Editorial / Warum die Politik die Europawahl nicht ernst nimmt – es jedoch tun sollte
Der Europawahlkampf hat in Luxemburg am Montag offiziell begonnen. Nicht zuletzt daran zu erkennen, dass die Laternenpfähle entlang der Luxemburger Straßen wieder mit den Konterfeis zahlreicher Politiker verkleidet sind. Einen Monat lang werden die Kandidaten und Kandidatinnen nun versuchen, die Wähler von ihren Ideen zu überzeugen. Keine einfache Aufgabe, stehen die Europawahlen doch im Schatten der nationalen Politik.
Eine Frage, der sich die Politik stellen muss, lautet, warum die Bürger diese Wahlen interessieren sollten, wenn selbst die Parteien diese Wahlen kaum ernst nehmen. Ein Beispiel sind die Kandidaten, denen keiner wirklich glaubt, dass sie sich ernsthaft beim Wähler um einen Job in Brüssel bewerben. Bei den Grünen erfüllt das Kriterium beispielsweise François Bausch, bei der LSAP fällt ein Mars Di Bartolomeo in diese Kategorie. Beides Politiker, die bei den vergangenen Nationalwahlen weit unter ihrem Ergebnis von 2019 geblieben sind und eher als Stimmenfänger denn als ernsthafte Kandidaten gelten. Ob ein Gusty Graas oder eine Liz Braz tatsächlich nach Brüssel will, darf ebenfalls infrage gestellt werden.
Hinzu gesellen sich die komplizierten Strukturen und Entscheidungsprozesse, die den Brüsseler EU-Kosmos immer mehr als undurchsichtiges Bürokratiemonster erscheinen lassen. Die europäische Idee mit ihren Idealen rückt dann schnell in den Hintergrund. In Zeiten, in denen an den Grenzen der EU ein Krieg tobt und rechtsextreme Kräfte immer mehr in die Mitte der Gesellschaft drängen, ist das gefährlich. Nichts ist eine größere Bedrohung für unsere demokratische Gesellschaft, als autoritäre und faschistische Tendenzen mit einem Schulterzucken zur Kenntnis zu nehmen, anstatt sich diesen entschlossen entgegenzustellen.
Es liegt nun an der Politik, das Interesse der Bürger am europäischen Gedanken wiederzubeleben. Randnotiz an die derzeitigen Amtsinhaber der sechs Parlamentssitze: Es ist wenig bis gar nicht hilfreich, auf die zahlreichen europäischen Beschlüsse oder Direktiven hinzuweisen, an denen man schließlich mitgearbeitet hat. Bis auf einige wenige Politikwissenschaftler, Journalisten und die Politiker selbst werden wohl nur die wenigsten zwischen EU-Verträgen, Verordnungen, Richtlinien, Beschlüssen, Empfehlungen, Stellungnahmen und sonstigen Rechtsakten unterscheiden.
Wenn also Politiker ihre Arbeit an der EU-Richtlinie zur Plattformarbeit anpreisen, kann noch lange nicht jeder etwas mit diesen Begrifflichkeiten anfangen. Noch weniger weiß der Wähler, was für einen direkten Einfluss diese Richtlinie auf seine Lebenswelt hat. Ähnlich sieht es mit der EU-Direktive zu den Kollektivverträgen oder dem Green New Deal aus: Mit Schlagwörtern und abstrakten Konzepten gewinnt man keine Wahlen.
Wenn Parteien und Politiker sich nicht dem Anschein einer Wahl zweiten Grades ergeben wollen, sollten sie klar und transparent kommunizieren, inwiefern die europäische Politik das Luxemburger Alltagsleben beeinflussen kann. Nur so kann Europa den Generationen, die nur noch wenig mit den Anfangsjahren der Europäischen Gemeinschaft verbinden, wieder nähergebracht werden. Gründe, warum Europa nicht nur als ein Bürokratiemonster und Lobbyisten-Paradies wahrgenommen werden sollte, haben die vergangenen Jahre mit einer Pandemie und einem Krieg auf europäischem Boden genügend geliefert.
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