Politik und Wirtschaft / Warum ein Staat kein Unternehmen ist
Der Staat müsse wie ein Unternehmen geführt werden, sagen die einen, etwa Premierminister Luc Frieden. Die Politik müsse sich von der Umklammerung durch die Wirtschaft befreien, meinen die anderen. Eine nicht ganz neue Diskussion.
Ein Spruch ging um die Welt. Mit einem legendären Slogan gewann Bill Clinton 1992 die US-Präsidentschaftswahlen, obwohl der damalige Amtsinhaber George Bush Senior ein Jahr zuvor noch Zustimmungswerte von etwa 90 Prozent verzeichnet hatte. „The economy, stupid!“ – die von James Carville, dem Wahlkampfstrategen Clintons, stammenden Worte waren intern für die Mitarbeiter der Kampagne gedacht. Bald wurde daraus „It’s the economy, stupid!“
Der Slogan hat nach mehr als drei Jahrzehnten nichts an seiner Gültigkeit verloren. Nach wie vor bestimmen die ökonomischen Rahmenbedingungen einen großen Teil des politischen Handlungsspektrums und noch immer herrscht die Meinung vor, dass die wirtschaftliche Situation Wahlen entscheidet. In Krisenzeiten strafen Wähler die Regierung in der Regel ab. Außerdem wählen sie häufig Kandidaten, denen sie zutrauen, wirtschaftliche Probleme am besten lösen können.
Niemals „executive“
Darauf hat Luc Frieden 2023 gesetzt und mit seiner Erfahrung als Krisenmanager (Finanzkrise 2008) und im Privatsektor geworben: unter anderem als Verwaltungsratschef der BIL und von Saint-Paul sowie Präsident der Handelskammer. Zwar wechselte der CSV-Politiker, unter Premierminister Jean-Claude Juncker unter anderem Budget-, Finanz- und Justizminister, 2014 von der Abgeordnetenkammer in die Privatwirtschaft, allerdings war er dort nicht als Chief Executive Officer (CEO), also nicht als Geschäftsführer, Vorstandsvorsitzender oder Generaldirektor, sondern als Vice Chairman der Deutschen Bank AG in London beratend tätig. Weder als Präsident der Deutschen Bank Luxembourg noch als Präsident des Verwaltungsrates der Banque Internationale à Luxembourg (BIL) und der Mediengruppe Saint-Paul war er „executive“, auch nicht als Präsident der „Chambre de commerce“ und der Eurochambres – vorwiegend Positionen, die seinem Renommee als früherer Minister geschuldet waren.
Wie der Premierminister im Wahlkampf und in seinen Auftritten als neuer Regierungschef darlegte, legt er Wert darauf, den Vorrang der Wirtschaft zu betonen. Sein Jargon ist betont ökonomisch bzw. unternehmerisch. Sein Regierungsplan ist ein Business-Plan, wie sich im traditionellen RTL-Neujahrsinterview zeigte: Auf die Frage, ob man ein Land wie Luxemburg so führen könne, wie ein CEO ein Unternehmen leite, antwortete er: „Absolut.“ Ein Land müsse wie ein Unternehmen konkurrenz- bzw. wettbewerbsfähig sein, ein Premierminister demnach so wie der Generaldirektor eines Konzerns oder der Chef eines Betriebs. Eine Funktion, die er vorher nicht innehatte.
Das Credo vom Primat der Wirtschaft entspricht dem Glauben an den freien Markt, etwa im Wohnungsbausektor, bedeutet Anreize statt Vorschriften, das Setzen auf technologischen Fortschritt statt Alarmismus. Aber hat das Fortschrittsversprechen nicht „seine Glaubwürdigkeit eingebüßt“, wie Andreas Reckwitz behauptet? „Die Verluste (…) lassen sich nicht mehr derart leicht unsichtbar machen“, so der deutsche Soziologe in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. „Die Vereinigten Staaten von Amerika scheinen davon im Übrigen besonders betroffen. (…) Aber mittlerweile sind die USA in besonderem Maße von den genannten Verlusterfahrungen erschüttert: vom Klimawandel bis zu den Modernisierungsverlierern, von den kollektiven Traumata bis zu den Regressionen.“
Business-Plan ohne Verlusterfahrung
Im Business-Plan von Luc Frieden kommen die Verlusterfahrungen eher nicht vor. „Kapitalismus und Demokratie haben lange in einer angespannten Koexistenz gelebt“, schreibt der Harvard-Philosoph Michael J. Sandel. Doch „innerhalb der ersten zwei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts ist die Unzufriedenheit intensiver, der Verlust sozialen Zusammenhalts durchgreifender und das Gefühl der Entmachtung ausgeprägter geworden.“
Premierminister Frieden, Absolvent der Harvard Law School, weiß, dass „Profitabilität nicht das einzige Kriterium“ sein kann. Schließlich gebe es Solidarität und Menschlichkeit. Aber hauptsächlich geht es ums „Geschäftsmodell“, wie er bereits in seinem 2016 zusammen mit Nicolaus Heinen, damals Analyst für europäische Wirtschaftspolitik bei der Deutschen Bank, und Stephan Leitner, zu jener Zeit Vorstandsmitglied desselben Kreditinstituts, bei dem Frieden Vice Chairman war, veröffentlichten Buch „Europa 5.0 – Ein Geschäftsmodell für unseren Kontinent“ darlegte. Europa sei ein Mittel, „um mehr Wachstum zu erzeugen“, sagte er 2020 in einem Interview mit der revue. Bezüglich der luxemburgischen Wettbewerbsfähigkeit stellte er fest: „Wir sind in Konkurrenz nicht mit uns selbst, sondern mit den anderen Staaten. Und in puncto Wettbewerbsfähigkeit sind wir nicht immer die Besten. Irland, Dänemark, die Niederlande, das sind kleine Länder, die in vielen Punkten attraktiver sind und in den Rankings der Wettbewerbsfähigkeit vor uns stehen.“
Knapp vier Jahre haben die Unternehmen trotz der angespannten Wirtschaftslage „große Erwartungen in die neue Regierung“, wie das Tageblatt vor Weihnachten schrieb. „Wie wir wissen, befindet sich das Land in einer Rezession“, wird Carlo Thelen zitiert, Direktor der Handelskammer, und zeigte sich erfreut, „dass man endlich wieder über Themen wie Wachstum und Effizienzsteigerungen reden kann“.
Bekannte Quereinsteiger
Es kommt nicht so sehr darauf an, den Regierungschef als Unternehmenslenker zu sehen. Von früheren Unternehmern, die versprachen, den Staat wie einen Konzern zu führen, gab es schon etliche Beispiele. Politische Quereinsteiger wie etwa Ross Perot, der 1992, Clintons Erfolgsjahr, für das Weiße Haus kandidierte und versprach, seinen milliardenschweren Erfolg als Investor auf ganz Amerika zu übertragen. In Lateinamerika gibt es Beispiele zur Genüge wie etwa der mexikanische Präsident und frühere Coca-Cola-Manager Vicente Fox (2000-2006), der argentinische Unternehmersprössling und Staatschef Mauricio Macri (2015-2019) sowie der chilenische Milliardär Sebastián Piñera, von 2010 bis 2014 und von 2018 bis 2022 Präsident seines Landes. In Afrika gelang es dem aktuellen südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa, übrigens ein ehemaliger Gewerkschaftsführer, als Unternehmer laut Forbes ein Vermögen von rund 450 Millionen US-Dollar anzuhäufen. In Europa sticht Silvio Berlusconi besonders hervor. Seine Erfolge als Unternehmer nahm „Il Cavaliere“, vier Mal Italiens Ministerpräsident und über drei Jahrzehnte die italienische Politik entscheidend mitprägend, als Maßstab für die Politik.
Das bekannteste Beispiel ist bis heute Donald Trump, das aber auch zeigt: Was in der Welt der Firmen und Konzerne funktioniert, muss nicht automatisch in der Politik gelingen. Für einen CEO ist ein Konkurrent ein Gegner. Es geht ihm ums Gewinnen. Doch eine Bilanz in der Volkswirtschaft kann nicht wie eine Konzernbilanz gelesen werden. Dem Staat geht es nicht um den Gewinn, sondern ums Gemeinwohl, wie Michael J. Sandel ausführlich erklärt. Genau dieses sieht er insbesondere durch Finanzkapitalismus und Leistungsgesellschaft bedroht.
Im Vergleich zu einem CEO hat ein Politiker einen begrenzten Gestaltungsspielraum, außer er begibt sich wie Viktor Orbán oder neuerdings Giorgia Meloni mit ihrer angestrebten Verfassungsänderung auf den Weg zum autoritären Staat. „Gewiss, Staaten können durchaus wie Unternehmen geführt werden, also streng hierarchisch und mit einem starken Chef, dessen Direktiven von allen Untergebenen rasch und kritiklos umgesetzt werden“, schrieb Thomas Fuster 2017 in der Neuen Zürcher Zeitung. „Eine solche Regierungsform nennt man aber Autokratie, was keine erstrebenswerte Staatsordnung ist.“ Zwar habe Trump sein Hintergrund als Unternehmer ins Weiße Haus verholfen. Doch einmal dort angelangt, seien ihm in Form von „checks and balances“ Grenzen gesetzt worden.
Modell für gute Zeiten
Der Kern des deutschen korporativen Wirtschaftsmodells der „Deutschland AG“ sei das Primat der Wirtschaft über Staat und Gesellschaft, das den Merkantilismus und Protektionismus erkläre, schrieb Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), in seinem Blog. „Seit 70 Jahren gilt als zentrales wirtschaftliches Ziel, Exporte und globale Marktanteile zu maximieren und Importe möglichst gering zu halten. Das Modell funktioniert in guten Zeiten, wenn ein starkes Exportwachstum viele gute Arbeitsplätze sichert und Steuereinnahmen generiert.“
In Krisenzeiten, wenn globale Verflechtungen stärker zum Tragen kommen, scheitere das Modell, warnt Fratzscher. Anstatt an dem alten Modell festzuhalten, müsse Deutschland sich wirtschaftlich und politisch neu finden, sich vom Einfluss der Unternehmen emanzipieren und unabhängig machen. Denn die Welt werde deutlich komplexer und globaler – neue Herausforderungen wie Klimawandel, Künstliche Intelligenz und der zunehmende Wettbewerb um knappe Ressourcen könnten nur als globale Gemeinschaft gelöst werden.
Das Primat der Unternehmen mache den Staat erpressbar, meint Fratzscher. Dieser müsse sich von der Umklammerung der Wirtschaft lösen und trotzdem „exzellente Rahmenbedingungen – von Infrastruktur über Klimaschutz bis hin zu Fachkräften und einem hervorragenden Bildungssystem – bereitstellen“. Der Staat müsse die bürokratischen Hindernisse abbauen, die administrativen Abläufe vereinfachen und transparenter gestalten. Und er müsse langfristiges Denken und Handeln in den Mittelpunkt stellen. Dies könnte wiederum auch von Luc Frieden stammen.
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Donald Trump war mehrmals insolvent . Nach seiner Nichte Mary in ihrem Buch -Zu Viel und nie Genug -war er 5mal bankrott . Weil Too big to fall ,konnten ihn die Banken nicht fallen lassen .
All Verwaltung muss effizient schaffen, genau wei‘ an engem Betrieb.
Der millionenschwere Unternehmer Luc Frieden, alias „den neie “ Luc „, tritt nicht nur auf wie ein Unternehmer, er ist und bleibt ein solcher. Und so gesehen beherrscht die Wirtschaft die Politik.
Wie wär´s mit einer „Luxemburg GmbH“. Für den Fall dass es schief geht. Man setzt alles in den Sand und dann fängt man wieder von vorne an und der Kunde(wir) ist der Dumme.
Als Unternehmen kann man den Staat nicht vergleichen,
denn diese Firma oder Betrieb „Staat“ ist sowieso von
vorne herein bankrott.
De Mensch virum Profit wär nett schlecht, aber dovun kann een just weider drämen!
Der Staat und seine Verwaltung müssen effizient wie ein Betrieb arbeiten und keinen Verlust einfahren. Es ist so einfach nicht viel zu arbeiten und immer höher den Steuerzahler zu belasten. Der Bürger hat das Recht für die gezahlten Steuern eine Leistung zu erwarten !
Wie war es in Griechischenland, Staat war pleite und die ersten die kein Geld bekamen waren die Staatsbeamten.