Neue EU-Kommission / Von der Leyen hat ein Männerproblem
Ursula von der Leyen hat ein Männerproblem. Die im Juli wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin will in Kürze die Kandidatinnen und Kandidaten für die neue Brüsseler Kommission vorstellen. Doch entgegen ihrem erklärten Wunsch nach Gleichstellung der Geschlechter hat sie deutlich mehr Männer als Frauen auf ihrer Liste.
Am Freitag läuft die Frist aus, bis zu der die Mitgliedsländer ihre nationalen Kommissionsanwärter an von der Leyen melden sollen. Die vorläufige Bilanz: 17 Männer und sieben Frauen, also mehr als doppelt so viele Herren wie Damen. Von den drei zuletzt noch fehlenden Staaten dürfte es in Italien laut Medien ebenfalls auf einen Mann hinauslaufen. Belgien und Bulgarien haben dagegen nach Wahlen noch keine neue Regierung und dürften deshalb Aufschub für die Kandidaten-Kür bekommen.
Damit könnte es in der 27-köpfigen Kommission „Von der Leyen II“ theoretisch bei sieben Frauen bleiben. Das wäre der niedrigste Stand seit 20 Jahren, heißt es in Brüssel. Bereits eingerechnet bei den sieben sind von der Leyen selbst als Vertreterin Deutschlands und die künftige EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas aus Estland, die zugleich Vizekommissionspräsidentin werden soll.
Von der Leyen ist mit ihrer Forderung nach Geschlechterparität also bei den Mitgliedsländern gescheitert. Kein einziges Land ist zudem ihrer Bitte gefolgt, ihr je eine Frau und einen Mann zur Auswahl vorzuschlagen.
„Mehr als peinlich“ sei der sich abzeichnende „Old Boys‘ Club“ (Klub alter Jungs), findet die Europäische Frauenlobby (EWL) – ein Dachverband, der sich für die Gleichstellung der Geschlechter in Europa einsetzt. „Wenn die Mitgliedstaaten wirklich glauben, dass nur Männer für diese Posten geeignet sind oder es in ihren Ländern keine qualifizierten Frauen gibt, dann haben sie nicht nur keine Ahnung, sondern Wahnvorstellungen“, kritisiert Verbandssprecherin Mirta Baselovic.
„Sehr schlechten Signal“
Scharfe Kritik kommt auch aus dem Europaparlament, das die Kommissionskandidaten in den kommenden Wochen anhören will. Von einem „sehr schlechten Signal, insbesondere an jüngere Frauen und Mädchen“ spricht die Vorsitzende des Gleichstellungs-Ausschusses, Lina Gálvez Muñoz. Die spanische Sozialdemokratin wirft den Mitgliedsländern mangelnden politischen Willen vor.
Ein Brüsseler Diplomat, der namentlich nicht genannt werden will, sieht dagegen ein typisches Brüsseler Machtspiel zwischen den Institutionen: „Wir Mitgliedsländer erwarten, dass von der Leyen für Gleichstellung eintritt. Zugleich sehen wir es als unser Hoheitsrecht an, einen geeigneten Kommissar vorzuschlagen“, sagt er.
Von der Leyen habe allerdings starke Hebel, sagt der Pariser Europarechts-Experte Alberto Alemanno. Entweder könne sie die Liste der Mitgliedsländer komplett zurückweisen und damit ihre „Unabhängigkeit und Autonomie“ demonstrieren.
Das stärkere Druckmittel seien aber die Zuständigkeiten, betont Europarechtler Alemanno. Viele Länder wünschten sich einen der Brüsseler Schlüsselposten, zu denen Wettbewerbspolitik, Binnenmarkt, Wirtschaft und Währung oder Handel zählen. Hier habe von der Leyen Verhandlungsmasse gegenüber den Regierungen, nach dem Motto: Ihr benennt doch noch eine Frau und bekommt dann dafür das gewünschte Ressort.
Sobald von der Leyen ihre Wunschkommissarinnen und -kommissare nominiert hat, kann das Europaparlament ihnen Fragebögen schicken und sie dann in den Fachausschüssen anhören. In der Vergangenheit drängte das Parlament erfolgreich auf Ersatz für einige missliebige Kandidaten, auch wenn es die Kommission nur in Gänze billigen oder ablehnen kann. Bevor von der Leyen Ende 2019 ihr erstes Mandat antrat, lehnte das Parlament etwa einen Ungarn und eine Rumänin wegen „Interessenkonflikten“ ab.
Ob die neue Kommission bereits zum 1. November ihr Amt antreten kann, ist auch wegen des Geschlechterstreits ungewiss. Von der Leyens Sprecher Eric Mamer bleibt lieber vage: „Die Präsidentin tut alles in ihrer Macht, um zu einem ausgeglichenen Kollegium zu kommen.“
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