/ Wächter der Geschwindigkeit: Blitzer feiern 15. Geburtstag auf Frankreichs Straßen
In Frankreich haben die Bürger allgemein „Angst vor dem Gendarmen“. Seit 15 Jahren gibt es eine zweite Angst, auch wenn sie sich mittlerweile abschwächt: die vor dem Radargerät.
Es war eine jener Entscheidungen, wie sie französische Autofahrer nicht mögen. Die Zahl der Todesopfer auf den Straßen sollte gesenkt werden. Aber wie? Verkehrsminister Gilles de Robien und Innenminister Nicolas Sarkozy, später Staatspräsident, stritten über das Thema. Am Ende fiel die Entscheidung zugunsten fester Standradars, die überall auf Frankreichs Straßen aufgestellt werden sollten. Ein Teil des Kompromisses, den beide Politiker fanden, hilft den Autofahrern in Frankreich ganz enorm: Zwischen 500 Metern und einem Kilometer vor einem Radargerät gibt es große Schilder mit Warnhinweis auf die Radarfalle. Der Franzose sollte eine Chance gegenüber dem Blitzer haben. Ende Oktober 2003 stand Nicolas Sarkozy am Rande einer Landstraße und zog eine Haube vom ersten fixen Radargerät in Frankreich. Er wusste es vermutlich nicht, aber damit wurde eine neue Ära im Straßenverkehr im „Hexagone“ eröffnet.
Heute stehen an Frankreichs Straßen 4.700 Radargeräte, die laut Frankreichs Haushaltsplan in diesem Jahr um die 1,2 Milliarden Euro „erblitzen“ sollen. Unter den 4.700 steht eines auf der Autobahn 31 von Metz nach Toul in Lothringen mit rekordverdächtigen 120.000 Auslösungen im Jahr. Radargeräte, so die damalige Vorstellung, sollten überall dort aufgestellt werden, wo es Gefahren gibt. Davon ist Frankreich heutzutage weit entfernt. Es gibt Radarfallen, die nur einmal im Jahr blitzen oder
gerade eben 14 Mal. Sie sind unrentabel, bleiben aber auf Wunsch von
Bürgermeistern oder Präfekten dort stehen, werden gewartet, aber nicht gebraucht.
Ihr Ziel, die Sterblichkeit auf Frankreichs Straßen zu reduzieren, haben sie teilweise erreicht. Von 2003 bis 2012 sollen sie 23.000 Verkehrstote verhindert haben, rechnet die französische Straßenwacht vor. Um an das für 2020 geplante Ziel von 2.000 Verkehrstoten zu kommen, ist noch ein weiter Weg zurückzulegen. Im vergangenen Jahr waren es 3.684 Verkehrstote, die das „Hexagone“ zu beklagen hatte.
80 km/h auf der Landstraße
Der Philosophie nach hat man größere Chancen, bei einem Unfall zu überleben, wenn die Geschwindigkeit nicht so hoch ist. Frankreich hat daher die Geschwindigkeit für die Straßenarten klar definiert: Auf zweispurigen Landstraßen liegt sie seit dem Sommer dieses Jahres bei 80 km/h. Das hat die Franzosen verärgert. Die Regierung von Emmanuel Macron hat diese Begrenzung für alle zweispurigen Straßen in Frankreich durchgesetzt.
Es gab gewichtige Stimmen, die die Herabsetzung von 90 auf 80 km/h je nach Region und Gefährlichkeit der Straßen den Bürgermeistern und Départements und Präfekten überlassen wollten. Paris entschied sich für eine zentrale Regelung, die nicht verstanden wurde und erzürnte. Die Radargeräte blitzen jetzt bei 80 km/h. Bei vierspurigen Straßen beträgt die erlaubte Höchstgeschwindigkeit 110 km/h. Auf Autobahnen 130 km/h, bei Regen 110 km/h. Die Frage ist, wann Regen ist. Hier gibt es eine Luxemburger Ansicht, die die vernünftigste ist. 110 km/h gelten dann, wenn man wegen Regens die Scheibenwischer einschaltet. Mit dieser Regelung dürfte man auch in Frankreich keine Probleme haben.
Seit 2013 hat sich nach und nach das Fahrverhalten verändert. Vorsichtige Autofahrer verärgern ihre Hintermänner dadurch, dass sie um die fünf Kilometer unter den vorgeschriebenen 80 km/h auf der Landstraße bleiben. Auf der Autobahn beschleunigen viele Fahrer bis auf 134 km/h, in der nicht unrichtigen Vermutung, dass sie erst ab 135 km/h geblitzt werden. Luxemburger Autofahrer kann man auf französischen Autobahnen auch schneller beobachten. Aber Vorsicht: Die Strafmandate werden auch in Luxemburg zugestellt.
Was kostet das „Knöllchen“?
Zwischen 1 und 19 Kilometern zu schnell darf man mit 95 Euro rechnen. Zahlt man innerhalb von zwei Wochen per Überweisung oder Steuermarke (die man in Tabakläden kauft), kommt man mit 45 Euro davon. Französische Führerscheine werden je nach Geschwindigkeit mit einem bis drei Punkten belastet. Frankreich kennt hier bei der Durchsetzung des Zieles, die Zahl der Verkehrstoten zu senken, keinen Pardon.
Die Radargeräte sind in der Vergangenheit so angebracht worden, dass die Autos von hinten geblitzt wurden. Das hat sich geändert. Viele Geräte blitzen heutzutage von vorne. Und das neueste Radargerät ist ein wahres technologisches Wunder. Es steht auf einem vier Meter hohen Pfahl und kann auf acht Spuren die Autos finden, die zu schnell sind.
Die Radarfallen haben in Frankreich die Philosophie im Umgang mit dem Autofahrer verändert. An jeder Auffahrt, auch dann, wenn man von einem Parkplatz auf eine Straße fährt, steht ein Schild mit der geltenden Geschwindigkeitsbegrenzung. Diese erlaubte Höchstgeschwindigkeit wird auf dem jeweiligen Straßenabschnitt dauernd wiederholt. Wer dann geblitzt wird, hat keine Entschuldigung mehr. Es war diese Transparenz, die der damalige Innenminister Sarkozy durchsetzte.
53.142 Menschenleben sollen die Radargeräte gerettet haben
Eine interministerielle Arbeitsgruppe hat den „Erfolg“ der Radargeräte in den vergangenen 15 Jahren auf 420 Milliarden Euro beziffert. Sie geht davon aus, dass man 180 Milliarden dadurch eingespart hat, dass man in den vergangenen 15 Jahren 53.142 Menschenleben gerettet hat. Sie schätzt zudem, dass die Krankenkassen 240 Milliarden Euro weniger ausgeben mussten, weil es weniger Verletzte gab. Die Arbeitsgruppe nahm dabei an, dass ein Menschenleben 3,4 Millionen Euro wert ist und dass ein in ein Krankenhaus eingelieferter Verletzter im Durchschnitt Kosten in Höhe von 420.000 Euro verursacht.
Es ist üblich geworden, dass man auf den Straßen nach dem Radar-Warnschild die Geschwindigkeit reduziert, sie aber danach wieder erhöht. Die Angst vor dem Radar lässt also nach.
Allerdings sollte die Angst vor dem Gendarmen in Frankreich nicht unterschätzt werden. Denn der befindet sich häufig mit einem besonderen Fernrohr auf der nächsten Brücke, das die Geschwindigkeit anzeigt. Entweder es fotografiert auch oder an der nächsten Zahlstelle wird das Auto herausgewunken, um den Fahrer zu verwarnen. Frankreichs Gendarmerie hat in Zwischenzeit Radarfallen in Zivilfahrzeuge eingebaut und fährt mit ihnen durch die Gegend.
So wie auf der Autobahn Luxemburg- Metz steht das Auto zum Beispiel bei Thionville harmlos am Rand und fotografiert alle, die mehr als 90 km/h fahren. Da die Gendarmen nicht genügend Zeit haben und solche Autos nur einige Stunden von ihnen genutzt werden, sollen sie zukünftig von Zivilisten gefahren werden. Das Radargerät an der Rückscheibe des Kombis macht dann den Rest. Frankreich setzt die Geschwindigkeitsbegrenzungen mit aller Härte durch. Das erste Gerät an der Nationalstraße 20 funktioniert immer noch. Im vergangenen Jahr blitzte es 33.000-mal.
Ein verhängnisvolles Selfie
Die Franzosen mögen ihre Radargeräte nicht. Von Beginn an wurden diese sabotiert, im schlimmsten Fall auch zerstört, beispielsweise bei den Protesten der roten Mützen 2012 und 2013 gegen eine Ökosteuer für Lastwagen.
Bei den Demos der gelben Westen in den vergangenen vier Wochen wurden Radargeräte entlang der Straßen massenhaft mit Farbe überstrichen oder mit rot-weißen Warnbändern eingewickelt. Ein Westenträger war besonders schlau: Als er ein Radargerät außer Betrieb setzte, filmte er sich dabei und stellte das Video ins Netz. Er war sehr erstaunt, als danach die Gendarmerie vor seiner Tür stand.
Tiere mögen die Radargeräte. Spinnen hatten ein Gerät so umwickelt, dass die Kamera meinte, es herrsche dichter Nebel, und alle Autos blitzte, die mit 130 km/h daran vorbeifuhren.
Knappe Marge in Luxemburg
Radarsysteme sind in allen Nachbarländern Luxemburgs heutzutage üblich. In Belgien wird, wie in Frankreich, vor den Radargeräten gewarnt. Allerdings wird in Belgien vor einer „Radarzone“ gewarnt, in der das Radargerät im Prinzip nicht zu erkennen ist. Bei punktuellen Kontrollen auf der Autobahn fahren Motorrad-Polizisten dem betroffenen Fahrzeug hinterher. In Deutschland gibt es nur punktuelle Begrenzungen der Geschwindigkeit. Bei Baustellen mit einer Begrenzung von 80 km/h muss man grundsätzlich davon ausgehen, dass eine kleine Kamera blitzt. Allerdings werden in Deutschland, wo eine nicht verbindliche Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen gilt, immer dann Radargeräte aufgestellt, wenn es eine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt. Ein kleines Schild unter dem mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit weist dann in der Regel auf die Radarkontrolle hin.
In Luxemburg sind seit 2016 Radar-Standgeräte eingerichtet worden. Ihre Zahl liegt bei um die 30. Die Dichte der Geräte nimmt im Bereich der Hauptstadt und des Südens zu, wie Karten zeigen. Die Geräte lassen eine kleine Marge zu. Wer in einer Tempo-70-Zone mit 73 km/h fährt, wird nicht geblitzt, ab 74 km/h allerdings schon. Die Marge liegt bei knapp 3 Prozent.
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