Flutgefahr / Warum der trockene Boden so katastrophale Folgen haben kann
Es mag erst einmal merkwürdig klingen – aber ausgerechnet Trockenheit bedeutet auch ein erhöhtes Risiko für Überschwemmungen: Da die sich verhärtenden Böden Regen und anderes Wasser immer verzögerter aufnehmen, können sich bei plötzlichem Starkregen zerstörerische Oberflächenabflüsse bilden. Kann sich unter diesen Bedingungen eine mit vergangenem Jahr vergleichbare Hochwasserkatastrophe wiederholen?
Trockenheit und Grundwasser
Die lange anhaltende Trockenheit hat keinen direkten Einfluss auf Luxemburgs Grundwasserspeicher, wie das Wasserwirtschaftsamt erklärt. Denn zur Grundwasserneubildung trügen üblicherweise ohnehin nur die Niederschläge von Oktober bis März bei. Eine indirekte Auswirkung könne die Trockenheit aber schon haben: „Wenn es bis zum späten Herbst weiterhin zu trocken bleibt, müssen die Böden zuerst genügend Wasser aufnehmen und durchgehend feucht sein, damit die Grundwasserneubildung einsetzen kann“, so die Experten. Denn nicht nur das Einsickern an der Oberfläche, sondern auch das Durchsickern des Wassers dauert deutlich länger als bei feuchten Böden. Wie groß der Unterschied tatsächlich sein kann, illustriert das weiter unten angefügte Video.
Auch die Niederschläge der vergangenen Tage hatten weder einen Einfluss auf Luxemburgs Grundwasser noch auf den Pegel der Flüsse. Vor allem die Gewässer im Ösling seien am ehesten von einer potenziellen Wasserknappheit betroffen, da sie nur in geringem Maße vom Grundwasser gespeist werden. Die jüngsten Niederschläge hätten „lediglich die obersten Zentimeter im Boden benetzt, aber die Vegetation wird jeden Tropfen aufgenommen haben“, sagt das Wasserwirtschaftsamt. „Es müsste mindestens zwei Wochen lang mäßiger, aufeinander folgender Regen fallen, damit die Niederschläge irgendeinen Einfluss auf die Grundwasserreservoirs haben.“
Die anhaltende Trockenheit, die auch die Böden betrifft, bereitet nicht nur Landwirten erhebliche Probleme. Sie erhöht nämlich das Risiko von Überflutungen, sollte es auf den jetzt an der Oberfläche stark verdichteten Boden plötzlich doch und sehr stark regnen: „Kommt es zu unwetterartigem Starkregen, so wird dieser sofort oberflächig ablaufen und nicht gepuffert werden können“, erklärt das Wasserwirtschaftsamt auf Anfrage.
Wenn das Regenwasser nicht schnell genug absickern kann, bilden sich auf der Oberfläche Wassermassen, die im Extremfall zu zerstörerischen Sturzbächen werden können. Das wiederum führe „zu einem erhöhten Risiko von Schäden durch Oberflächenabfluss und Erosion“.
„Gefahr ist immer gegeben“
Aber: „Die Gefahr durch Starkregen ist immer gegeben“, so das Wasserwirtschaftsamt. Da Unwetter überall auftreten können, sei auch kein Gebiet völlig risikofrei. Trockene Böden würden das Risiko vor allem aber bei weniger ausgeprägten Steillagen zusätzlich erhöhen. Geoportail.lu zeigt diesbezüglich gefährdete Stellen auf der Starkregen-Gefahrenkarte an.
Beim Jahrhunderthochwasser, das vor etwas mehr als einem Jahr deutliche Spuren in Luxemburg hinterließ und Schäden in Millionenhöhe verursachte, wurde an der Messstation in Godbringen ein neuer Niederschlagsrekord für Luxemburg festgehalten: Vom 14. auf den 15. Juli 2021 wurde innerhalb 24 Stunden eine Regenmenge von insgesamt 105,7 Litern pro Quadratmeter gemessen. Der vorherige Rekord geht auf den 31. Mai 2018 in Waldbillig zurück. Jener Regen mit insgesamt 101,3 Litern pro Quadratmeter löste die schweren Überschwemmungen im Müllerthal aus.
Wie schnell die ausgedehnte Dürre von heftigem Regen beendet werden kann, zeigt sich momentan in Deutschland: Der Deutsche Wetterdienst hat am Freitag (19. August) für den Süden Deutschlands Unwetterwarnungen herausgegeben – darunter Warnungen der höchsten Alarmstufe. Der DWD sagte dort ergiebigen bis extrem ergiebigen Dauerregen vorher und erwartete Niederschlagsmengen von bis zu 140 Litern pro Quadratmeter (in 26 Stunden). Mögliche Folgen wären Hochwasser an Bächen und kleineren Flüssen sowie Überflutungen von Straßen und Erdrutsche. Sind derartige Niederschläge, wie der Deutsche Wetterdienst sie für den Süden Deutschlands und entlang der Alpen prognostizierte, derzeit auch in Luxemburg möglich?
Klimawandel führt zu Extremwetter
Seit der vorindustriellen Zeit ist die Temperatur der Erde im globalen Mittel um 1,1 Grad Celsius gestiegen – dies aufgrund des menschengemachten Klimawandels, sagt Wetterexperte Dr. Andrew Ferrone. „Durch die höheren Temperaturen verdunstet mehr Wasser und die wärmere Atmosphäre kann auch mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Dies führt weltweit dazu, dass die Stark- und Extremniederschläge sowohl in Intensität als auch Häufigkeit zunehmen.“
Starkniederschläge würden laut dem Weltklimarat bereits 1,3 Mal häufiger auftreten und seien in der Regel um fast sieben Prozent intensiver als in einem nicht durch Menschenhand beeinflussten Klima. Sollte der globale Temperaturanstieg 2 Grad Celsius erreichen, würden derartige Ereignisse 1,7 Mal häufiger auftreten und seien sogar um 14 Prozent intensiver.
Aus den Wetterbeobachtungen der 36 Stationen der Verwaltung für technische Dienste der Landwirtschaft (ASTA) lasse sich laut Ferrone schließen, dass die Anzahl der Tage mit Starkniederschlägen in ganz Luxemburg in den letzten 60 Jahren im Durchschnitt um fünf Tage gestiegen ist.
Zweite Katastrophe eher unwahrscheinlich
Vorhersagen über Wochen hinweg könne Luxemburgs staatlicher Wetterdienst Meteolux nicht treffen. Starkregen, ein Phänomen, das oft mit Gewittern zusammenhänge, ist jedoch – zumindest für die nächsten Tage – nicht „en vue“, sagt Luca Mathias von Meteolux auf Tageblatt-Nachfrage. Es könnten höchstens vereinzelt lokale Schauer auftreten. Die Unwetterfront im Süden Deutschlands betreffe Luxemburg jedenfalls nicht. „Da brauchen wir uns keine Gedanken zu machen“, meint Mathias.
Sowohl Meteolux als auch der private Wetterdienst Météo Boulaide sagen weiterhin Temperaturen von über 20 Grad für die nächsten Tage voraus. Das Großherzogtum scheint demnach vorerst von heftigen Gewittern und reißenden Sturzbächen verschont zu bleiben – ganz anders erging es hingegen Cassis im Süden Frankreichs.
Dass es in Kürze wieder zu einem Hochwasser wie letztes Jahr kommt, hält Mathias für eher unwahrscheinlich. Die Ausgangslage sei nämlich eine andere gewesen. Im Juli 2021 war der Boden nicht durch Trockenheit versiegelt, im Gegenteil: Der Boden war durch tagelangen Dauerregen stark gesättigt und konnte kein weiteres Wasser mehr aufnehmen. Der trockene Boden stelle dann eine Gefahr dar, wenn es innerhalb kurzer Zeit sehr viel regnet, sodass er die Wassermassen nicht schnell genug aufnehmen kann. Das Wasser liefe dann an der Oberfläche ab und es könnten sich Schlammlawinen bilden – wie es 2018 im Müllerthal der Fall war.
Auch das Wasserwirtschaftsamt sagt, dass die meteorologischen Bedingungen und Voraussetzungen dieses Jahr nicht jenen von 2021 vergleichbar sind. Im Falle von extremen Starkregen seien aber lokale Überschwemmungen und Sturzfluten nicht auszuschließen. „Ein großräumiges Hochwasserereignis wie letztes Jahr schließen wir bei den aktuellen Bedingungen aber aus“, teilt das Wasserwirtschaftsamt mit.
Folgen der Trockenheit für Wasserläufe
„Im August sind einige kleinere Bäche bereits ausgetrocknet“, teilte das Umweltministerium am Freitag in einem Presseschreiben mit. Das Ministerium bezeichnet diese Entwicklung als „seltenes und besorgniserregendes Ereignis, das in einigen Bächen noch nie beobachtet wurde“. Um welche Bäche es sich dabei handelt und wie viele genau betroffen sind, wird jedoch nicht erwähnt.
Der Rückgang der Wasserstände wirke sich gleich in mehrfacher Hinsicht direkt auf die Wasserflora und -fauna aus. Die niedrigen Wasserstände würden den Anstieg der Wassertemperatur weiter vorantreiben, wodurch wiederum die Sauerstoffverfügbarkeit für die Wasserorganismen abnehme. Zudem erhöhe sich die Konzentration der Schadstoffbelastung, da der Verdünnungseffekt des Wassers durch die niedrigen Pegel gemindert werde.
Das Austrocknen von Wasserläufen führe zu einer „Fragmentierung der aquatischen Umwelt“, was die darin lebenden Organismen gefährde oder ihr Überleben unmöglich macht. Darum wirbt das Umweltministerium in seinem Schreiben für Renaturierungsprojekte, was die Widerstandsfähigkeit der aquatischen Ökosysteme gegenüber derartigen Belastungen erhöhe.
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