EU-Personalkarussell / Von Magyar bis Montserrat – neue Gesichter Europas
Mit dem Ausgang der Europawahlen werden nicht nur im Parlament, sondern auch im Rat und in der Kommission die Karten für einflussreiche Jobs neu gemischt. Es dürfte sowohl zum Wiedersehen mit bewährten Kräften als auch zum Kennenlernen neuer Hoffnungsträger kommen.
Wird nach den Wahlen an der Spitze Europas personell alles bleiben, wie es ist? Als erwarteter Wahlsieger und mit Abstand stärkste Fraktion wird die Europäische Volkspartei (EVP) den Anspruch anmelden, dass die Malteserin Roberta Metsola Mitte Juli erneut zur Präsidentin des Europaparlaments gewählt wird, kurz darauf EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen ebenfalls erneut zur Präsidentin der EU-Kommission. Auch der liberale Belgier Charles Michel hätte große Lust, als Präsident des Europäischen Rates weiterzumachen. Doch spätestens an dieser Stelle sollte sich das europäische Publikum auf Veränderungen einstellen.
Denn die europäischen Sozialdemokraten sind entschlossen, diesen Job mit einem der Ihren zu besetzen. Beim letzten Mal hatte Spaniens Ministerpräsident Pédro Sanchez seinen Landsmann Josep Borrell als Außenbeauftragten durchgesetzt. Nun preist er einen anderen Genossen als „großen Sozialdemokraten“, seinen iberischen Nachbarn:
António Costa (62) war schon als Favorit für den EU-Ratspräsidenten gehandelt worden, als er noch als Ministerpräsident Portugals fest im Sattel saß. Es kamen Korruptionsermittlungen in Gang und Costa trat zurück. Inzwischen hat sich indes herausgestellt, dass in der Abschrift eines abgehörten Telefonates António Costa mit Antónia Costa Silva, seinem Wirtschaftsminister, verwechselt worden war. Die Vorwürfe fielen in sich zusammen und nun ist Costa reif für eine zweite Karriere in Brüssel. 2004 war er bereits Vizepräsident des Europaparlaments, nun hat er auch Regierungserfahrung. Wenn die Sozialdemokraten mit den Liberalen und den Christdemokraten erneut ein Bündnis schmieden, werden die Liberalen den Posten des/der Außenbeauftragten der EU verlangen, und besonders auf eine der Ihren schauen, die sie schon als Spitzenkandidatin gerne herausgestellt hätten:
Johannis als Kommissionspräsident?
Kaja Kallas (46), liberale Regierungschefin Estlands seit gut drei Jahren, kennt die Aufgaben des Ratspräsidenten von zahlreichen Gipfeln aus der Nahbeobachtung. Sie beherrscht die Abläufe, tritt gegen die russische Aggression selbstsicher, fordernd und abwehrbereit auf, manchem in der EU auch zu polarisierend. Sie hat in Estland als erste Frau im Amt der Premierministerin gezeigt, wie sie auch mit wechselnden Parteien zu regieren versteht.
Sollten die Vorbehalte gegen von der Leyen in den Tagen nach der Wahl derart wachsen, dass die Staats- und Regierungschefs nach Alternativen suchen, dürfte der von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ins Spiel gebrachte Ex-EZB-Chef und Ex-Regierungschef Italiens, Mario Draghi (76), schnell als Unabhängiger beiseite gelegt werden, um innerhalb der siegreichen EVP nach geeigneten Staatsleuten zu suchen. Dabei fällt der Blick sicherlich auch auf einen mit deutschen Wurzeln:
Klaus Johannis (64) aus der Minderheit der Siebenbürger Sachsen ist seit 2014 zweimal direkt gewählter Präsident Rumäniens. Er drängt erkennbar auf die internationale Ebene und hat schon die NATO-Pläne durchkreuzt, geräuschlos den Niederländer Mark Rutte als neuen Generalsekretär zu installieren, indem er sich selbst ins Spiel brachte. Die EVP feierte ihn bei ihrem Kongress im März in Bukarest. Die Staats- und Regierungschefs könnten bei einem Scheitern von der Leyens die Chance sehen, für Rutte den Weg freizumachen, indem sie Johannis als Kommissionspräsidenten vorschlagen.
Tajani als letzte Lösung
Antonio Tajani (70) kommt als eine der letzten Lösungen nach einem Scheitern von der Leyens auch in Betracht für einen Wiedereinstieg in Brüssel. Der italienische Außenminister gehört zur EVP-Partei Forza Italia, war bereits EU-Kommissar und Präsident des Europaparlaments, kann sich zudem auf seine Ministerpräsidentin Giorgia Meloni stützen, die nach einem Erstarken des rechten Randes ohnehin ihre Mitte-rechts-Koalition in Rom auf Brüssel übertragen will.
Die Wahlen dürften jedoch auch weniger bekannten Gesichtern zu europaweiter Aufmerksamkeit verhelfen, für mindestens drei nationale Spitzenkandidaten zeichnet sich wachsender Einfluss ab:
Péter Magyar (43) hat sich zum ernst zu nehmenden perspektivischen Herausforderer des irrlichternden ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán entwickelt. Seine Partei Tisza lässt die Regierungspartei Fidesz erkennbar nervös werden, ist gut für 27 bis 29 Prozent und damit sechs bis sieben Abgeordnete in Brüssel, die von der EVP jetzt schon mit offenen Armen erwartet werden. Nach der Trennung von Fidesz hätte die EVP wieder einen gewichtigen Ansprechpartner für Ungarn in den eigenen Reihen.
Dolors Montserrat (50) wird vorhergesagt, als Spitzenkandidatin der Partido Popular die in Brüssel bislang besonders einflussreichen spanischen Sozialisten in den Schatten stellen zu können. Die Vizevorsitzende der EVP-Fraktion bringt die Unzufriedenheit der Spanier mit ihrem Regierungschef Sanchez auf den Punkt, geißelt seinen Wortbruch, sich des puren Machterhalts wegen auf eine Amnestie für die katalanischen Separatisten eingelassen zu haben, und kündigt an, in Brüssel das andere Spanien repräsentieren zu wollen. Sie könnte die Sitzzahl der spanischen Christdemokraten auf 23 fast verdoppeln.
Xavier Bettel (51) werden seit einigen Jahren Ambitionen auf einen europäischen Top-Posten nachgesagt, allerdings räumt das Magazin Politico dem luxemburgischen Außenminister nur geringe Chancen ein. Aus Diplomatenkreisen habe das US-Magazin erfahren, dass man Bettel zu wenig diplomatisch einstuft und er zu unberechenbar sei, um ihm den Job als EU-Außenbeauftragter anzuvertrauen. Damit dürfte der DP-Politiker weiterhin Teil der Frieden-Regierung bleiben.
- Mammografien, Agrarsubventionen und der IWF - 21. November 2024.
- LSAP will Sonntagsarbeit und Tarifverträge koppeln - 21. November 2024.
- Wie viel Einfluss hat Elon Musk im Bundestagswahlkampf? - 21. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos