Köpfe 2024 / Wahljahr: Favoriten und Herausforderinnen in Indien, den USA, Venezuela und Großbritannien
An die 70 Wahlen werden in diesem Jahr weltweit abgehalten. Eine der bedeutendsten ist zweifellos das Rennen um das Weiße Haus in den USA. Doch auch die Wahlen für das Europäische Parlament, der mehrtägige Urnengang in Indien, Wahlen in Indonesien, Südafrika oder Großbritannien sind von Bedeutung. Auf jeden Fall mehr als die Präsidentschaftswahl in Russland, die bereits jetzt entschieden ist. Wir werfen einen Blick auf Favoriten und Herausforderinnen, die in diesem Jahr noch von sich reden machen werden.
Narendra Modi: Seit 2014 stellt die hindu-nationalistische Indische Volkspartei (BJP) die Regierung, deren Chef, Narendra Modi, auch die kommenden fünf Jahre Regierungschef bleiben will. Zwar steht dem indischen Premierminister mit Rahul Gandhi und dessen Kongresspartei ein historisch bedeutender Herausforderer gegenüber. Doch Umfragen zufolge dürfte die BJP bei den während mehrerer Wochen im April und Mai stattfindenden Wahlen wieder als stärkste Kraft hervorgehen. Bei Wahlen in fünf Bundesstaaten im Dezember erhielten die Hindu-Nationalisten weiteren Auftrieb. Dabei konnten sie unter anderem in der bisherigen Hochburg der konkurrierenden Kongresspartei den Bundesstaat Chhattisgarh gewinnen. Narendra Modi fährt eine rechtspopulistische – einige würden sagen, eine rechtsextreme – Politik und wird für die zunehmende Polarisierung in der indischen Gesellschaft verantwortlich gemacht. Während seiner Regierungszeit haben sich sowohl die Menschenrechte als auch die Demokratie im Land verschlechtert. Nach außen hat er Indien zu einem gewichtigen Akteur in der internationalen Politik aufgebaut. Modi weiß sich geschickt zwischen den anderen Groß- und Regionalmächten wie den USA, China und Russland zu positionieren. Zwar betreibt Indien einen immer regeren Handel mit Russland. Und auch zu China versucht Modi trotz immer wiederkehrender Spannungen an der gemeinsamen Grenze und den chinesischen Hegemonialansprüchen in der Region gute Beziehungen aufzubauen. Gleichzeitig aber sucht der indische Premierminister im sogenannten „quatrilateralen Sicherheitsdialog“ (Quad) die Nähe zu den USA, Japan und Australien. Nicht zuletzt wegen seines an die Bewegung der Blockfreien Staaten aus den Zeiten des Kalten Krieges ist es schon von Bedeutung, wer das selbstbewusst auftretende und mittlerweile bevölkerungsreichste Land der Erde führt.
Nikki Haley: Sie ist die Hoffnung für viele Republikaner, die eine weitere Präsidentschaftskandidatur Donald Trumps verhindern wollen: Nikki Haley. Als die ehemalige Gouverneurin ihres Heimatstaates South Carolina am 14. Februar vergangenen Jahres ihre Kandidatur bekannt gab, wurde sie als nette, aber chancenlose Konkurrentin neben den damals bereits erwarteten Kandidaturen des Gouverneurs von Florida, Ron DeSantis, sowie dem bereits wieder zurückgetretenen ehemaligen US-Vizepräsidenten Mike Pence zur Kenntnis genommen. Als Herausforderin für Trump, während dessen Amtszeit sie als Botschafterin bei den Vereinten Nationen fungierte, wurde sie nicht gesehen. Nun aber scheint sich das Blatt immer mehr zu ihren Gunsten zu drehen. In Umfragen hat sie jüngst den in Trumps Verfolgerfeld führenden Ron DeSantis hinter sich gelassen. Ohne jedoch dem zumindest bei republikanischen Wählern bislang favorisierten Ex-Präsidenten bedrohlich näher zu kommen. Doch der Trend geht in diese Richtung. Vor allem, was ihre Unterstützer anbelangt. Ende November kündigte das von den Milliardärsbrüdern Charles und David Koch gegründete politische Netzwerk Americans for Prosperity an, Nikki Haley bei den Wahlen zu unterstützen. Seitdem würden es immer mehr Vertreter aus der Geldelite des Landes den Koch-Brüdern gleich tun, wusste die Neue Zürcher Zeitung unlängst zu berichten. Denn Nikki Haley ist eine klassische Republikanerin, mit einem gepflegteren Auftreten als der bisherige Platzhirsch: wenig Steuern, wenig Sozialausgaben, konservative Haltung bei Gesellschaftsfragen, offensive Außenpolitik. Immerhin hat sich die bald 52-Jährige deutlich für eine Unterstützung der Ukraine ausgesprochen. Am 15. Januar steigt in Iowa die erste republikanische Vorwahl, es folgt am 23. Januar jene in New Hampshire. Dort macht der sehr populäre republikanische Gouverneur Chris Sununu Werbung für Haley.
Maria Corina Machado: Ein genaues Datum ist noch nicht bekannt, doch steht fest, im zweiten Halbjahr finden in Venezuela Präsidentschaftswahlen statt. Darauf hatten sich die Regierung und Teile der Opposition im Oktober vergangenen Jahres geeinigt. Zuvor allerdings hatte der autoritär regierende Präsident Nicolás Maduro dafür gesorgt, dass seine Herausforderin aus dem bürgerlichen Lager von der Wahl ausgeschlossen wird. Im Juli verbot die venezolanische Staatsanwaltschaft der populärsten Oppositionspolitikerin des Landes, Maria Corina Machado, während 15 Jahren ein öffentliches Amt auszuüben. Dem trotzte die aus einer Unternehmerfamilie stammende und somit der Oberschicht des Landes angehörende 56-Jährige. Ende Oktober wurde sie in einer Vorwahl, an der mehr als zwei Millionen Menschen unter offenbar widrigen Umständen teilgenommen hatten, mit rund 93 Prozent zur Kandidatin der bislang uneinigen venezolanischen Opposition gewählt. Auch wenn führende Oppositionelle nicht ganz mit dieser Wahl zufrieden sein dürften. Ob Maria Corina Machado letztlich antreten darf und wird, muss sich noch zeigen. Immerhin sieht die unter Vermittlung der USA getroffene Vereinbarung zu den Wahlen neben der Zulassung internationaler Wahlbeobachter ebenfalls vor, dass jeder seine Kandidatin auswählen darf. Machado setzt denn auch weiterhin auf die USA, die Nicolás Maduro weitere Lockerungen von Sanktionen in Aussicht gestellt haben, die vor allem wegen der sehr umstrittenen letzten Präsidentschaftswahlen gegen das ölreiche Land verhängt wurden. Doch tut Washington das nicht allein wegen Machado. Denn mittlerweile stellen Menschen aus Venezuela den größten Teil der illegalen Migranten, die über die mexikanische Grenze in die USA drängen, um dem Chaos, der Korruption und Gewalt, die sich unter Nicolás Maduro ausgebreitet haben, zu entrinnen.
Keir Starmer: Eigentlich müssten die in diesem Jahr – vermutlich im Herbst – im Vereinigten Königreich anstehenden Wahlen für die Labour-Partei ein Selbstläufer sein. Darauf deuten nicht nur seit Monaten anhaltend gute Umfragewerte hin. Es sind auch die zum Teil chaotischen Zustände bei den regierenden Torys, die seit und mit dem Brexit keinen Halt mehr finden. Und so nimmt Keir Starmer denn auch schon bei führenden Politikern im Ausland Anlauf, besuchte vor einem Jahr den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew, traf sich im September mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau in Montreal, sowie mit Emmanuel Macron in Paris. Anders als sein Vorgänger, Jeremy Corbyn, der einen deutlich linken Kurs fuhr, allerdings wegen Antisemitismus-Vorwürfen und schließlich der verlorenen Wahl 2019 den Platz an der Labour-Spitze wieder räumen musste, zieht es Keir Starmer in die Mitte. Der 61-Jährige ist ein klassischer Sozialdemokrat, schaffte den Aufstieg aus einfachen Verhältnissen – seine Mutter war Krankenschwester, sein Vater Werkzeugmacher – zum angesehenen Staatsanwalt und darf sich ob seiner Leistungen „Sir“ nennen. Rhetorisches Talent wird ihm ebenso wenig nachgesagt wie mitreißende Parteitagsreden. Das aber könnte ihm zum Problem werden, wenn sich im Wahlkampf die Gemüter aufgeheizt und die auf der Insel an Populismus nicht arme politische Debattenkultur Betriebstemperatur erreicht hat. Dann könnte der sachliche Ton Keir Starmers den Umfragevorsprung belasten. Andererseits gründet das Hoch von Labour in den Umfragen vor allem auf der Schwäche und Perspektivlosigkeit der Tories. Da könnte Sachlichkeit und Pragmatismus, wie ihn Keir Starmer verkörpert, zum Erfolg führen.
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