Frankreich / Vor der Schicksalswahl
Der Rassemblement national hat die erste Runde der französischen Parlamentswahlen gewonnen. Jetzt ruhen die Hoffnungen auf der vereinigten Linke, um den Griff der Rechtsextremen nach der Macht zu verhindern.
Als die Flammen lodern, hat die sprichwörtliche heiße Phase der vorgezogenen französischen Parlamentswahlen schon begonnen. Eine Gruppe von Gewerkschaftlern der „Confédération générale du travail“ (CGT) versinnbildlichte fünf Tage vor dem Urnengang mit einem Protest-Piquet zwischen Thionville und Huckange die brenzlige Situation und bezog an einem Kreisverkehr Posten. Um auf sich aufmerksam zu machen, hatten sie Holz zusammengetragen und Feuer entfacht. Dass Frankreich ungemütliche Zeiten bevorstehen, hatte zuvor bereits Innenminister Gérald Darmanin zum Ausdruck gebracht, indem er die politische Situation im Hexagon als „hochentzündlich“ beschrieb.
Am Tag nach der ersten Runde der „Législatives“ am vergangenen Sonntag, die der rechtsradikale Rassemblement national (RN) deutlich gewonnen hat, ist nicht nur vielen Franzosen bewusst, dass die von Präsident Emmanuel Macron angestrebte „clarification indispensable“ – sein Versuch, für klare Verhältnisse zu sorgen – gescheitert ist und sich vielmehr in eine Katastrophe umkehren könnte, wie die Libération schrieb. Die Tageszeitung sprach sogar von einer „nouvelle géographie électorale“: der RN landesweit an der Spitze mit 33,2 Prozent der Wählerstimmen vor der neuen linken Allianz Nouveau Front populaire (NFP) mit 28,1 und Macrons Bündnis Ensemble mit 21 Prozent, gefolgt mit noch größerem Abstand von den konservativen Républicains mit rund 6,6 Prozent.
Der RN klopft mit Wucht an das Hôtel Matignon, den Sitz des Premierministers. Drinnen sind die Tage des 35-jährigen Amtsinhabers Gabriel Attal gezählt. Auf den langen Weg von Marine Le Pens Rechtsradikalen an die Macht angesprochen, sagt Marc aus Guénange, einer der protestierenden Gewerkschaftler vom Kreisverkehr bei Huckange: „Sie brauchten nicht einmal mehr richtig Wahlkampf zu machen.“ Die Partei, einst von dem für seine rassistischen und antisemitischen sowie den Holocaust verharmlosenden Äußerungen bekannten Jean-Marie Le Pen gegründet, hat unter der Führung von dessen Tochter Marine einen langen Prozess in Richtung politischer Mitte vollzogen. Ihr Vater wurde 2015 aus der Partei geworfen, und aus dem Front national wurde der Rassemblement national. Der Autor dieser Zeilen kann sich an eine Wahlkampfveranstaltung im März 2017 erinnern, als Marine Le Pen erstmals gegen Macron um die Präsidentschaft antrat. In den Arènes de Metz trat sie vor ihre Anhänger. Ihr Logo war eine blaue Rose. Das Motiv der Rose stammte von den Sozialisten, das Blau von den Bürgerlichen. Eine blaue Rose steht außerdem für ein Geheimnis. Mehr Symbolik ging nicht auf dem Weg der „dédiabolisation“. Marine Le Pen hatte ihre Partei aus der Schmuddelecke geholt. Wie viel Rechtsextremismus steckt noch in ihr? Ist sie gar staatstragend geworden?
Die Entteufelung der Rechten
In Metz vor sieben Jahren sprach Marine Le Pen davon, Frankreich in Ordnung zu bringen – „remettre la France en ordre“ – und warnte vor einem „Cocktail des menaces“ der Terrorgefahr und laschen Grenzkontrollen. Ansonsten hatte sie nicht mehr als ein glatt durchinszeniertes Abendprogramm mit viel nationalem Pathos und einem schmalzigen Filmchen, das die Kandidatin als Volksversteherin und Macherin zeigte. Le Pen kam damals in der Stichwahl gegen Macron auf knapp 34 Prozent, benannte die Partei ein Jahr später um und holte bei der nächsten Stichwahl gegen den Amtsinhaber sogar 42 Prozent.
Der RN wurde im Juni 2022 bei der Parlamentswahl stärkste Oppositionspartei. Die Klaviatur des rechten Populismus hat sich zwar seither wenig verändert. Die Partei will ein Referendum über die Einwanderung, vertritt eine Politik des „Frankreich zuerst“. Nur hat sich Le Pen allmählich von alten Hardlinern und auf internationaler Ebene etwa von der radikalisierten deutschen AfD distanziert. Schaut man sich die Wahlergebnisse vom vergangenen Sonntag an, ist Frankreich größtenteils dunkelblau eingefärbt, mit einigen Flicken. In der Provinz hat der RN die Hegemonie erobert, in den Städten dominieren eher Macrons Bündnis oder der NPF – so auch in den Städten der Großregion.
Während die Linke nach Macrons Ankündigung von Neuwahlen in Windeseile ihr Bündnis schmiedete, das derzeit noch als letztes Bollwerk gegen den herannahenden Erdrutschsieg der extremen Rechten Widerstand leistet, ist Ensemble nicht nur abgeschlagener Dritter. Die „Macronie“, wie die seit Beginn des einst unaufhaltsamen Aufstiegs des smarten und besonders von sich selbst überzeugten Präsidenten mehrfach umbenannte Bewegung noch genannt wird, als würde es sich um einen der Vergänglichkeit anheimgefallenen Zeitgeist handeln, zeigt Auflösungserscheinungen.
Derweil hat Marine Le Pen am Sonntagabend in Hénin-Beaumont den Triumph im hellen Scheinwerferlicht genossen. Sie hat ihren Wahlbezirk im Pas-de-Calais mit 58 Prozent der Wählerstimmen gleich im ersten Durchgang gewonnen. Während RN-Shootingstar Jordan Bardella, Gewinner bei den Europawahlen, Premierminister werden könnte, ist Marine Le Pens Ziel weiterhin der Elysée-Palast. Insgesamt gelang es 39 Kandidaten des RN, sich schon in der ersten Runde durchzusetzen, indem sie in ihrem Wahlbezirk die absolute Mehrheit erreichten – zwei davon im Département Moselle: Alexandre Loubet und Kévin Pfeffer. In den anderen 13 Wahlbezirken der Départements Meurthe-et-Moselle und Moselle kommt es am Sonntag, dem 7. Juli, zur Stichwahl: In den verbliebenen sieben „circonscriptions“ von Moselle führt nach der ersten Runde jeweils ein RN-Kandidat, in den sechs Bezirken von Meurthe-et-Moselle je drei vom RN und vom NFP.
„Alles nur schlechtes Theater“
„Nicht auszudenken, was uns bevorsteht“, sagt Sabine. Die Zahnarzthelferin hat sich mit einer Kollegin am zentralen Platz von Yutz in ein Café gesetzt. Sie hält den RN für „gefährlich“, nur stelle er sich dar, „als würde er die kleinen Leute vertreten“ und sei „gegen Migranten“. Sabine hat selbst einen Migrationshintergrund. Allgemein hält sie nicht viel von der Politik. „Alles nur schlechtes Theater“, sagt sie. Dabei gebe es so viele Probleme, von den Folgen des Klimawandels bis zu den steigenden Lebenshaltungskosten. Viele Menschen haben die Faxen dicke, „ras-le-bol“.
Eine Besonderheit bei den diesjährigen Wahlen zur Nationalversammlung ist, dass nicht nur zwei, sondern drei oder sogar vier Kandidaten in die Sichtwahl einziehen. Noch ist nicht alles verloren und steht nicht fest, dass der RN künftig die Mehrheit der Abgeordneten in der Nationalversammlung stellt. In den meisten Wahlkreisen ist der NFP der Hauptwidersacher des RN. Dagegen schaffte es Ensemble nicht mehr flächendeckend in die Stichwahlen.
Bis dahin kann es dazu kommen, dass sich ein Bündnis zwischen Ensemble und NFP gegen den RN ergibt. Sowohl Linke als auch Liberale kündigten in manchen Wahlbezirken bereits taktische Rückzüge ihrer Kandidaten zugunsten aussichtsreicherer Bewerber an. Linken-Führer Jean-Luc Mélenchon nannte seine Richtlinie: „keine einzige Stimme mehr für den Rassemblement national“. Und Macron rief in einer Pressemitteilung dazu auf, in der Stichwahl nur Kandidaten zu unterstützen, die „klar republikanisch und demokratisch“ sind. Manche fürchten, dass gerade sein Appell kontraproduktiv wirken könnte.
Die Verteufelung der Linken
Unterdessen sucht auch RN-Chef Bardella Verbündete und malt bereits den Teufel einer radikalen Linken um Mélenchon an die Wand, die „das Land ins Chaos führe und die Wirtschaft ruiniere (…), mit einer gewalttätigen, antisemitischen und antirepublikanischen Tendenz“. Und Le Pen warb dafür, ihrer Partei zur absoluten Mehrheit zu verhelfen, als sie sagte: „Ich rufe Sie auf, sich der Koalition der Freiheit, Sicherheit und Brüderlichkeit anzuschließen. Mobilisiert euch, damit das Volk gewinnt.“
Das Ergebnis der ersten Runde ist bereits als deutliche Niederlage für Macron zu werten – und als drastischer Einbruch der politischen Mitte. Sollte nun kein Lager eine absolute Mehrheit erzielen, stünde Frankreich vor schwierigen Koalitionsverhandlungen. „Wir befinden uns durch den Aufstieg der extremen Rechten in einer radikalen Zeit“, umschreibt die Schriftstellerin Diaty Diallo die Situation. Laut Prognosen könnten die Rechtsextremen mit 230 bis 280 Sitzen stärkste Kraft im Parlament werden, die absolute Mehrheit von 289 der insgesamt 577 Sitze aber verfehlen. Die Linken werden auf 125 bis 200 Sitze geschätzt, Macrons liberale Mitte dagegen auf nur noch 60 bis 100 Sitze. Sicher ist, dass es mit fast 70 Prozent bei französischen Parlamentswahlen schon seit 27 Jahr nicht mehr eine solch hohe Wahlbeteiligung gab.
Noch fünf Tage bleiben, um die Katastrophe zu verhindern. Im Laufe der Recherchen gab es durchaus Lichtblicke. Ibrahim, ein junger Kebab-Verkäufer aus Metz-Borny, sagte: „Ich war immer unpolitisch. Politik interessierte mich nie. Doch jetzt, angesichts der Gefahr von rechts, gehe ich wählen. Jetzt erst recht.“
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