Ettelbrück / Warten auf frischen Wind: Ein politischer Rück- und Ausblick
„Man kann sicherlich nicht sagen, dass in den letzten sechs Jahren nichts passiert wäre; dennoch schafften es viele wichtige Projekte leider nicht vom Schreibtisch weg“, so der heutige Erste Schöffe und Anwärter auf den Bürgermeisterposten, Bob Steichen (LSAP). Oppositionsrat Jean-Pierre Gutenkauf (DP) hebt vor allem die Themen Sicherheit, Verkehr, Stadtkern hervor. „Es bleibt viel, sehr viel zu tun!“
Nach den Gemeindewahlen von 2017 sah das Sitzverhältnis im Ettelbrücker Gemeinderat wie folgt aus: CSV 5; LSAP 4; „déi gréng“ 2; DP 2. Die beiden am stärksten gewählten Parteien machten die Koalition unter sich aus. Der Schöffenrat setzte sich aus Bürgermeister Jean-Paul Schaaf (CSV), dem Ersten Schöffen Bob Steichen (LSAP) sowie dem Zweiten Schöffen Christian Steffen (LSAP) zusammen. Letztgenannter Posten ging nach der Hälfte der Mandatszeit an die CSV und wird zurzeit von Pascal Nicolay bekleidet.
Am Samstag trafen wir den Ersten Schöffen Bob Steichen, um mit ihm auf die vergangenen sechs Jahre zurück-, aber auch auf die anstehende Mandatsperiode nach vorauszublicken. „Ich möchte gleich vorweg sagen, dass wir viele große und kostenaufwendige Projekte realisieren konnten, doch in meinen Augen sind es nicht immer die teuren Projekte, die die wichtigsten sind.“
Steichen kam gleich auf den Sozialbereich zu sprechen, wo die Gemeinde in den vergangenen Jahren etliche Gebäude erstanden habe, um dort bezahlbaren Wohnraum einrichten zu können. „Das Projekt ‚Hotel Central‘ an der Bastnacher Straße konnte nun endlich fertiggestellt werden. Man muss zugeben, dass der Umbau bzw. die Instandsetzung dieses Gebäudes viel zu viel Zeit in Anspruch genommen hat, doch nun ist es so weit.“ Im gleichen Atemzug erwähnt Steichen unter anderem noch das Nebengebäude des „Hotel Central“ und das frühere Bistro „Feelener Stuff“, die nun ebenfalls im Besitz der Kommune seien, um Platz für weiteren bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Als weiteren wichtigen Punkt sieht der LSAP-Schöffe den dringend notwendigen Ausbau der Grundschule. Die Idee sei, in Warken (dort hat die Gemeinde bereits das benötigte Gelände erstanden) eine ganz neue Schule mit integrierter „Maison relais“ zu bauen, gleichzeitig sollen in der erst vor wenigen Jahren gebauten „Maison relais“ in der rue Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte Schulräume eingerichtet und in dem bestehenden Grundschulgebäude Platz für eine „Maison relais“ geschaffen werden. „Wir wollen auf den Weg gehen, dass wir an allen drei Standorten sowohl Schule als auch ‚Maison relais‘ haben. Wir brauchen dringend neue Schulinfrastrukturen“, so Bob Steichen. „Das ist ein Dossier, das schnellstens behandelt werden muss, da erfahrungsgemäß von der Planung bis zur Fertigstellung solcher Projekte viele Jahre ins Land ziehen.“
„Schönreden hilft keinem“
Was das verloren gegangene Flair der einstigen Einkaufsstadt des Nordens anbelangt, sieht Steichen viel Nachholbedarf. Man müsse wieder dafür Sorge tragen, mehr Dynamik in den Stadtkern zu bekommen. „Wir haben viele Millionen in ein Parkhaus gesteckt, doch das genügt beileibe nicht, um die erwähnte Dynamik wieder anzukurbeln. Wir müssen alle betroffenen Akteure an einen Tisch bekommen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Das bedeutet eine große Herausforderung, doch es muss jedem klar sein, dass der Stadtkern eine Wiederbelebung und ein positiveres Ambiente braucht.“
Zum Thema Sicherheit meinte Steichen: „Das Sicherheitsgefühl bei unseren Bürgern ist sicherlich nicht so, wie wir es uns wünschen. Es ergibt keinen Sinn, dieses Thema immer nur schönzureden. Wir müssen handeln, und das nicht nur repressiv, sondern auch und vor allem präventiv. Zusammen mit der Vereinigung ‚Nordstadjugend‘ müssen die Pläne für das Streetworking in Ettelbrück vorangetrieben werden.
Was das tägliche Verkehrschaos rund um Ettelbrück anbelangt, gibt Steichen zu verstehen, dass wohl jeder Lokalpolitiker, egal welcher Couleur, auf die in der „Nordstad“-Vision aufgezeigten und seit Jahrzehnten fälligen lokalen Umgehungsstraßen wartet. „Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Der damals als Provisorium angelegte Verteilerkreis am Eingang der Stadt ist eine einzige Katastrophe und die Zahl der Fahrzeuge, vor allem aber die der schweren Lastwagen und Busse, nimmt ständig zu. Es braucht meines Erachtens mehr Druck von der Gemeinde in Richtung Nationalpolitik, damit das Verkehrsproblem unserer Stadt bzw. unserer Region endlich richtig erkannt und einer Lösung zugeführt wird.“
„Ech ginn net an d’Chamber“
Auf die abschließende Frage hinsichtlich des Bauchgefühls, was den Ausgang der anstehenden Wahlen anbelangt, meint Bob Steichen: „Ich lasse mich nicht zu Prognosen verleiten, nur eines möchte ich an dieser Stelle loswerden: Sollte ich auf den Bürgermeisterstuhl gewählt werden, werde ich dieses Amt voll und ganz ausführen, d.h. ich werde dann keinesfalls auch noch für einen Posten in der Abgeordnetenkammer kandidieren.“
Mit dem DP-Rat Jean-Pierre Gutenkauf wollten wir auch die Opposition zu Wort kommen lassen. Der Liberale setzte gleich die Sicherheit in Ettelbrück an erste Stelle und schlug in die gleiche Kerbe wie sein Vorredner. Ettelbrück brauche unbedingt Streetworker, und das so schnell wie nur irgend möglich.
Auch in Sachen Verkehrsproblematik glich die Aussage des Oppositionsrates den Worten des Ersten Schöffen. „Die Gemeindeführung muss konsequenten Druck in Richtung des zuständigen Ministeriums ausüben. Die Gemeinde selbst, das ist klar, kann das täglich schlimmer werdende Verkehrsproblem nicht lösen. Die Gemeindeväter dürfen deswegen aber nicht die Hände in den Schoß legen. Sie müssen aktiver werden. Auch innerorts müssen wir verschiedene Gefahrenpunkte schnellstens entschärfen, z.B. was das Radwegenetz und die Geschwindigkeitsbegrenzungen in den Wohnvierteln anbelangt.“
Der DP liege aber auch die Wiederbelebung des Stadtkerns am Herzen. „Die Fußgängerzone muss unbedingt attraktiver gestaltet werden. Das kann man u.a. mit angepasstem Mobiliar, mit mehr Begrünung und natürlich auch mit einem besseren Angebot in Sachen Geschäfte erreichen. Jeder, ob jung oder alt, muss sich in unserem Stadtkern wohlfühlen können. Es gibt noch freien Raum, der umgestaltet werden kann, ich denke da zum Beispiel an den großen Platz vor der Kirche, der zu 99 Prozent der Zeit gähnend leer ist.“
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Die „Schlussstrich und Schnee-von-gestern“ Mentalität basiert auf einem inakzeptablen Wunschdenken. Das kollektive soziale Gedächtnis lässt sich so nicht besänftigen.
„Als Bürgermeister von Ettelbrück kämpfe ich tagtäglich gegen Vorurteile an. Die schlechte Reputation der Stadt ist sicherlich auf die psychiatrische Fachklinik zurückzuführen. Dabei wurde das ‚Centre hospitalier neuro-psychiatrique‘ einer grundlegenden Reform unterzogen. Ettelbrück spezialisiert sich heute ausschliesslich auf die Rehabilitation. (…) Die grausigen Geschichten über das ‚Geckenhaus‘ sind längst Schnee von gestern. (…)“
(Jean-Paul SCHAAF, Bürgermeister von Ettelbrück, Revue, 17.09.2014)
MfG
Robert Hottua, 2004 Gründer der LGSP (Luxemburger Gesellschaft für soziale Psychiatrie)