Luxemburg / Warum die Tripartite-Verhandlungen auf einer inkompletten Inflationsprognose basierten
Die Tripartite-Verhandlungen im April benutzten laut Ökonomin Cathy Schmit eine „fragmentierte Anpassung“ der Inflationsprognosen vom Februar als Grundlage. Heißt: In der Projektion fehlten die makroökonomischen Folgen des Ukraine-Kriegs. Dafür gab es allerdings einen Grund.
Die Tripartite-Verhandlungen sind auch nach einem Monat noch in aller Munde. Der Grund: das Verschieben der Indextranchen. Im „Accord“ steht nämlich, dass die zweite Tranche für 2022, die für August prognostiziert wurde, erst 2023 ausbezahlt werden soll. In der neuesten Inflationsprognose heißt es jetzt: „In Luxemburg erreichte die Inflationsrate im April mit plus sieben Prozent im Jahresvergleich den höchsten Stand seit dem Frühjahr 1984.“ Und: Laut Prognose fällt die zweite Tranche dieses Jahres sehr wahrscheinlich bereits im Juni.
Die Entscheidungen, die während der Tripartite getroffen wurden, basierten laut Cathy Schmit vom Statec auf einer „fragmentierten Anpassung“ der Prognosen vom Februar – also vor dem Krieg. „Wir haben partielle Daten aktualisiert, aber das ganze makroökonomische Szenario dahinter war noch immer das von Februar.“ Ein kleines Team von „zwei bis drei Menschen“ arbeitet an diesen Projektionen. Dazu gehört auch Cathy Schmit.
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Was ist der Index und wozu ist er gut?
Beim Index handelt es sich um eine wissenschaftliche Kennzahl für die Preisentwicklung in Luxemburg. Der Index misst anhand eines Korbs die durchschnittliche Preisveränderung ausgewählter Waren und Dienstleistungen.
In Luxemburg werden alle Löhne, Gehälter und Renten an die Steigerungen der Verbraucherpreise angepasst. Dieses Instrument der automatischen Anpassung der Einkommen an die Lebenshaltungskosten wird hierzulande auch Indexregelung genannt.
Das Statec publiziert laut Schmit nicht oft Prognosen außerhalb des trimestriellen Rhythmus. Doch für die Tripartite wurde eine Ausnahme gemacht. „Ein paar Sachen hatten wir da auch schon bemerkt: unter anderem, dass die Inflation im Februar und März höher war als das, was wir vorausgesagt haben“, sagt Schmit. Diese neuen Elemente seien in die Tripartie-Projektion eingeflossen, die makroökonomischen Szenarien allerdings nicht. Das sei nur alle drei Monate möglich, weil das Luxemburger Statistikamt diese Daten nur einmal pro Trimester von Oxford Economics erhalte. „Auch vom Arbeitsaufwand ist es für uns nicht möglich, das Modell jeden Monat komplett laufen zu lassen, sogar wenn wir die Daten bekommen hätten“, sagt die Ökonomin.
Die Frage bleibt allerdings: War die Prognose als Basis für Diskussionen und Maßnahmen präzise genug? „Es war das Beste, was wir zu diesem Zeitpunkt machen konnten – wir mussten etwas als Basis nehmen“, sagt Schmit. „Mit dem Modell von Februar wäre die Prognose stärker daneben gewesen.“ Die Tripartite-Projektion sei eine deutliche Verbesserung im Vergleich mit der Februar-Variante. „Es ist auch nicht so, als wäre das ein total fehlerhafter Bericht gewesen“, meint Schmit. Allerdings sei eines ganz klar: Die Inflationsprognosen sind momentan höchst unsicher, das sei jedoch weltweit der Fall.
Die höchste Inflation seit 40 Jahren
Gründe dafür gebe es viele. Die Inflation war im April auf dem höchsten Niveau seit 40 Jahren. „Unsere Modelle gehen nur 20 Jahre zurück“, erklärt Schmit. Die Modelle würden also eine Inflation von der Höhe nicht kennen, wodurch die Berechnungen auch an Präzision verlieren würden. Vergangenen Herbst habe noch niemand mit einer so hohen Inflation gerechnet. In der Prognose von Februar wurde die Inflation für dieses Jahr noch auf 4,4 Prozent geschätzt – die neueste Projektion geht von 5,8 Prozent aus. „Früher, als die Inflation um 1,5 Prozent oder 2 Prozent lag, war es einfach, sich nicht so viel zu irren, aber jetzt, mit den hohen Werten, irrt man sich auch automatisch mehr“, sagt die Ökonomin.
Wie wird der Index berechnet?
Auf Basis eines Warenkorbs. Der Warenkorb enthält laut der Luxemburger Statistikbehörde Statec rund 60.000 Dienste und Produkte. Statec zeichnet jeden Monat die Preise auf und vergleicht sie dann mit dem Monat davor.
Die Aufzeichnung geschieht dabei zum Teil noch manuell – Beamte laufen durchs Land und registrieren dabei monatlich rund 8.000 Preise, z.B. von Friseurläden, Autoverkäufern oder Restaurants. Es werden aber auch viele Preise digital über das Internet erhoben, per E-Mail oder Telefon angefragt oder direkt durch Scannerkassen in Supermärkten eingefangen.
Rund 58.000 Preise stammen von den Scan-Daten der Supermarkt-Kassen. Die Datenerhebung für den Index basiert auf den Gesamtausgaben von Luxemburgs Haushalten.
Ein weiterer Grund sei außerdem, dass der Brent-Preis schwer vorauszusagen sei – „auch für unseren externen Anbieter, der uns diese Preise gibt“. Deswegen würde das Statec auch alternative Szenarien produzieren. „Im hohen Szenario setzen wir jeden Monat etwas beim Brent-Preis hinzu, beim niedrigen ziehen wir etwas ab“, sagt Schmit. Das seien allerdings nur „technische Hypothesen“.
Trotz Unsicherheiten: Die Prognosen seien nötig – auf irgendetwas müsse man sich basieren. „Natürlich, wenn die Realität nachher anders aussieht, dann müssen wir analysieren können, was passiert ist und wo wir uns geirrt haben“, meint Schmit. Gleichzeitig könne man auch nicht mit einem Krieg rechnen, der die Inflation besonders anheize. Doch wie werden diese Prognosen, auf die sich die Tripartite-Verhandlungen berufen haben, überhaupt berechnet?
Wie kommt eine Prognose zustande?
Im Gegensatz zum monatlichen Index-Bericht, der beobachtete Daten zusammenschreibt, erscheinen die Prognosen alle drei Monate. Das Statec schaut sich laut Cathy Schmit sogenannte „Driver“ an, die die Inflation beeinflussen. Um daraus eine Prognose zu schneidern, beobachtet das Statistikamt, wie sich Veränderungen der verschiedenen „Driver“ in der Vergangenheit auf den Index ausgewirkt haben. Ein Beispiel: „Wenn die Energiepreise in der Eurozone steigen, dann haben wir ein paar Monate später eine höhere Kerninflation, weil die Preise der produzierten und transportierten Güter logischerweise auch steigen“, erklärt Schmit.
Die nötigen makroökonomischen Daten für Luxemburg besorgt sich das Statec selbst – für Europa und die ganze Welt verlässt es sich auf einen externen Anbieter: Oxford Economics. „Sie können uns zum Beispiel Variablen und Prognosen zu den Importpreisen geben – das nehmen wir mit rein“, sagt Schmit. Diese Daten erhalte das Statec dann alle drei Monate. Aus diesem Grund – und weil das Erstellen der Projektionen zeitaufwendig sei – werde das Schreiben nur trimestriell zusammengestellt.
„Wir müssen alles aktualisieren und auch kontrollieren, ob es Sinn ergibt“, sagt Schmit. Das Team würde die Daten nicht einfach einspeisen, auf einen Knopf drücken und das Resultat dann kopieren, ohne darüber nachzudenken. „Wir sind trotzdem Ökonomen“, sagt Schmit
Stressige Arbeit während der Krise
„Es ist momentan stressiger“, sagt Schmit. „Aber der Ablauf ändert sich im Endeffekt nicht so viel, außer dass wir noch ein paar alternative Szenarien mehr ausrechnen.“ Jedes Mal, wenn neue Maßnahmen eingeführt würden, müsse das Team wieder umrechnen. Die Menschen würden nicht wirklich verstehen, wie der Index funktioniere – nach der Veröffentlichung einer Prognose würden viele „Dummheiten“ in den Kommentaren stehen.
„Wenn wir eine Prognose erstellen, glauben die Menschen, das wäre schon sicher, und dass die Regierung entscheiden würde, wann der Index fällt, was – unabhängig vom Tripartite-Abkommen – nicht der Fall ist“, sagt die Expertin. Das Statec sei nämlich wissenschaftlich unabhängig. „Wir gehören zwar zum Finanzministerium, aber wir haben komplette Unabhängigkeit – wir werden nie in irgendeine Richtung beeinflusst“, sagt Schmit.
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„Warum die Tripartite-Verhandlungen auf einer inkompletten Inflationsprognose basierten.“
Dort sitzen Damen und Herren denen die Börse etwas zu dick geraten ist und die keine Ahnung haben was draussen so läuft.
Ich würde mal fragen was so im Schnitt in der Tafelrunde verdient wird, wahrscheinlich knapp über dem Mindestlohn. Zur Strafe jeden mindestens einmal wöchentlich zum Supermarkt zum Einkauf treiben, zweimal im Monat zum Tanken, und weil es jetzt so angenehme Temperaturen sind, einfach Gashahn und Stroum abschalten, Wäschewaschen an der Petrus soll sehr angenehm sein, nicht nur für Enten.
„viele „Dummheiten“ in den Kommentaren stehen.“
Richtig, voralllem wenn über Energiepreise gesprochen wird.
Um wieviel Prozent wurde der Gaspreis seit Juni 2021 erhöht???
Es wäre wünschenswert, wenn zum Beispiel deutsche Gastarbeiter auch berücksichtigt werden. Also los und nicht so egoistisch!
Die täglichen Fahrten zu euch werden auch nicht weniger.