Corona / Warum die Kurve gar nicht flach genug sein kann
Seit Beginn der Corona-Pandemie tun die meisten Menschen ihr Möglichstes, damit die Krankheit sich so langsam wie möglich ausbreitet. Ziel ist es, dass so wenige wie möglich gleichzeitig ins Krankenhaus müssen. Einige Experten befürchten, dass die Anstrengungen nicht ausreichen.
Seit dem Anfang der Corona-Pandemie wurden eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die vor allem ein Ziel haben: So wenig Menschen wie möglich sollen gleichzeitig krank werden, damit das Gesundheitswesen nicht überlastet wird. Die Devise „Flattening the Curve“ (dt.: die Kurve flach halten) wurde ausgegeben. Die Corona-Pandemie soll nicht heftig und schnell an uns vorüberziehen, sondern gemächlich, aber dafür, ohne dass viele Menschen gleichzeitig auf Intensivpflege und ein Beatmungsgerät angewiesen sind.
In der breiten Masse bekannt machten den Begriff und die damit verbundene ikonische Grafik das Wirtschaftsmagazin The Economist und die Zeitung New York Times. Sie beriefen sich dabei auf eine Darstellung der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC. Die Forscher der CDC hatten bereits vor ein paar Jahren Maßnahmen zur Eindämmung einer Grippe-Epidemie beschrieben und dafür eben diese Grafik verwendet.
Nun ist diese Kurve eine Heuristik – ein schlauer Versuch, mit wenig Information eine brauchbare Lösung zu finden – allerdings bildet die Kurve in den meisten Fällen keine Zahlen ab. Wir wissen, dass die Pandemie auf einen längeren Zeitraum ausgedehnt werden soll, damit wenige Leute gleichzeitig krank werden. Auf welchen Zeitraum die Pandemie aber ausgedehnt werden soll, darüber gibt eine so einfache Grafik meist keine Information.
Konkrete Zahlen
Einige Wissenschaftler haben den Versuch unternommen und nach bestem Wissen und Gewissen Zahlen in die Grafik eingesetzt. Und sie kommen damit zu erstaunlichen Ergebnissen.
Die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) hat Computermodelle für den Ausbruch in Deutschland erstellt und sich am 21. März in einer Stellungnahme dazu geäußert. In der Modellierung kommen zwei wichtige Faktoren vor. Bei dem ersten handelt es sich um die Zahl der „Intensivbetten“, über die das deutsche Gesundheitswesen verfügt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren dies 30.000, von denen aber die meisten fortlaufend von anderen Patienten belegt sind. Bei dem zweiten handelt es sich um die Reproduktionszahl des Coronavirus. Diese Zahl gibt an, wie viele andere Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt.
Auch mit einer mäßigen Verlangsamung des Ausbruchs wäre das deutsche Gesundheitssystem noch überfordert, schreibt die DGEpi in ihrer Stellungnahme. „Eine Steuerung der Ausbreitungsgeschwindigkeit in diesen engen Bereich scheint praktisch nicht vorstellbar, weil schon eine geringe Erhöhung der Reproduktionszahl zu einer Überforderung des Gesundheitssystems führen würde.“ Erst wenn die Reproduktionszahl sehr nahe bei 1 liege, könne das Gesundheitssystem weiterhin gut funktionieren.
Computermodelle
Das bedeutet, dass eine Person im Durchschnitt nicht mehr als 1,2 andere Personen anstecken darf. Im Klartext heißt das für jede Person, die zwölf Menschen ansteckt, dürfen neun andere niemanden anstecken.
Die DGEpi hat eine Vielzahl von Szenarien durchgerechnet. Dabei hat sie unterschiedliche Werte für die Reproduktionszahl, für die Zahl der Infizierten, die eine Intensivbehandlung benötigen, und für die Zahl der Tage, die diese Patienten auf der Intensivstation liegen, in das Modell eingefügt. Immer mit dem gleichen Ergebnis: Wenn nicht früh Maßnahmen ergriffen werden, um die Reproduktionszahl unter eins zu drücken, werden sehr schnell mehr als 30.000 Betten benötigt. Die Organisation schreibt: „Da es derzeit keine kausale Therapie oder präventive Impfung gibt, ist es in der aktuellen epidemiologischen Situation wichtig, die Bevölkerung zu überzeugen, freiwillig und konsequent zur Einschränkung der Übertragung beizutragen.“
Wenn sich die Epidemie so langsam wie möglich ausbreiten soll, bedeutet dies im Umkehrschluss aber auch, dass Maßnahmen wie Schulschließungen, Verbote von Veranstaltungen, geschlossene Stadien und der Verzicht auf Grillpartys über einen langen Zeitraum aufrechterhalten werden müssten. Im schlimmsten Fall, bis eine Impfung zur Verfügung steht. Vorsichtigen Schätzungen zufolge soll die allerdings erst Ende des nächsten Jahres in ausreichenden Mengen verfügbar sein. Forscher wollen aus Sicherheitsgründen nicht auf die notwendigen Tests verzichten, um herauszufinden, ob die Impfung so wirkt, wie sie soll. Beschleunigt werden kann dieser Prozess lediglich durch den Abbau von bürokratischen Hürden.
Die Kurve flach zu halten, reicht nicht
„Die Kurve muss nicht abgeflacht werden, sie muss gequetscht werden“, heißt es in einem Artikel auf der Internetplattform medium.com. Der Experte für künstliche Intelligenz Joscha Bach hat die Zahlen in den USA interpretiert und findet, dass die Grafik, wie sie in vielen Medien gezeigt wird, die Lage nicht richtig abbildet. Diese Grafiken erwecken den Eindruck, es reiche, die Zahl der gleichzeitig Infizierten auf ein Drittel zu reduzieren. Das sei aber nicht ausreichend. Bach rechnet mit rund 100.000 Intensivbetten in den USA, von denen 70.000 bereits durch andere Patienten belegt sind.
Seinen Berechnungen zufolge müsste die Epidemie über mehr als ein Jahrzehnt ausgebreitet werden, um unter den heutigen Bedingungen jedem Patienten ein Intensivbett zur Verfügung zu stellen. „Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wir bis dahin wirksame Behandlungen gefunden haben werden.“ Allerdings reiche es nicht aus, die Epidemie einfach in die Länge zu ziehen. Es brauche Methoden der Eindämmung (engl. Containment). Unter Containment versteht man Methoden, um eine Ausbreitung aktiv zu verhindern. Etwa indem man Infektionsketten verfolgt und Infizierte und ihr Umfeld in Quarantäne steckt.
Die DGEpi sagt aber auch: „Uns sollte dabei immer bewusst sein, dass diese Einschränkungen der Bürgerrechte menschlich, sozial, wirtschaftlich und auch gesundheitlich eine erhebliche Belastung für die Menschen und Unternehmen unseres Landes darstellen.“ Deshalb müsse in der Kenntnis der unterschiedlichen Szenarien darüber diskutiert werden.
Ohne Symptome ansteckend
Tatsächlich gibt es zum Thema viel Unsicherheit. So ist zum Beispiel nicht bekannt, wie viele Menschen tatsächlich erkrankt sind. Bei vielen verläuft die Krankheit ohne Symptome. Die Infizierten bemerken dann zwar nicht, dass sie das Virus haben, können jedoch trotzdem andere Menschen anstecken.
Auch ist es schwer einzuschätzen, wie sich die Kapazität der Intensivbetten in der Zukunft verbessert. In den USA hat Präsident Donald Trump zum Beispiel ein Gesetz aus Zeiten des Koreakrieges aktiviert, um das Unternehmen General Motors zu zwingen, Beatmungsgeräte zu bauen. In New York stellen zudem Bürger in einer konzertierten Anstrengung Schutzausrüstung für das medizinische Personal her. In China wurden seit Ausbruch des Virus neue Krankenhäuser hochgezogen und in Europa werden Lazarette und Notfallkliniken in Messehallen eingerichtet.
Noch ist nicht bekannt, ob Corona, wie zum Beispiel die Grippe, eine Saison hat. Allerdings ist auch eine Grippesaison laut Robert-Koch-Institut nicht genau vorherzusagen und von Land zu Land sehr unterschiedlich. Einige Grippeviren scheinen bei trockener, kalter Luft stabiler zu sein, weshalb sie sich im Winter besser verbreiten können. Ob Corona sich ähnlich verhält, ist schlicht nicht bekannt. Daneben wäre das keine gute Nachricht für die Südhalbkugel, auf die der Winter jetzt zukommt.
Verdopplungsrate
Unterdessen zeigen die Medien in Deutschland eine andere – diesmal positive – Grafik, die angibt, innerhalb welcher Zeitspanne sich die Zahl der Infektionen verdoppelt. Wird dieser Zeitraum länger, so ist das ein Zeichen, dass sich die Ausbreitung der Krankheit verlangsamt. Laut Angaben des Deutschlandfunks liegt dieses Maß in Deutschland bei 11,5 Tagen, in den USA und Großbritannien bei 5 Tagen, in Spanien bei 8,2 Tagen und in Italien bei 15,8 Tagen. In Südkorea verdoppelt sich die Zahl der Infektionen mittlerweile nur noch alle 67 Tage. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, diese Zahl müsse bei über 10, eher bei 14 Tagen liegen, bevor die getroffenen Maßnahmen gelockert werden könnten. Dabei handelt es sich aber um eine politische Entscheidung und nicht um eine wissenschaftliche Einschätzung. In Luxemburg lag die Verdopplungsrate der Infektionen zuletzt bei 10,425 Tagen.
Fir déi Leit déi mengen am Summer wier et besser, zu Miami (470.000 Awunner, 35 Grad am Schied) hunn se139 Doudeger.