Trier / Vorwürfe gegen Ermittler: Neues Buch über den Fall „Tanja Gräff“ heute Thema bei „stern TV“
Das Verschwinden der Trierer Studentin Tanja Gräff war erst ein Vermissten- und dann ein ebenso rätselhafter Todesfall. Den offiziellen Erklärungen, mit denen die Ermittlungen schließlich eingestellt wurden, schlägt jetzt neue Kritik entgegen: in Form eines Buches, für das mehrere Jahre recherchiert wurde. Die darin enthaltenen Thesen sind heute Abend auch Thema bei „stern TV“.
Der Fall Tanja Gräff hat weit über Trier hinaus die Menschen jahrelang tief bewegt – und ist, ganz offensichtlich, für viele Menschen nie befriedigend aufgeklärt worden. Und das, obwohl die Ermittlungen um die jahrelang vermisste und dann tot aufgefundene Studentin längst eingestellt sind.
Zur Erinnerung: Die in Trier geborene Studentin verschwand im Juni 2007 nach einem Fest an der örtlichen Fachhochschule (FH) und galt danach jahrelang als vermisst. Es gab viele Ermittlungen, öffentliche Aufrufe und, natürlich, auch viele Theorien verschiedenster Art, was passiert sein könnte. Die Polizei sah damals auch mögliche Verbindungen nach Luxemburg, suchte etwa in einem Baggersee im Großherzogtum.
2015 wurden dann Tanja Gräffs sterbliche Überreste gefunden: In kurzer Entfernung zur FH, am Fuße der roten Sandsteinfelsen, die sich im Westen entlang der Mosel ziehen. Schnell gab es kritische Stimmen dazu, wie die Ermittler die Leiche, die offenbar jahrelang direkt neben einem Mehrfamilienhaus gelegen hat, übersehen konnten. Und es gab Spekulationen dazu, wieso die junge Frau, die sich laut Hinweisen am frühen Morgen des 7. Juni 2007 auf den Weg ins nahegelegene Stadtgebiet begeben wollte, stattdessen erst mehr als einen Kilometer in ganz andere Richtung, nämlich entlang der roten Felsen gegangen sein soll – und wieso sie dann von dort abgestürzt ist.
„Psychisch auffällig“
Polizei und Staatsanwaltschaft hatten bald für diese Aspekte Erklärungen: Die Leiche habe sich in sehr unwegsamem, unzugänglichem Gelände befunden und sei durch dichte Baumkronen auch aus der Luft nicht sichtbar gewesen. Außerdem erklärten die Ermittler plötzlich, die junge Frau sei ohnehin psychisch auffällig gewesen und habe sich in einer Ausnahmesituation befunden – und stuften das Geschehen als Unfall ein. Selbst ein Suizid wurde nicht ausgeschlossen. Dass sie vom Felsen gestoßen wurde, aber sehr wohl.
Nicht nur die Mutter von Tanja Gräff kritisierte die zugrunde gelegten Annahmen, wie auch die Charakterisierung ihrer Tochter. Derzeit erfahren die Ermittlungsergebnisse neue Kritik – geübt von der Autorin Beate Lehr in ihrem Buch „Tanja Gräff – ein ungeklärter Fall“ (herausgegeben unter dem Recherche-Pseudonym Claire Sandberg). Für das mehr als 500-seitige Werk hat die Journalistin nicht nur auf sekundäre Quellen zurückgegriffen, sondern hat nach eigenen Angaben über mehrere Jahre lang mit praktisch allen wichtigen Zeugen gesprochen. Lehr zitiert zudem aus Vernehmungsprotokollen und Ermittlungsakten, die ihr teilweise zugespielt wurden. Außerdem habe Lehr mit ihrem Team Ortsbegehungen durchgeführt und mit Spezialisten auch 3D-Modelle und Phantombilder angefertigt oder die Lage von Handy-Funkzellen nachvollzogen.
Das Resultat der 2014 begonnenen Recherche ist nicht nur ein minutiöses Nachzeichnen dessen, was sich beim Sommerfest und in der Zeit danach zugetragen hat beziehungsweise haben könnte – sondern eben auch eine tiefgreifende Kritik: Folgt man den Ausführungen der Autorin, ergibt sich nämlich ein beunruhigendes Bild: So reihte sich nicht nur eine Ermittlungspanne an die nächste, sondern es gab, so wird es im Buch dargestellt, auch eine frühe Vertuschungsaktion, die ausgerechnet die letzte verifizierte Sichtung der lebenden Tanja Gräff betrifft. Nach einem enorm wichtigen Zeugen sei daher niemals ernsthaft gesucht worden, schon gar nicht öffentlich, behauptet Lehr.
Beitrag zweimal verschoben
Am Mittwochabend sind das neue Werk und die darin enthaltene Thesen Thema in der Nachrichtensendung „stern TV“. Dass der betreffende Beitrag bereits zweimal angekündigt und verschoben worden war, hat die Gerüchteküche prompt wieder brodeln lassen. Die Staatsanwaltschaft Trier habe die Ausstrahlung „untersagt“, wurde etwa bei Facebook geraunt.
Auf Tageblatt-Anfrage erklärte die Redaktion von „stern TV“ am Montag, aktuellere Themen hätten das etwas zeitlosere Thema „Tanja Gräff“ verdrängt. Und auch die Staatsanwaltschaft bestreitet jedwede Einflussnahme. „Kontakt mit Stern-TV bestand allein im Rahmen einer an die Staatsanwaltschaft Trier gerichteten Presseanfrage“, schreibt der leitende Oberstaatsanwalt Peter Fritzen auf Tageblatt-Anfrage. Man habe lediglich darauf hingewiesen, „dass die Anfrage nicht in der gewünschten Frist bearbeitet werden könne“.
Auch Beate Lehr zeigt sich unglücklich über die neuen Gerüchte im Internet: „Das ist ja genau die Art von substanzlosem Gerede, mit dem ich nichts zu tun haben will“, sagt die Buchautorin auf Anfrage des Tageblatt – und fügt hinzu, dass sie „nicht die Miss Marple spielen will“: Das Buch enthalte zwar eine Theorie dazu, was am verhängnisvollen Sommermorgen 2007 geschehen sein könnte, allerdings sei dies nur als Gegenthese zur These der Polizeipsychologin aufgezeigt worden, schreibt Lehr dem Tageblatt. Sie wolle nur „Fehler und Fehlverhalten aufzeigen“ – doch die Ermittlungen überlasse sie allzu gern den Profis. „Aber dazu ist es nötig, dass die endlich ordentliche Arbeit leisten!“
Ansonsten stellt sie sich nach den bisherigen Ermittlungen zwei Dinge vor, die jetzt kommen müssten: eine Fachaufsichtsbeschwerde wegen der Einstellung der Ermittlungen – und einen Untersuchungsausschuss im Landtag von Rheinland-Pfalz.
„stern TV“ läuft am Mittwoch, 28. Juni, um 22.35 Uhr bei RTL (Deutschland).
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Der Unwille mancher Ermittlungsbehörden gerade in Trier ist ebenso bekannt wie beängstigend.
Die Psychopathologisierung von Opfern oder auch Tätern verkürzt die Ermittlungen enorm. So geschah es mit Tanja Gräff, die dann 10 Jahre post-hum einer für die Hinterbliebenen katastrophalen wie zweifelhaften psychiatrischen Beurteilung unterzogen wurde, wonach dann „die Sache erledigt war“.
Auch der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof beschäftigt sich mit dem „Amokfahrer“, der die Tat nach Auffassung der Justiz „im Wahn“ begangen haben soll. Das verträgt sich jedoch nicht mit der Vorbereitung der Tat, wie der Generalbundesanwalt meint.