Kritik / Vom Stolperstein Sprache und außerirdischen Herrschern: „Idiomatic“ im Escher Theater
Sprache kann Menschen zusammenbringen oder sie voneinander entfernen. Wie reagiert man auf die eigene Unsicherheit, wenn man sich in einer Sprache ausdrücken muss, die man nicht vollends beherrscht? Und wie verhält sich der Gesprächspartner dazu? „Idiomatic“ führt auf scherzhafte Weise vor, wie schwierig es ist, eine gemeinsame Basis zu finden, wenn Sprachbarrieren die Kommunikation erschweren.
Sprachen sind Brücken und Mauern zugleich. Diese Erfahrung hat wohl schon fast jeder persönlich gemacht, in Luxemburg wohl noch öfter als anderswo. Eine bestimmte Sprache zu beherrschen – gut zu beherrschen – kann Türen öffnen, den sozialen Status erhöhen, (eine neue) Zugehörigkeit markieren und den gesamten Lebensweg beeinflussen. Einer Sprache nicht mächtig zu sein, bedeutet im Umkehrschluss Ausgrenzung und Nicht-Teilhabe an der Gesellschaft – wobei sich Sprachen, die an einem Ort gesprochen werden, meist in ihrer Funktion, ihrer Wichtigkeit und ihrem Prestige unterscheiden. Es ist also, leider, nicht immer gleich schlimm, eine Sprache nicht zu sprechen. Der sozialen Rangordnung entsprechend erscheinen verschiedene Idiome mehr und andere weniger vernachlässigbar. Das schafft natürlich eine Unzahl von Problemen – und erhält den gesellschaftlichen Status quo. Wie geht man nun mit der linguistischen Unsicherheit, die mit dem Sprechen einer fremden Sprache einhergeht, um? Was bringt sie mit sich an Verwirrung und Distanz, wie leistet sie Missverständnissen Vorschub und inwiefern spielen dabei stereotype Vorstellungen von Nationalitäten eine Rolle?
„Idiomatic“ versucht, ein Schlaglicht auf diese Fragen zu werfen – und zwar auf sehr amüsante, clevere und leichtfüßige Art und Weise. Als Produktion des Brüsseler Theaterkollektivs „Transquinquennal“ ist das Stück etwas Besonderes: Es ist inhaltlich äußerst biegsam, kann auf den jeweiligen Aufführungsort zugeschnitten werden und verfügt über ein auswechselbares Schauspielteam. Das, was auf der Bühne passiert, lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Fingiert wird ein Panel mit dem Thema „Territorien und Sprachunsicherheit“. Die „Experten“ und Teilnehmer der Diskussionsrunde spielen unter ihrem richtigen Namen. Bei den Vorstellungen im Escher Theater am Wochenende waren mit dabei: „Transquinquennal“-Mitglied und Regisseur Miguel Decleire, der slowenische Schauspieler Andrej Zalesjak und, hier in Luxemburg bekannt, Rita Reis, Sophie Langevin und Renelde Pierlot. Der in Belgien wohnende Declaire moderierte das Gespräch, Zalesjak spielte einen promovierten Dozenten an der Universität Nova Gorica, Reis trat als Vertreterin der „Association Amitié Luxembourg – Portugal“ auf, Renelde Pierlot schlüpfte in die Rolle einer Lehrerin am Escher Lyzeum und Sophie Langevin wurde als Coachin, die Firmen und Privatpersonen berät, vorgestellt.
Wer möchte hier einen Joint rauchen?
Mit dieser durchmischten Gruppe trafen eine Reihe von Nationalitäten und Sprachen aufeinander: Zalesjak sprach während seines Vortrags auf Slowenisch und tauschte sich mit Declaire auf Italienisch aus, Reis wechselte zwischen Französisch und Portugiesisch, und die restlichen Mitglieder sprachen fast ausschließlich Französisch, wobei Pierlot, deren reelle Muttersprache Französisch und Luxemburgisch ist, eine schlechtere Sprachkompetenz im Französischen mimte. Das klingt alles ein wenig kompliziert, nicht? Das war es auch, denn die Sprechenden hatten Schwierigkeiten, sich untereinander zu verstehen und dem Gespräch konstant zu folgen. Zalesjak wollte Langevin ansprechen, bekam den Namen zunächst nicht richtig über die Lippen. Reis wies ihn dann darauf hin, dass der Name nicht wie „le joint“ ausgesprochen, sondern anders betont werden würde. In den automatisch generierten Untertiteln zu Zalesjaks Vortrag schlichen sich dann neben zahlreichen Kommafehlern auch Schnitzer wie „ich möchte mir einverleiben“ als falsches Äquivalent zu „ich möchte noch hinzufügen“ ein.
Dieser sprachliche Pallawatsch sorgte für witzige und kuriose Momente, über die das Publikum herzlich lachen konnte. Die scheinbar spürbare Verlegenheit und das verdutzte Schweigen der überaus versierten Schauspieler, das holprige Hin und Her zwischen den Gesprächsbeiträgen und der chaotische Verlauf des Panels ließen „Idiomatic“ sehr lebensecht und herrlich amüsant wirken – dass Langevin nicht persönlich mit auf der Bühne stand, sondern per Videocall zugeschaltet war, entpuppte sich dabei als i-Tüpfelchen. Denn während die anderen Redner ins Gespräch versunken waren, gönnte sich Langevin mitunter einen Snack mit einem Glas Rotwein und streichelte ihre Katze, die über den Tisch lief. Langevins bewusst aufgesetzter „Telekonferenz“-Gesichtsausdruck (halbgeöffneter Mund und gekräuselte Stirn) vervollständigte ihre wunderbare Performance als nette, vielleicht etwas schrullige und ultra-pädagogische Coachin.
Völlig losgelöst von der Erde …
Das wohl Beeindruckendste an „Idiomatic“ war wohl aber, dass die unglaubliche inhaltliche Dichte so locker und lebendig aufbereitet wurde, dass das im Stück eingebettete Wissen über Sprachgemeinschaften und linguistische Phänomene, wie zum Beispiel die Hyperkorrektur, die Zuschauer deutlicher erreichte als es blutarme Linguistik-Vorlesungen in Bezug auf Studierende tun. Mutig war die Entscheidung von „Transquinquennal“, einen ganzen Vortrag über die Sprachhierarchie im slowenisch-italienischen Grenzraum in das Stück zu packen (köstlich war übrigens der anfänglich vorgespielte Kurzfilm, in dem die Zwillingsstädte Gorizia und Nova Gorica mithilfe von prächtigen Landschaft-Shots und (hier übersetzten) Sprüchen wie „Der Mond kennt keine Grenzen“ vorgestellt werden). Der Auftritt Zalesjaks war durchweg gelungen und trug viel zur theoretischen Fundierung von „Idiomatic“ bei.
Gleiches gilt für die Beiträge, die Reis und Pierlot zum Panel beisteuerten. So sprach Reis über Gate-Keeping und die soziale Ungerechtigkeit in Luxemburg, die sich in der (sprachlichen) Benachteiligung der portugiesischen bzw. lusophonen Bevölkerung ausdrückt. Diese würde am seltensten Anzeige wegen Mobbing erstatten, obwohl gerade sie damit zu kämpfen hätte. Auch sei der schulische Sprachunterricht nicht mehr angepasst an die heutige Situation, in der weniger Kinder Luxemburgisch oder Deutsch zu Hause sprechen würden und der Anteil an lusophonen oder frankophonen Schülern gestiegen sei. Pierlot sprach ihrerseits davon, dass sie früher „sehr gehemmt“ gewesen sei wegen ihrer Sorge, sich in den jeweiligen Sprachen nicht gut genug ausdrücken zu können – ein Gefühl, das wohl vielen Luxemburgern bekannt sein dürfte. Ihr sehr lustiger wie ungelenker Exkurs über die nationale Geschichte gipfelte in der Vorstellung des Großherzogtums als „Mischwesen“.
Mit dem Einspielen eines sehr abstrusen Clips des Luxemburger Ex-Premiers Jean-Claude Juncker, der – und das ist kein Scherz, das Video findet man auf YouTube – vor einigen Jahren im EU-Parlament davon sprach, dass die „Leader anderer Planeten“ sehr beunruhigt seien und sich Fragen über die Richtung, die die EU einschlägt, stellen würden, gelangte die Vorstellung an ein Ende. Dass die babylonische Sprachverwirrung nach Luxemburger Art unter Umständen kosmische Ausmaße annehmen kann, dürfte „Idiomatic“ jedenfalls auf sympathischste Art gezeigt haben.
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