Forschungsprojekt / Forscher wollen Gilbert Trauschs Bibliothek virtuell begehbar machen
Demnächst kann man mit einer 3D-Brille die Bibliothek aus dem Haus des 2018 verstorbenen Luxemburger Historikers Gilbert Trausch virtuell besuchen. Ein Forschungsprojekt der Uni.lu in Zusammenarbeit mit dem „Centre for Digital and Contemporary History“ (C2DH) wird dies möglich machen. Seine Bücher werden nun ins Learning Center nach Belval umgesiedelt.
Nach dem Tod des Luxemburger Historikers Gilbert Trausch im Jahr 2018 haben sich seine Kinder dazu entschieden, der Uni.lu seine wissenschaftliche Bibliothek zu vermachen. Diese enthält 20.000 bis 25.000 Werke. Die genaue Anzahl konnte noch nicht festgelegt werden. Das Forschungsprojekt Gilbert Trausch wird seit einem Jahr in Zusammenarbeit zwischen dem „Centre for Digital and Contemporary History“ (C2DH) und dem „Institute for History“ (IHIST) der Uni.lu betrieben. Geleitet wird das Projekt von Andreas Fickers, Direktor des C2DH, und Michel Margue, Direktor des Geschichtsinstituts IHIST der Uni.lu. Finanzielle Unterstützung kommt von der „Fondation André Losch“, welche sich inzwischen auch an vielen anderen Projekten der Universität Luxemburg beteiligt.
Das Trausch-Projekt verfolgt drei Ziele: Einerseits soll die Historisierung und historische Einordnung der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts analysiert werden. Zweitens sieht das Projekt vor, die Bibliothek, wie sie im Haus von Gilbert Trausch auf Limpertsberg vorgefunden wurde, in einem virtuellen Raum zu rekonstruieren. Das dritte Ziel ist es, die Werke in den Bestand des Learning Centre, der Bibliothek der Uni.lu, zu integrieren und zu inventarisieren.
Ich soll herausfinden, was alles zu seinen Arbeitsweisen gehörte, was er brauchte, um seine Informationen zu beschaffen, und wie er diese Informationen verarbeitet hatForscher am C2DH
Einer der Beteiligten am Projekt ist Forscher Wolfgang Freund (C2DH). Er ist zuständig für die Rekonstruktion der Art und Weise, wie ein Historiker in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gearbeitet hat. Denn heute seien solche Arbeiten mit Bleistift und Papier nicht mehr bekannt, sagt Freund. „Ich soll herausfinden, was alles zu seinen Arbeitsweisen gehörte, was er brauchte, um seine Informationen zu beschaffen, und wie er diese Informationen verarbeitet hat.“ Daneben analysiert Freund zusammen mit dem Forscher Antoine Lazzari (C2DH) den Aufbau der Bibliothek. Wolfgang Freund stellt sich dabei die Frage, welchen Weg Gilbert Trausch zwischen einer Information und deren Veröffentlichung eingeschlagen hat und über welche Teilschritte er das machte. Zudem analysiert er das Verhältnis zwischen dem Historiker und seinen Lehrern und Schülern.
Digitale Rekonstruktion der Bibliothek
Historikerin Renée Wagener von der Uni.lu beschäftigt sich mit der Frage nach Gilbert Trausch als nationalem und europäischem Historiker. „Wir wollen aufgrund dieser Bibliothek, die wir von der Familie zur Verfügung gestellt bekamen, rekonstruieren, wie er als öffentlicher Historiker gearbeitet hat“, so Wagener. Trausch hatte viele Auftritte in Fernsehen und Radio, hatte zahlreiche Kontakte im Ausland und funktionierte in seinen späteren Jahren in einem europäischen Netzwerk.
Wir wollen aufgrund dieser Bibliothek, die wir von der Familie zur Verfügung gestellt bekamen, rekonstruieren, wie er als öffentlicher Historiker gearbeitet hatHistorikerin Uni.lu
Antoine Lazzari bereitet die Bücher vor, die sich jetzt noch im Haus auf Limpertsberg befinden, um sie ins Learning Centre nach Belval zu bringen. Er katalogisiert die Bücher und markiert sie dementsprechend. Anhand dieser Markierung kann festgestellt werden, wo sich das Werk genau in der Bibliothek befand. Lazzari hält zudem fest, in welchen Büchern sich Trausch Notizen gemacht hat, und teilt diese Informationen mit den anderen Forschern des Projektes, die sich damit auseinandersetzen. Durch die Inventur an den Büchern kann man später nachvollziehen, wo die Forscher das Werk vorfanden: auf welchem Stockwerk, an welcher Mauer, in welchem Bücherregal und an welcher Stelle. „Gilbert Trausch hatte weder einen Katalog noch eine Art Lagerverzeichnis“, sagt Wolfgang Freund. „Er sortierte die Werke thematisch, so wie es viele Leute tun.“
Anhand einer 3D-Brille kann man demnächst auf einer digitalen Plattform die Bibliothek des Historikers besuchen. Dabei kann man auch einzelne Bücher anklicken und durchblättern. Der User sollte die Bibliothek dann möglichst originalgetreu vorfinden. Anhand einer Drohne wurde das Haus des Historikers auch von außen in Bildern festgehalten. Da das Haus auf Limpertsberg demnächst verkauft wird, wird die Bibliothek in den nächsten Monaten integral nach Belval umgesiedelt.
Bücher um den Schreibtisch aufgestellt
Die Bücher von Trausch sind auf drei Stockwerke verteilt. Der wichtigste Teil der Bibliothek befindet sich laut Wolfgang Freund im Arbeitszimmer des Historikers im ersten Stockwerk. Dort hatte er die Bücher um seinen Schreibtisch herum aufgestellt. Im Arbeitszimmer empfing Trausch seine wissenschaftlichen Gäste, Studierende und andere Forscher. Darauf weisen auch die zwei bequemen Sessel hin, welche man dort vorfand. In diesem Raum befinden sich jene Bücher, die Trausch immer wieder benutzte und in welchen viele Notizen verfasst waren.
Auch die Zauberhefte, wie sie Trausch nannte, bewahrte der Historiker dort auf. Insgesamt fanden die Forscher 101 solcher Zauberhefte, von denen mehrere die gleiche Farbe hatten. Trausch benutzte diese kleinen Ordner im DIN-A5-Format als Referenzhefte, in denen er Notizen und Zitate niederschrieb. Oben rechts auf den Seiten fügte er stets ein Schlagwort ein, worüber die Seite handelte. Immer wieder wies er mit Kürzel auf Bücher hin, die sich in seiner Bibliothek befanden. „Er muss also gewusst haben, wo er die Bücher fand“, sagt Freund. Trausch scheint demnach ein Ordnungssystem aufgrund einer guten Merkfähigkeit gehabt zu haben, denn einmal hat er seinem Bruder Gérard gesagt: „Ändere nie den Standort deiner Bücher, du findest sie nie wieder.“ Trausch benutzte nie einen Computer.
Im Dachgeschoss stellte Gilbert Trausch jene Bücher ab, die in den 1970er und 1980er Jahren keinen Platz mehr in seinem Arbeitszimmer hatten. Auch in den Fluren und Treppenabsätzen lagerte Trausch seine Werke. „Um sich den Weg zwischen Dachgeschoss und erstem Stockwerk zu sparen, hat er sich einen zweiten Schreibtisch in sein größtes Zimmer im Dachgeschoss hingestellt“, sagt Wolfgang Freund. Dort fanden die Forscher auch zahlreiche Papiere und Mappen vor. Im Keller lagerte Trausch wohl jene Bücher, die er nicht mehr wirklich benutzte. Sein Sohn bezeichnete die Sammlung dort als „fin de parcours“. Die Bücher im Keller sind zum großen Teil nicht mehr zu gebrauchen. Antoine Lazzari zeigt Fotos von verschimmelten Büchern. „Die können wir nicht mehr retten“, sagt er.
Trauschs Geschichtsschreibung veränderte sich
Als Gilbert Trausch in den 1960er und 1970er anfing zu schreiben, lehrte man in Luxemburgs Schulen noch aus Geschichtsbüchern, die vor dem Zweiten Weltkrieg verfasst wurden. „Diese Darstellung von Luxemburg und der Monarchie war sehr brav und komplett kritiklos“, sagt Renée Wagener. „Trausch war einer der ersten, die eine solche Geschichtsschreibung infrage stellte“, sagt sie. Obwohl er selber aus katholischen Kreisen stammte, habe er sehr stark auf wissenschaftliche Kriterien gepocht und es für wichtig empfunden, kritisch zu schreiben.
Am Anfang war Trausch innovativ und kritisch, doch je mehr er in der Öffentlichkeit stand und je näher er ins Zentrum der politischen Macht kam, desto mehr veränderte sich seine GeschichtsschreibungHistorikerin Uni.lu
Wagener bezeichnet Trausch als „historien public“, da er sich oft in der Öffentlichkeit äußerte. Dies erreichte 1989 einen Höhepunkt, als er die Leitung der Ausstellung über 150 Jahre Unabhängigkeit übernahm. „Am Anfang war Trausch innovativ und kritisch, doch je mehr er in der Öffentlichkeit stand und je näher er ins Zentrum der politischen Macht kam, desto mehr veränderte sich seine Geschichtsschreibung“, so Wagener. Trausch pflegte persönliche Kontakte in den Reihen der CSV, aber auch zur sozial-liberalen Koalition von Gaston Thorn, zu Jacques Santer sowie später zu Jean-Claude Juncker.
Ende der 1980er Jahre widmete sich der Luxemburger Historiker immer mehr der Europageschichte. Er trat einem Netzwerk der Europäischen Kommission bei und wurde schließlich Direktor des „Centre Schuman“, ein Forschungszentrum zur europäischen Geschichte. Laut Wagener habe sich Trausch viel mit dem Thema Immigration auseinandergesetzt. Er setzte sich für die Regulierung der „sans-papiers“ ein und macht sich im Jahr 2005 für eine europäische Verfassung stark. Die zwischen den Maastrichter Verträgen und dem Verfassungsreferendum 2005 entstandene Diskussion um die europäische Identität tat Gilbert Trausch damals als Illusion ab.
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