Naturschutz / Von der „Klimakillerin“ zur „Klimaretterin“ – Autor Florian Schwinn fordert mehr als die „Kuhwende“
Zur Landwirtschaft kommt Florian Schwinn (70) über den kleinen Bauernhof seines Patenonkels. Er hilft mit, die zwölf Kühe, ein paar Schweine und Hühner zu versorgen. „Bullerbü-Idylle“ nennt er es rückblickend. In der Umweltredaktion des Hessischen Rundfunks (HR) stößt er später auf Ungereimtheiten in der Landwirtschaft. Mit seinem neuen Buch will er die „Kuhwende“ einläuten.
Tageblatt: In Ihrem neuen Buch versuchen Sie, die Ehre der Kuh zu retten. Warum tut man ihr so unrecht?
Florian Schwinn: Das habe ich mich auch gefragt und angefangen zu recherchieren. Wer ist eigentlich dafür verantwortlich, dass, wenn das Wort Methan fällt, alle an die Kuh denken? Der zweite Ansatz: Wer will uns eigentlich weismachen, dass für die Produktion von einem Kilo Rindfleisch 15.000 Liter Wasser gebraucht werden?
Wer will uns das denn weismachen?
Beim Thema Methan war es eine Studie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die diese Zahlen in die Welt gesetzt hat. Sie ist fürchterlich schiefgegangen, auch wenn der Ansatz eine gute Idee war, nämlich nach dem ökologischen Fußabdruck der Landwirtschaft zu fragen.
Warum ist sie denn so schiefgegangen?
Weil der Zusammenhang zwischen Methan und Wiederkäuern falsch ist. Das zeigen mathematisch berechnete Verläufe. Die Methankurve geht nach oben, obwohl der Rinderbestand sinkt.
Und die anderen Verdächtigen?
Die Erdölindustrie. Das hängt mit dem Fracking zusammen. Die Industrie nennt das „operational losses“, weil bei der Art der Förderung nicht nur Öl aus dem Boden dringt, sondern eben auch Methan aus dem Gestein rund um das Bohrloch.
Kursieren zu viele falsche Narrative über Landwirtschaft?
Ich glaube schon, dass die Landwirtschaft falsch erzählt wird. Die Agrarindustrie verdient viel mehr an einer Kuh, die im Stall steht, als an einer, die auf der Weide steht.
Fordern Sie deshalb die „Kuhwende”: raus aus dem Stall und auf die Weide?
Klima-, Biodiversitäts- und Bodenkrise hängen zusammen. Im Weideland speichern wir am meisten Humus im Boden, sogar mehr als im Waldboden. Zweitens ist jeder Kuhfladen ein Nukleus an Biodiversität. Er ernährt bis zu 4.000 Insekten. Eine Kuh produziert pro Jahr rund 120 Kilo Insekten mit ihrem Dung. Das wiederum ernährt Grasfrösche, Rotkehlchen oder Störche, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und wenn Kühe wieder raus dürfen, erholt sich das Weideland in kurzer Zeit.
Genaueres zur Kuh: Luxemburg
Obwohl er überwiegend vor einem deutschen Kontext spricht, treffen viele der Feststellungen des Autors die Situation in Luxemburg. Der letzte verfügbare Aktivitätsbericht des Landwirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2023 bescheinigt dem Land eine „Dominanz“ des Rindviehbestands. 86,8 Prozent der Tiere in der Landwirtschaft sind Rinder. In absoluten Zahlen sind das laut Aktivitätsbericht rund 185.000 Rinder. Mit einem Anteil von 51,9 Prozent an der gesamten landwirtschaftlich bewirtschafteten Fläche in Luxemburg überwiegt Weideland, vor dem Grasland mit einem Anteil von 46,7 Prozent. Rund 132.000 Hektar landwirtschaftlich bewirtschaftete Fläche gibt es insgesamt. Die Zahl beinhaltet auch die von luxemburgischen Landwirten bewirtschaftete Fläche im umliegenden Ausland. Zum Preis für Rindfleisch heißt es im Aktivitätsbericht: „Der Preis für Rindfleisch konsolidiert sich auf einem hohen Preisniveau und verändert sich im Vergleich zum Vorjahr kaum.“
Und der Boden?
Wir haben eine eklatante Bodenkrise. Die vielen schweren Maschinen verdichten die Böden und wir verlieren Humus. Sie erodieren. Unter einer Weide erodiert gar nichts.
Es gibt zu viele Kühe, ist eine weitere These. Wie begründen Sie das?
Wir haben viel mehr Kühe, als das Land ernähren kann. Deswegen müssen Futtermittel importiert werden.
Das bescheinigen Umweltverbände Luxemburg auch …
Wir brauchen eine flächengebundene Tierhaltung. Man sollte nur so viele Tiere halten, wie die Region, in der sie leben, ernähren kann.
Was sagen Sie denn dem Steakliebhaber, der mindestens drei Mal die Woche eins auf dem Teller haben will?
Das ist mit Tierwohl nicht vereinbar und wird auf Dauer nicht mehr gehen. Wir müssen zu einem verträglichen Maß zurück.
Landwirte sind aber doch seit Jahren auf Masse getrimmt worden …
Das haben sie zum Teil selbst zu verantworten, weil ihre Interessensverbände, die Bauernverbände, in dieser Logik agieren. Sie handeln, als wären sie Teil der Agrarindustrie. Der Diesel war nur der Auslöser für die jüngsten Proteste, weil das Fass übergelaufen ist. Die Bauern haben gemerkt, sie sind gar nicht Teil der Agrarindustrie, sondern nur der Belag im Sandwich zwischen Industrie und Handel. Und dazwischen werden sie zerrieben.
Stecken wir in Europa immer noch kopfmäßig im Modus der Nachkriegsjahre, wo es zu wenig zu essen gab?
Da haben die ganzen Subventionen angefangen. Damals wurde die gemeinsame Agrarpolitik entwickelt, weil man die Landwirtschaft mit Geldern anschieben wollte. Schneller und mehr produzieren, war das Motto.
Da hat es sich dann verselbstständigt?
Das machen Systeme, die man subventioniert, immer. Das gilt vor allem für Systeme, die man industrialisiert, die aber nicht industrialisierbar sind, wie die Tierhaltung.
Sie fordern die Agrarwende. Wie wollen Sie das denn den Bauern schmackhaft machen?
Das Problem ist, dass die Landwirte gelernt haben, auf Masse und Quantität zu setzen und nicht auf Qualität. Wachsen oder weichen. Bei Kühen auf der Weide gibt es zwar weniger Milch, aber man muss kein Kraftfutter zukaufen, teure Maschinen fallen weg. Und trotzdem kommen schwarze Zahlen am Ende heraus, weil die Qualität stimmt und ein guter Preis erzielt wird. Den wir Verbraucher natürlich auch zahlen müssen.
Das hört sich bei Ihnen so leicht an … Warum kommen die Landwirte da nicht selbst drauf?
Weil sie gefangen sind. Da sind teure Melkroboter und Maschinen im Spiel, deren Anschaffung sich über Jahre amortisieren muss. Und Weidemanagement ist keine Sache, die man unbedingt auf der Landwirtschaftsschule lernt. Man muss sich richtig gut informieren. Und man braucht Personal.
Was passiert, wenn jetzt kein Umschwung kommt?
Wenn wir nichts tun, werden wir feststellen, dass verglichen mit der Biodiversitätskrise die Klimakrise ein laues Lüftchen ist. Die industrielle Landwirtschaft, wie wir sie über Jahrzehnte aufgebaut haben, ist nicht resilient. Weder gegen Trockenheit noch gegen Nässe. Ein kranker Wald kühlt nicht mehr und nimmt kein Wasser mehr auf. Ein kranker Acker macht das sowieso nicht und eine Wiese, die nur gemäht wird, ist ebenfalls kein Wasserspeicher, wenn es Starkregen gibt.
Eine andere Tierhaltung: Luxemburg
Die Idee der flächengebundenen Tierhaltung ist nicht neu. Immer wieder haben Umweltorganisationen sie in der Vergangenheit ins Spiel gebracht. Durchgerechnet hat dies die Studie „Luxembourg 2050 – Prospects for a Regenerative City-Landscape“ aus dem Jahr 2021. Demnach reicht die aktuell landwirtschaftlich bewirtschaftete Fläche, um einen Rinderbestand in Höhe von 65.000-70.000 über den Weidegang zu ernähren. Dann entfallen nicht nur die Importe von Futter, sondern auch von Dünger. Konkret spart das 26.000 Tonnen Sojabohnen Metrics 44 sowie 850 Tonnen mineralischen P-Dünger für die Futtermittelproduktion, heißt es in der Studie. Bei einer angenommenen Bevölkerungszahl von knapp einer Mio. Einwohner reicht die reduzierte Rinderzahl, um 4,8 kg Rindfleisch pro Person und Jahr und 81 kg Milchprodukte pro Person und Jahr zu produzieren. Es bedeutet allerdings eine Reduzierung von 76 Prozent des Verzehrs, wie die Autoren der Studie schreiben. 2019 haben die Einwohner 20 Kilo Rindfleisch pro Person und Jahr verzehrt. An der Studie haben die Universität, Umweltorganisationen wie CELL oder Wissenschaftsinstitute wie das LIST und das „Institut fir Biologesch Landwirtschaft an Agrarökologie“ IBLA sowie das „Office for Landscape Morphology“ (OLM) mitgearbeitet. Laut IBLA gibt es im neuen Agrargesetz eine Prämie für die Landwirte für den Weidegang.
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