Lieferkettengesetz / Von der Waschmaschine zum russischen Panzer: Dual-Use bleibt ein blinder Fleck
Während sich die Europäische Union auf ein Lieferkettengesetz geeinigt hat, sollte auch der Faktor Rüstung in Sachen Sorgfaltspflicht einbezogen werden. Beim sogenannten Dual-Use besteht großer Nachholbedarf.
Wer an Waschmaschinen denkt, verbindet dies nicht unbedingt gleich mit Kriegsgerät, sondern meistens mit einem Wäscheberg und einer Menge Hausarbeit. Vielleicht in Ausnahmefällen mit einem Symbolfoto für Geldwäsche. Aber nicht mit der Tatsache, dass sich im Zuge der Sanktionen gegen Russland nach dem russischen Überfall auf die Ukraine der Export von Haushaltsgeräten wie etwa Waschmaschinen von Europa nach Kasachstan verfünffachte. Diesem überraschenden Trend ging ein Rechercheteam der Berliner tageszeitung dieses Jahr auf die Spur.
Wie sich die Ausfuhr von Waschmaschinen aus dem zentralasiatischen Land nach Russland entwickelte, konnten die Journalisten nicht herausfinden. Allerdings stellten sie fest, dass Kasachstan 2022 für 837 Millionen US-Dollar „Maschinen und Anlagen“ ins Nachbarland exportierte, im Jahr zuvor waren es noch 128 Millionen gewesen. Am beliebtesten waren Kühlschränke, Geschirrspülmaschinen, elektrische Milchpumpen – und eben Waschmaschinen.
Schnell kam der Verdacht auf, nicht etwa, dass die Kasachen begonnen haben, wie enthemmt zu waschen, sondern dass sie die Waren nach Russland durchwinken und diese dort in Kleinteile zerlegt werden. Besonders von Interesse seien dabei Informationstechnik und Halbleiter. Was für Kühlschränke benutzt wird, kann auch für Drohnen, Panzer, Raketen und Nachtsichtgeräte herhalten. Chips haben die Russen seit jeher vor allem importiert.
Dual-Use, wie es so schön heißt. Die Europäische Union hat jedenfalls längst verstanden, dass auch keine sogenannten Dual-Use-Güter, die sowohl zivil als auch zum Bau von Waffen genutzt werden können, nach Russland geliefert werden dürfen. „Waschmaschinen fallen nicht grundsätzlich unter das Embargo“, heißt es in der taz. Obwohl sie zu den „kritischen Gütern“ gehören.
Bei Dual-Use-Gütern handelt es sich um Waren inklusive Software und Technologie mit einem doppelten Verwendungszweck, die also für einen zivilen Zweck hergestellt wurden, aber auch militärisch verwendet werden können. Internationale Kontrollgremien wie die Nuclear Suppliers Group, das Missile Technology Control Regime, die sogenannte Australische Gruppe und das Wassenaar-Abkommen führen Listen mit Gütern, die regelmäßig aktualisiert werden. In Zeiten Künstlicher Intelligenz (KI) ist die Kontrolle jedoch schwieriger geworden. Der KI-Experte Fabio Urbina etwa sucht damit neue Medikamente und ihre Wirkstoffe, fand aber auch heraus, dass man mit demselben Programm auch tödliches Gas herstellen kann.
Zweifelhafter Doppelnutzen
Als vor zwei Jahren herauskam, dass das ägyptische Militär auf den Verdacht hin, Schmuggler würden an der Grenze von Ägypten nach Libyen Geschäfte betreiben, nach französischen Aufklärungsflügen im Rahmen der Operation „Sirli“ Zivilisten in der Region bombardierten, wurde auch die in Findel ansässige Luxemburger Firma CAE Aviation in die Affäre verwickelt: Frankreich hatte auf das Unternehmen als langjährigen Partner zurückgegriffen. „Zwei Piloten und vier Analysten von CAE Aviation patrouillierten seit Februar 2016 in einer Propellermaschine über dem Grenzgebiet“, hieß es im Tageblatt. Luxemburg hatte bereits zuvor mit der Firma kooperiert, die im luxemburgischen Auftrag Aufklärungsflüge vor Libyens Küste durchgeführt hatten. Die Operation „Sirli“ war nicht einmal ein „Dual-Use“ Service, sondern eindeutig militärisch.
Ungefähr in dieselbe Zeit fielen die Enthüllungen in der Affäre um die Spionage-Software „Pegasus“. Der damalige Premierminister Xavier Bettel hatte in einem Interview mit der Luxembourg Times zugegeben: „Als Staat haben wir es gekauft für den Geheimdienst und für den Staatsschutz – und wir benutzen es.“ Die Trojaner-Spyware kann aus der Ferne und ohne das Wissen des Nutzers auf einem Smartphone installiert werden und sowohl die Daten als auch die Kommunikation einsehen. Der Anbieter der Software, der israelische Anbieter NSO, hat seinen Sitz in Luxemburg. Es sind dies nur zwei Beispiele, die Jean-Louis Zeien, Co-Koordinator der „Initiative pour un devoir de vigilance“ (IDV), nennt. Und die eigentlich auch unter die Sorgfaltspflicht für Unternehmen und ein entsprechendes Lieferkettengesetz fallen müssten.
Zwar haben sich der Europäische Rat und das Europäische Parlament vergangene Woche über die Inhalte der „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (CSDDD) geeinigt, die auch als europäisches Lieferkettengesetz bezeichnet wird, um die Menschenrechte zu schützen sowie Klima- und Umweltschutz voranzutreiben. Damit sollen Unternehmen künftig zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren – und sie müssen einen Plan erstellen, der garantiert, dass ihr Geschäftsmodell mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist. Der Finanzsektor soll zunächst von den Vorgaben ausgeschlossen werden.
Unternehmerische Sorgfaltspflicht
Dies gilt unter anderem für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro sowie Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mehr als 40 Millionen Euro, wenn diese mindestens 20 Millionen in einem Hochrisikosektor erwirtschaften (u.a. Textilien, Schuhe, Landwirtschaft, Fischerei, Lebensmittel und Ressourcen). Firmen von außerhalb der EU fallen unter das Gesetz, wenn sie in der Union einen Umsatz von mehr als 300 Millionen Euro generieren. Die EU-Kommission soll eine Liste dieser Nicht-EU-Unternehmen veröffentlichen.
Was jedoch fehlt, ist nach den Worten von Jean-Louis Zeien, dass die Sorgfaltspflicht von Unternehmen „nicht nur für die Zulieferer, also die vorgelagerte Lieferkette gilt, sondern auch für nachgelagerte, ihre Kunden“. Was geschieht mit einem Produkt? Zu welchem Zweck wird es benutzt? Gerade im Bereich des Dual-Use besteht noch Nachholbedarf. Zeien spricht von einem „blinden Fleck“. Er weiß: „Wir können die Produktion von militärischen Gütern und Dual-Use-Gütern nicht aus der Welt schaffen“, so der IDV-Co-Koordinator, „aber es geht uns schließlich um die unternehmerische Sorgfaltspflicht auch in diesem Bereich.“ Er weist dabei auf EU-Regeln (2021/821) hin, um Exporte, Maklergeschäfte, technische Hilfe, Transit und Transfer von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck zu kontrollieren.
Wenn etwa die Tochtergesellschaft „Space and Defense“ des Betzdorfer Satellitenbetreibers SES ausschließlich US-Regierungsbehörden, und darunter vor allem das Militär beliefert und mit Überwachungs- und Kontrolldiensten sowie Schulungen beliefert (mit einem über fünf Jahre laufenden Vertrag), geht es um HTS-Kommunikationssatelliten mit einer besonders hohen Datenleistung. „Tatsächlich ist das Interesse des Militärs an den Leistungen von SES ungebrochen groß, die Liste der entsprechenden Projekte lang“, schrieb das Tageblatt am 11. November und wies darauf hin, dass „Diskussionen über die Einbindung Luxemburgs in den militärisch-industriellen Komplex eher verhalten“ blieben. Doch auch hierbei gelte es für den Luxemburger Staat, Verantwortung zu übernehmen, fordert Jean-Louis Zeien. Schließlich ist der Staat direkt mit 11,6 Prozent an SES beteiligt, zählt man die BCEE und die SNCI hinzu, kommt man auf insgesamt 33 Prozent Staatsbeteiligung am Satellitenbetreiber. Ein nicht unerheblicher Anteil.
Zwar stagnieren nach Angaben des Friedensforschungsinstituts Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) die weltweiten Umsätze der Rüstungsindustrie. Doch zugleich verzeichnen neue Anbieter unter anderem aus Indien, Südkorea und der Türkei starke Zuwächse. Vor allem in Asien, Ozeanien und dem Nahen Osten steigen die Umsätze deutlich. Und solange in Kasachstan und anderen Ländern im Vollwaschgang gewaschen wird, bleiben die größten Sorgen bestehen. Vom Waschzwang kann keine Rede sein.
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