wählen, woraufhin Meris Sehovic den Gefallen galant erwiderte und Paulette Lenert sein hypothetisches Kreuzchen gab. Während Chris Bernard von den Piraten Gilles Roth kurzerhand zum nationalen Spitzenkandidaten der CSV ernannte, setzte Mischo auf eine „valeur sûre“ und somit den DP-Mann Xavier Bettel. „Da weiß man, was man kriegt.“ DP-Minister Claude Meisch wieselte sich aus der Frage heraus – hatte aber vorher am Abend genügend Punkte beim Publikum gesammelt, um sich das leisten zu können.
Mischo-Bredouille
Wie kam das zustande? Eschs Bürgermeister Georges Mischo (CSV) leistete sich während der Diskussionsrunde einen Lapsus der besonders peinlichen Art. Nach anderthalb Jahren Energiekrise, drei Tripartite-Runden und unzähligen Inflationsmeldungen des Statec meinte der Escher CSV-Politiker, man solle doch endlich den sozialen Mindestlohn an die Inflation koppeln. Nachdem sich Taina Bofferding, Claude Meisch und Meris Sehovic erst mal verdutzt anschauten, ergriff der DP-Bildungsminister Claude Meisch als Erster die Gelegenheit beim Schopfe, um dem Escher Bürgermeister eine Lektion zu erteilen. „Der Mindestlohn ist noch immer an die Inflation angepasst worden“, erwiderte Meisch prompt, während Applaus im Saal aufbrandete. „Här Mischo, ech weess net, wou Dir lieft. De Mindestloun ass nach ëmmer un d’Inflatioun ugepasst ginn, an do besteet e groussen nationale Konsens driwwer.“ Hätte die Debatte auf X (ehemals Twitter) stattgefunden, hätte Meisch seine Ausführungen wohl mit #Index und #burn beendet.
Und Mischo seinen vorherigen Tweet wohl schnell gelöscht. Aus Sicht des Escher CSV-Politikers wäre es wohl an der Zeit gewesen, den geordneten Rückzug anzutreten. Mischo, dem es dämmerte, dass er die sich zurechtgerückten Schlagwörter Inflation und Mindestlohn nicht unbedingt richtig miteinander verknüpfte, legte hingegen noch einmal nach. Anstelle eines „Sorry, ich habe kurz den Faden verloren“, platzierte Mischo ein „Aber Herr Meisch, warum regen Sie sich so auf?“ Weil Sie etwas fordern, das seit Jahrzehnten Realität ist, antwortete der DP-Politiker, der sein Glück wohl kaum fassen konnte, dass er den Hausherren ohne große Mühe aus der politischen Arena fegen konnte.
Doch damit nicht genug, wollte Mischo dann die Teuerungszulage („allocation de vie chère“) indexiert haben, weil das „ja nicht überall so sei“. Innenministerin Taina Bofferding vergaß ob der Aussage das Mikrofon, als sie Mischo antwortete: „Doch, das ist Gesetz.“ Insgesamt hatte Georges Mischo nicht den besten Abend erwischt. Als es um die verschiedenen Kulturpläne ging, verteidigte er vehement den Kulturplan der Stadt Esch – während Marc Baum den nationalen Kulturplan kritisierte. „Wir sind schließlich hier für die Nationalwahlen“, merkte Baum leicht spöttisch an.
CSV-Camionnette
In dem Moment hätte sich Mischo wohl am liebsten Unterstützung gewünscht, wie Léon Gloden sie im Osten von seinen Parteikollegen bekommen hat. „Mär sinn alleguer mat der Camionnette heihikomm“, meinte Gloden über die CSV-Sektion im Osten. Was er allerdings mit seinen nachfolgenden Worten meinte, will wohl keiner so genau wissen. „Déi muss just ee botzen, well se gesäit dono aus wéi Sau.“ Was auch immer die CSV-Kandidaten vorhatten, erst mal war diskutieren angesagt.
Oder jonglieren. Als zum Einstieg in den Themenblock Arbeitswelt die Kandidaten gefragt wurden „Wollen Sie, dass Menschen zukünftig weniger arbeiten müssen?“, entdeckten einige Kandidaten ihre innere Berufung zum Zirkusclown und versuchten sich im Jonglieren eines einzelnen Antwortblattes. Die Bühne war somit vorbereitet für Laurent Fisch („déi Lénk“) und seine Forderung nach einer 32-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich, die in lautem Gelächter des Publikums endete.
„Ich bin überrascht, wie kleinkariert wir hier denken“, meinte Jacques Linster (Fokus) zur Debatte beitragen zu müssen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs wurde aus „kleinkariert“ dann schlichtweg bizarr. Alexandra Schoos (ADR) war geneigt, ihm zuzustimmen: „Ich bin Veterinärmedizinerin, und bei uns denkt nie jemand.“ Ob Bildung, Gesundheit oder Mobilität – auch Ben Streff (LSAP) wusste nicht mehr so ganz, wie er seine Gedanken aneinanderreihen sollte. „Et war en Nee, … well et geet, an d’Erausfuerderunge sinn enorm.“
Eines der Themenblöcke im Osten war neben den üblichen Verdächtigen die Bildung. Und das war auch dringend nötig, wie die Aussagen der Table-Ronde-Teilnehmer bezeugen. Während Léon Gloden über einen 24-Stunden-Arbeitstag fürs Schulpersonal philosophierte – „och fir d’Schoulpersonal huet d’Schaffzäit just 24 Stonnen den Dag“ –, bemängelte die Piraten-Kandidatin Sonja Barthel, ihres Zeichens ebenfalls Lehrerin, dass es an Unterstützung im Sektor mangele. Der Grund für die mangelnde Unterstützung war ebenfalls schnell ausgemacht: „Wir wurden nicht unterstützt, weil keine Unterstützung da war.“ Bei dieser detaillierten Bestandsanalyse kann eine nächste Regierung dann auch gleich loslegen. Und sollte dann auch das Bildungs-„Einmaleins“ nicht vergessen. Denn wie auch Jacques Linster, der wohl noch mit Lineal und Schlagstock erzogen wurde, weiß: „Ein normales Kind ist eine Person, die im sechsten Schuljahr das Einmaleins beherrscht.“ Seine eigenen Rechenkünste wollte Linster jedoch nicht unter Beweis stellen. So bemängelte er, dass die Grünen-Abgeordnete Chantal Gary in Prozentzahlen diskutiere und nicht in absoluten Zahlen. „Rechent et aus“, so die Retourkutsche der Grünen-Kandidatin.
Wo CSV und Grüne sich gute Nacht sagen
Dort, wo CSV und Grüne sich gute Nacht sagen, fanden auch die Rundtischgespräche ihren Abschluss – im für Tageblatt-Journalisten tiefsten Norden Luxemburgs, in der Diekircher „Al Seeërei“. Im Nordbezirk war dann auch die Mobilität das heiße Thema des Abends. „Die Strecke nach Luxemburg-Stadt ist machbar, für Wahlveranstaltungen brauche ich jedoch das Auto“, wusste der CSV-Europaparlamentarier Christophe Hansen um die Sorgen des gemeinen Bürgers. Während Laurent Gallinaro von der ADR den Zug als Transportmöglichkeit ausloten wollte – „den Zuch misst eng Étude kréien“ –, hatte Mireille Folschette („déi Lénk“) ihr Urteil über den Norden schon gefällt: „Mit dem öffentlichen Transport brauche ich dazwischen zwei Hotelzimmer.“
Claude Turmes von „déi gréng“ war es, der sich als Don Quijote des Nordens genötigt sah, bereits vor den Wahlen den Aufstand in einer kommenden Regierung zu proben: „Mir brauchen eng Lobby vun den Nordminister“, betonte Turmes nicht ein-, sondern gleich zweimal. Das, um Druck beim kommenden Finanzminister zu machen, damit dieser die nötigen Gelder lockermacht für Infrastrukturinvestitionen. Gut, dass Turmes bereits weiß, dass der Posten im Finanzministerium keinem Nordpolitiker zugetraut wird. Das war übrigens einer der beiden Sätze, in denen Claude Turmes nicht seinen Parteikollegen François Bausch erwähnte.
Koalitionsgeflüster
Zumindest mit Christophe Hansen hatte Turmes einen engen Verbündeten. „Meeschtens si mir jo d’accord“, versuchte sich der CSV-Politiker im Schmusekurs mit den Grünen. Insgesamt hatten sich die politischen Schwergewichte der Runde Marc Hansen, Claude Turmes und Christophe Hansen wohl auf einen Nichtangriffspakt vor Beginn der Runde geeinigt. Marc Hansen meinte sogar, dass er so wählen würde, dass die jetzige Koalition gestärkt werden würde – die einzige klare Aussage für den Fortbestand der Dreierkoalition im diesjährigen Wahlkampf. Die rhetorischen Spitzen hielten sich demnach in Grenzen – auch weil sonst keiner der Kandidaten auf der Bühne diese Harmonie zu stören vermochte. Nur einmal wagte es Marc Hansen in puncto Digitalisierung Claude Turmes zu widersprechen. „Der Informatiker muss jedoch nicht auf der Datenautobahn sitzen, weil die liegt tief unter der Erde“, meinte Hansen, als es um die strategischen Standpunkte für Shared-Office-Spaces ging.
Bei der Analyse zum Gesundheitssystem begrenzten sich die CSV- und Grünen-Vertreter auf das Austauschen familiärer Anekdoten. „Claude Turmes hat von seiner Mutter geredet, dann kann ich auch von meiner reden“, meinte Christophe Hansen. Drohte doch noch ein Streit zwischen den beiden Fahrgemeinschaftsbuddies Hansen und Turmes? Dazu sollte es nicht mehr kommen, neigte sich die Diskussionsrunde doch dem Ende zu. Bei der abschließenden Frage, wer denn nun eine Partei oder einen Kandidaten fremdwählen wolle, schlüpfte die Fokus-Kandidatin Anne Winter kurzerhand in die Moderatorenrolle und erklärte die Diskussionsrunde für beendet.
Und was bleibt von den Tageblatt-Rundtischgesprächen? Am besten resümierte das vielleicht der DP-Spitzenkandidat im Norden: „Eine Zusatzinformation, die aber nicht wichtig ist.“ Dem Wähler bleibt noch knapp eine Woche Zeit, um sich zu entscheiden. Und wenn auch nach den Rundtischgesprächen immer noch nicht klar ist, wer am 8. Oktober die Nase vorn hat, gab es zum Trost zumindest einen „Patt“.
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War er nicht am gleichen Abend bei seinem Sender auf Kirchberg? Mir dünkt es gibt mehrere Bausch‘s.
Bausch der Vater, Bausch der Sohn , Bausch der Heilige Geist. A Bausch every Day Leos the Doctor away. Manchen wird er fehlen.
LOBBY!!!! Endlech get dat Wuert vun engem Minister, virun allem engem Grengen, an de Mond geholl. Dei ganz Gambia besteht nemmen aus Lobbyisten an Opportunisten, dei sech den Kuch deelen an nemmen e puer Grimmelen fir d’Vollek loossen. Fort mat hinnen.
PLOP: Dir héiert Iech och gär schwetzen. Ouni Kapp an Iwwerleeung!
FERN
et ass awer esou.
Mais Dir wielt secher die Greng. Oder vleicht sidd Dir och ee vun den Lobbyisten.
Egal. Ech soen wat ech well. Esou laang et nach geht.