Porträt Alain Atten / Von einem, der auszog, das Luxemburgische unter die Lupe zu nehmen
An Alain Atten führt kein Weg vorbei. Zumindest dann nicht, wenn man sich näher für die luxemburgische Sprache interessiert. Der Autor zahlreicher Publikationen, darunter der „Sproochatlas“ und der bald erscheinende „Wortatlas“, ist heute 86. Geistreich und humorvoll erzählt er, wie er einst den Dialekten und Mundarten des Landes auf die Schliche kam. Wer ihm zuhört, begibt sich auf eine weite Reise in oft unbekannte Weiten.
Dank zahlloser Publikationen und vor allem auch durch Sendungen bei RTL ist Alain Atten bekannt geworden und hat viele Menschen an seinem Wissen über lokale und regionale Mundarten der luxemburgischen Sprache teilnehmen lassen.
Am 22. Februar 1938 kommt er zur Welt. Sternzeichen Fisch. „Fësch ass Fësch“, dafür gebe es kein anderes Wort in unserer Sprache, sagt er. Er wächst in Esch/Sauer auf. Dafür gebe es ein Wort, nämlich „Esch am Lach“. Er besucht das Gymnasium in Diekirch und das „Lycée de garçons“ in Luxemburg, wo er 1957 Abitur macht. Damals habe er nicht unbedingt einen speziellen Bezug zur Luxemburger Sprache gehabt: „Mir ist aber sehr wohl aufgefallen, dass der Vater, aus Hosingen, und die Mutter, aus Olingen, andere Ausdrucksweisen hatten.“
Nach einem Jahr „Cours supérieurs“ in Luxemburg tritt er eine Arbeitsstelle als Archivar im Luxemburger Nationalarchiv an. Dort bleibt er bis zu seiner Pensionierung. Zwischen 1975 und 1979 absolviert er ein Germanistik- und Geschichtsstudium an der Universität Trier. Ein ministerieller Erlass erlaubt es ihm, sich beim Staat freistellen zu lassen. Ein gutes Angebot sei das gewesen, gibt er zu verstehen. „So wurde ich Konservator und als Forscher anerkannt.“
Chirurgische Präzision
Es ist angenehm, mit Alain Atten zu reden, ihm zuzuhören, wenn er die luxemburgische Sprache mit chirurgischer Präzision auseinandernimmt und wieder zusammenfügt. So entstehen Sprachbilder im Kopf, spannend, verständlich und aufschlussreich und dabei immer wissenschaftlich präzise und nachprüfbar. Wie er da sitzt, Ruhe ausstrahlt und erzählt, kann man sich ihn durchaus als Pfeifenraucher vorstellen. „Ich habe gerne Pfeife geraucht, keine Zigarette, heute rauche ich überhaupt nicht mehr, ich habe 1991 von einem Tag auf den anderen aufgehört. Ein gutes Essen oder ein Glas Riesling lasse ich aber nicht stehen, ich gehe es nur etwas gemütlicher an.“
Alain Atten schöpft aus dem Vollen. Die Luxemburger Sprache ist die Welt des „Sproochmates“. Alain Atten hat damit ein Lebenswerk geschaffen. Wer mit Alain Atten redet, sollte sich auf eine längere Reise einstellen. Lohnen tut es sich auf jeden Fall. Als Gesprächspartner zeigt er sich nicht nur geistreich, sondern auch äußerst humorvoll.
Beginn der Reise
Doch wie kam es zu alledem? Bereits ab 1963 habe er als „Sproochmates“ Beiträge zu alten luxemburgischen Begriffen veröffentlicht. 1970 wird er Mitglied der Luxemburger Wörterbuchkommission. Dann ist er in seiner Freizeit durchs Großherzogtum und durchs Areler Land gewandert und hat sich mit Menschen über ihre Sprache – ihren Dialekt und ihre Mundart unterhalten. „Ich bin immer gerne und viel zu Fuß unterwegs gewesen.“ 546 Orte in Luxemburg und 72 im Areler Land werden es schließlich. Er habe erfahren wollen, wie Menschen, die um 1900 geboren wurden, in ihrem Heimatdorf geblieben sind, reden und welche Wortwahl sie treffen würden. „Damals zeigten sich in der Sprachsituation noch deutliche Unterschiede zwischen den Dörfern und Gegenden. Bei unserer heutigen Mischbevölkerung ist das anders.“ Alles habe er sich notiert und in seinen eigenen Karten vermerkt. „15 Jahre lang habe ich meinen Urlaub und meine Freizeit für diese Recherchen genutzt, ich kannte immer irgendwo irgendwen, der mir weitergeholfen hat.“ Auf seinen Wanderungen sei er stets gut empfangen worden, sagt Alain Atten.
Aber wie kam er dann eigentlich auf die Idee, sich auf diese Reise zu begeben? Alain Atten holt aus, seine Augen leuchten und Vergangenheit wird lebendig: „Da gab es damals Professor Robert Bruch am Jongelycée in der Stadt. Der ist 1959 mit Ende 30 verstorben. Er hat das Luxemburger Sprachatlas erstellt, das aber erst nach seinem Tode veröffentlicht wurde. In seiner Arbeit hat auch er damals das Areler Land miteinbezogen. Das hat mich sehr interessiert und so beschloss ich, auf dem von ihm eingeschlagenen Weg weiterzumachen.“
Schubladensammlung
Dieses gesammelte Wissen habe lange Zeit in seiner Schublade gelegen. Geschlummert würde als Verb auch passen: „Es war schwierig, einen Verleger zu finden, eine Universität hätte es machen können, aber ich war fertig, bevor die Luxemburger Uni richtig begonnen hat.“ Irgendwann ist er mit seinem Wissen, seiner Sammlung bei RTL gelandet und hatte auf Anhieb Erfolg.
Alles, was er damals gesammelt habe, sei sozusagen die Basis seiner späteren Arbeit als „Sproochmates“, heißt es im „Zentrum fir d’Lëtzebuerger Sprooch“ (ZLS). Es ist auch die Basis des „Lëtzebuerger Sproochatlas 1900“, der 2023 vom ZLS herausgegeben wurde. Das monumentale Werk im A3-Format umfasst 572 Karten, die vom Geografen Claude Schmit kartografiert wurden, und verdeutlicht, wie farbig die Luxemburger Sprachlandschaft ist/war.
Anfang 2025 soll mit dem „Wortatlas“ nun die Fortsetzung des „Sproochatlas“ erscheinen. Welche unterschiedlichen Wörter werden im Land je nach Ort benutzt, um dasselbe auszusagen, ist auch das Thema der neuen Tageblatt-Serie ab kommendem Montag (8. Juli).
Luxemburgisch und seine Zukunft
Alain Atten ist auch Autor von Prosatexten und Theaterstücken – oft aufgeführt wurde zum Beispiel seine „Jonggesellekëscht“. Sein Repertoire ist gewaltig. Meist fließen seine Interessen als Historiker und Sprachwissenschaftler in seine Arbeiten mit ein. Im Luxemburger Autorenlexikon, herausgegeben vom Nationalen Literaturzentrum, sind sie aufgelistet. Dort erfährt man zum Beispiel, dass er nicht nur Teile des Alten Testamentes auf Luxemburgisch übersetzt und bearbeitet hat, sondern auch Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ als „De Max an de Miz“. Sogar ein Drehbuch hat er geschrieben, nämlich zum Dokumentarfilm „1.000 Joër Buerg Clierf“.
Im Februar 2023 erhielt er den Luxemburger Preis für seine Verdienste um die Luxemburger Sprache. Sein „Sproochmates“ bekam 2011 den Luxemburger Buchpreis.
Eine Arbeit wie meine macht heute keiner mehrSprachforscher
Eine Frage wird Alain Atten oft gestellt: Wie beobachtet er die Entwicklung der luxemburgischen Sprache heute? „Eher aus der Ferne. Ich gehe nicht mehr viel unter die Leute, erfahre also nicht mehr unbedingt alles. Kann sein, dass es gegenüber von vor einigen Jahrzehnten eine gewisse Verflachung, eine Anpassung gibt. Grenzen innerhalb des Landes verwischen. Wie es weitergeht, kann ich schwer sagen, aber man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen.“ Eine Arbeit, wie er sie damals gemacht habe, mache heute keiner mehr, sagt er entschieden: „Das kostet zu viel Zeit.“
Seit 40 Jahren bei RTL
Alain Atten ist seit 40 Jahren Mitarbeiter bei RTL Radio Lëtzebuerg. In „De Sproochmates“ erläutert er alte Luxemburger Ausdrücke. Man erinnert sich zum Beispiel auch an seine Teilnahme am „Kuerf am Duerf“ oder an die Sendung „Lëtzebuerger Stonn“ am Nationalfeiertag mit Moderator Patrick Greis. „Ich nehme stets Sendungen für rund drei Wochen auf einen Schlag auf. Das macht Spaß und ich stottere auch nicht.“ Genutzt hat Alain Atten sein Wissen zum Beispiel auch für „De Radiosdixionär“. Bei RTL Radio ist er heute noch zu hören. Diese informativen und nicht minder unterhaltsamen Beiträge erfreuen sich stets größter Beliebtheit.
Ganz gerne würde er weitermachen, „bis ich 90 Jahre bin“, sagt er. Wobei es einem schwerfällt zu glauben, dass er dann einfach aufhören wird. Wie schreibt er, 2010, im Vorwort der ersten Ausgabe zum „Sproochmates“: „Dee Spaass do leeft nach. ’t ass ee frou, datt een et nach viru packt. Wann éiren ee gemengt hätt, dat elei hätt ugefaang wéi eng Vurwëtztut, dann hätt e sech geiert. Wa mer hei net ,gespillt‘ hätte mat eiser Sprooch, dann hätt kee ,matgespillt‘. Wann Der averstan sidd, da maache mer nach e bëssen esou duer.“
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