Abschiebungen / Vor mehr als 20 Jahren schickte Luxemburg Taoufik Salmi und seine Familie zurück
Eine Abschiebung, die längst in Vergessenheit geraten zu sein schien, ist nach mehr als 20 Jahren plötzlich wieder präsent. Der Fall zeigt das Schicksal einer Familie sowie das Versagen der zuständigen Behörden und der Sicherheitskräfte – und er bietet Einblick in die Asylpolitik des damaligen Justizministers Luc Frieden.
Ein belebtes Café in einem Einkaufszentrum auf dem Kirchberg. Khadija Salimi wartet schon auf mich. Die 21-jährige Frau ist in Begleitung ihrer zwei Jahre älteren Schwester Imen Salmi und eines Freundes der Familie zu unserem Treffpunkt gekommen. Sie trägt einen dunklen Hidschab, der ihre Haare verdeckt. Ich sehe sie zum ersten Mal.
Einige Wochen vorher hatte mich ihr Vater Taoufik Salmi angeschrieben. Seine SMS kam wie aus heiterem Himmel. Seit vielen Jahren hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Sein Name schoss mir sofort ins Gedächtnis. Seine Geschichte war mir noch sehr präsent. Mit ihr ist das Schicksal seiner beiden Töchter, die mir nun im Café gegenübersitzen, untrennbar verbunden. Es ist eine Geschichte, bei der sich mehrere Erzählstränge und Zeitebenen überlagern und deren wichtigster Teil vor gut 20 Jahren begann – am 31. März 2003.
Damals herrschte in der Folge der 9/11-Anschläge noch in vielen Ländern der Welt eine Panik vor islamistischen Terrorattacken. So auch in Luxemburg. An jenem Wochenende Ende März 2003 starteten die hiesigen Sicherheitskräfte eine groß angelegte Razzia in „Islamistenkreisen“, wie es hieß. Etwa 20 Wohnungen, unter anderem in Bonneweg und Hamm, wurden durchsucht – zwei davon aus Versehen, wie sich später herausstellen sollte. Unter dem beschlagnahmten Material waren gefälschte Pässe und angebliches Propagandamaterial für den „Dschihad“, dazu Aufnahmen von EU-Gebäuden, wie mir einer der bei der Razzia Beteiligten später mitteilte.
Die Operation war monatelang vorbereitet worden. Es handelte sich um die erste Zusammenarbeit von Marco Mille, dem Direktor des „Service de renseignement de l’État“ (Srel), des Geheimdienstes, mit dem Operationsleiter Frank Schneider und dem Kriminalpolizisten André Kemmer, der später zum Geheimdienst wechselte. Die drei Männer sollten später auch die Hauptrollen in der Srel-Affäre um die Bespitzelung unter anderem von Premierminister Jean-Claude Juncker im Jahr 2007 spielen. Im Zuge der Affäre kündigte dieser schließlich im Juli 2013 Neuwahlen an.
Unter den durchsuchten Wohnungen war jene von Taoufik Salmi Kalifi, eines bosnisch-tunesischen Staatsbürgers, und seiner Familie, bestehend aus seiner aus Bosnien stammenden Frau und drei Kindern. Die Familie kam im Jahr 2000 nach Luxemburg, um hier Asyl zu beantragen. Die beiden jüngeren der Kinder waren in Luxemburg geboren: Khadija und Imen.
Unter Beobachtung des Geheimdienstes
Es hieß, Taoufik Salmi sei Mitglied von Ennahda, auch „Harakat an-Nahda“ genannt, einer Bewegung, deren Name auf das arabische Wort „Nahda“ für „Wiedererwachen“ oder „Wiedergeburt“ zurückzuführen ist. Unter der Herrschaft des tunesischen Diktators Zine el-Abidine Ben Ali war die Organisation verboten, ihre Anhänger wurden politisch verfolgt – der Grund, weshalb Taoufik nach Luxemburg gekommen war, um hier Asyl zu beantragen. Heute ist Ennahda, die nach dem Arabischen Frühling 2010/2011, auch „Jasminrevolution“ genannt, flächendeckend Parteistrukturen in Tunesien aufgebaut hat, eine einflussreiche Partei in dem nordafrikanischen Land.
Taoufik Salmi wurde vorgeworfen, einem islamistischen Netzwerk anzugehören. Nach Geheimdienst-Quellen war er in den 90er Jahren als „Mudschahid“ – was fälschlicherweise oft mit „Gotteskrieger“ übersetzt wird, dabei heißt es eher „Gottes Weg zu folgen“ – im Bosnien-Krieg auf bosnischer Seite aktiv. Dort hatte er auch seine Frau kennengelernt, aus dieser Zeit dürfte auch sein Deckname Mohammed Dawarski stammen. Als Kämpfer soll er laut Srel-Informationen in einem Camp in Syrien ausgebildet worden und zudem mit dem seit 1989 in Österreich ansässigen gebürtigen Sudanesen Masaad Omar Behari, ein mutmaßliches Al-Kaida-Mitglied, in Kontakt gewesen sein. Die Geheimdienstler vermuteten sogar, dass Taoufik Salmi alias Mohammed Dawarski als sogenannter Schläfer untergetaucht war.
Die luxemburgische Regierung fackelte nicht lange. Taoufik Salmis Asylantrag war längst abgelehnt worden. Er habe nicht glaubhaft darlegen können, ein Verfolgter des Ben-Ali-Regimes zu sein. Das Verwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung im März 2002. Der für Asylfragen zuständige Justizminister Luc Frieden galt als Hardliner, und Premierminister Jean-Claude Juncker sagte bei einem Pressebriefing: „Seien Sie froh, dass er (Taoufik Salmi; Anm. d. Red.) nicht mehr im Lande ist. Frau und Kind wurden mitausgewiesen. Es soll niemand sagen, wir würden Familien auseinanderreißen.“
Jedenfalls wurde Taoufik Salmi am 3. April 2003 nach Tunesien abgeschoben, obwohl sein Anwalt Mourad Srebki mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass eine Abschiebung in den Folterstaat gegen internationales Recht verstoße, Taoufik Salmi mittlerweile auch die bosnische Staatsbürgerschaft besitze und ihm in seinem Heimatland die politische Verfolgung und Haft oder Schlimmeres drohe. „Die Regierung hat ihn dem Folterstaat von Ben Ali ausgeliefert.“ In der Tat wurde Taoufik Salmi noch am Flughafen festgenommen.
Ben Ali, der seit 1987 mit eiserner Hand regierte und einen Polizeistaat errichtet hatte, richtete die Repression vor allem gegen islamische Fundamentalisten. Sie wurden mit Terroristen gleichgesetzt. Diesem Vorwurf sah sich auch Mohsen Makni ausgesetzt. Der Tunesier lebte bereits längere Zeit mit seiner Familie in Luxemburg und führte eine Halal-Metzgerei. Als er 2008 in seine Heimat zu reisen versuchte, wurde auch er bereits bei der Einreise festgenommen. Ein Gericht verurteilte ihn zu 20 Jahren Haft. Die Strafe wurde später auf sieben Jahre reduziert, fünf davon auf Bewährung. Während Makni im Gefängnis in Sfax saß, in einer Zelle zusammen mit 70 weiteren Häftlingen, bat seine Frau in Luxemburg Außenminister Jean Asselborn um Hilfe. Dem Chefdiplomaten gelang es über seinen Kontakt zu seinem tunesischen Amtskollegen, Makni freizubekommen.
„Aus Scham und Angst versteckt“
Einmal sei er Taoufik Salmi begegnet, sagte mir Mohsen Makni in einem Interview 2011: „Dieser Mann, den ich in Luxemburg nur als Kunde in meinem Geschäft und unter dem Namen Mohammed kannte, war ein gebrochener Mann. Er zitterte am ganzen Körper und schrie.“ Während seiner Haftzeit wurde Taoufik Salmi 38 Tage lang gefoltert. Er blieb bis 2009 im Gefängnis. Zwei Jahre später konnte ich mit ihm telefonieren. „Ja, ich bin es“, sagte er mit gebrochener Stimme. „Ich bin frei.“
Richtig frei fühle er sich erst seit dem 14. Januar 2011, seit jenem Tag, an dem Diktator Ben Ali gestürzt worden sei, erklärte er. Seine Frau war verschwunden. Während er im Gefängnis war, lebte die junge Bosnierin mit den Kindern in Sidi Bouzid, einer Kleinstadt etwa 250 Kilometer von Tunis entfernt. Taoufik schilderte mir das Schicksal seiner Frau. Polizisten hätten sie immer wieder aufgesucht, sie vergewaltigt und Fotos davon gemacht. „Sie haben Fotos davon gemacht und ihr gedroht, sie würden mir die Bilder zeigen“, sagte er. „Aus Angst und Scham hat sie sich versteckt.“
Sie legten mich in Ketten, schlugen mich mit Stuhl- und Tischbeinen am ganzen Körper und hängten mich mit dem Kopf nach unten an der Decke aufFolteropfer
Über seine eigene Gefangenschaft berichtete er: „Sie legten mich in Ketten, schlugen mich mit Stuhl- und Tischbeinen am ganzen Körper und hängten mich mit dem Kopf nach unten an der Decke auf.“ Im Fachjargon der Folterexperten wurde die Vorgehensweise übrigens „poulet rôti“ genannt, weil das Opfer dabei wie ein Brathähnchen gefesselt wird. Die Verteidigung Taoufik Salmis vor Ort in Tunesien hatte die international bekannte Rechtsanwältin Radhia Nasraoui übernommen, die selbst der Repression und Gewalt des Ben-Ali-Regimes ausgesetzt und in den Hungerstreik geraten war.
Radhia Nasraoui hat Taoufik Salmi in der Untersuchungshaft häufig besucht. In einem Interview bestätigte sie mir: „Die Wunden der Folter waren deutlich zu erkennen.“ Taoufik Salmi hatte noch lange unter den Folgen der Folter zu leiden. „Mein Rücken und mein Kopf schmerzen ständig“, sagte er mir im Interview. „Es ist manchmal unerträglich.“ Der Fall wirbelte in Luxemburg einigen Staub auf und war zumindest Thema einer parlamentarischen Anfrage des damaligen Linken-Abgeordneten André Hoffmann.
Die Rückkehr der Töchter
Auch Taoufik Salmis Kinder mussten zahlreiche Entbehrungen in Kauf nehmen. Khadija und Imen wuchsen in Sidi Bouzid auf. Tunesien war für sie ein fremdes Land, das sie erst allmählich kennenlernten. Auch für ihre Mutter, die längst wieder in Bosnien lebt. Die Ehe mit Taoufik Salmi wurde geschieden. Sie ist mittlerweile wieder verheiratet. Khadija und Imen haben sie besucht, bevor sie nach Luxemburg gekommen sind. In das Land, in dem sie geboren sind – und in dem sie, fast ein Vierteljahrhundert nach ihren Eltern, wieder um Zuflucht bitten.
Zum Schluss unserer ersten Begegnung sagt mir Khadija noch, dass ihr Nachname Salimi – im Gegensatz zu dem Namen Salmi ihres Vaters und ihrer Schwester – auf einen Schreibfehler der hiesigen Behörde bei der Registrierung des Geburtsnamens zurückzuführen sei. Es war nicht der einzige Fehler, der in Luxemburg begangen wurde.
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-Tunesien ist das einzige Land in dem der arabische Fruehling erfolgreich war ? Trotz EU Geldsegen ,weil man das Pflaenzien Demokratie hegen und gedeihen lassen wollte gibt es in dem Land weder Demokratie noch Wohstand ,und mit Saided steht man wieder da wo man mit Ben Ali aufgehoert hatte . Dass die Frauen in Tunesien heute so stark und emanzipiert sind ist Ben Ali zu verdanken , dass Mme Ben Ali und ihr Clan die Staatskasse pluenderten ist ein anderes Kapitel .