Deutschland / Warum so viele junge Menschen rechts gewählt haben
Bei der Europawahl hat die AfD besonders bei jungen Wählern stark hinzugewonnen. Mit welchen Themen sie bei den Jüngsten punkten konnte – und wieso diese nicht für den Rechtsruck verantwortlich gemacht werden sollten.
Junge Menschen, die Rechtsextreme wählen: Es war möglicherweise das Ergebnis der Europawahl mit dem größten Schockeffekt. Die Zukunft wählt die Ewiggestrigen – zumindest jeder sechste der 16- bis 24-Jährigen. Wie ist das möglich?
Migration statt Klimawandel
Ein Blick auf die Themen, die junge Menschen umtreiben, gibt einen Hinweis. Laut Jugendstudie der TUI-Stiftung, die kurz vor der Wahl veröffentlicht wurde, gaben 46 Prozent der befragten 16- bis 26-Jährigen an, dass das Themenfeld Migration und Asyl für sie das drängendste Problem auf EU-Ebene ist. „Diese neue Agenda macht die AfD für einen Teil der Jungwählenden attraktiv“, sagt Professor Stefan Marschall von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Mit dem Themenkomplex Migration und Asyl gelinge es der Partei, für sich zu mobilisieren. „Die AfD konnte mit Themen wie Migration, Identität und Sicherheit bei jungen Menschen punkten“, sagt Louisa Basner, Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz. Die Partei spreche „gezielt Ängste und Unsicherheiten an, die junge Menschen in einer sich schnell verändernden Welt oftmals täglich begleiten“, so die Schülerin.
Gleichzeitig ist das Thema Klimaschutz nicht mehr so präsent wie noch zur vorigen Europawahl 2019. Das Klimathema, sagt Professor Marschall, sei von anderen Problemen und Krisen überholt worden. „Die Pandemie, die Inflation, die Energiekrise und die Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit stehen nun stärker im Blickpunkt auch junger Menschen“, so Marschall. Hinzu kämen die schwächelnde Konjunktur und die Sorgen um die eigene finanzielle Lage anstatt um langfristigere Umweltfragen. Auch Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Klima- und Energiewende hätten zur Verdrängung des Klimathemas beigetragen. Louisa Basner bestätigt das: Migration werde als unmittelbareres und greifbareres Thema wahrgenommen, „das schnelle Antworten und Lösungen erfordert“.
Ganz massiv leiden darunter die Wahlergebnisse der Grünen, die bei der jüngsten Wählergruppe im Vergleich zu 2019 ganze 23 Prozentpunkte verloren haben, wie die Wahlbefragung vom Meinungsforschungsinstitut infratest dimap und ARD zeigt. Die AfD holte dort dagegen elf Prozentpunkte mehr als bei der vorherigen Wahl.
Experimentierfreudig?
Die Jugendstudie der TUI-Stiftung zeigt auch, dass es sich bei jungen Menschen nicht um eine homogene Gruppe handelt, weder progressiv noch konservativ. Als ein mögliches Ergebnis dieser Verschiedenheit könnten die Wahlresultate kleinerer Parteien gedeutet werden. Diese, die bei Vorstellung der Ergebnisse gerne unter „andere“ zusammengefasst werden, holten 28 Prozent der Stimmen der 16- bis 24-Jährigen und wären als Gesamtpartei damit mit Abstand stärkste Kraft. „Bei der Entscheidung für kleine Parteien spiegelt sich die noch geringe Parteibindung der jungen Menschen wider und die Bereitschaft, bei Wahlen ‚out of the box‘ zu entscheiden“, sagt Politikwissenschaftler Marschall dazu, das heißt, unkonventionell zu wählen. Besonders die Europawahl biete sich dafür an, weil kleinere Parteien realistische Chancen hätten, ins Parlament gewählt zu werden. „Zudem erscheinen vielen die Europawahlen weniger relevant; deswegen wählt man hier schon einmal experimenteller“, so Marschall.
Soziale Medien
Die fehlende Parteibindung, erklärt Marschall, sorge auch dafür, dass junge Menschen offener für Impulse von außen seien. Diese Impulse erhalten sie nicht selten über soziale Medien wie die populäre Plattform TikTok. Zwei Drittel der jungen Menschen informierten sich politisch hauptsächlich über die sozialen Medien, so Marschall. Und der TikTok-Algorithmus bevorzuge Videos mit radikalen und provokanten Positionen, das sei ein Vorteil für populistische Parteien. Die Bedeutung dieser Plattformen habe die AfD außerdem früher als andere erkannt, sie professionell genutzt und darin investiert. „Andere Parteien haben das teilweise verschlafen“, so Marschall.
Schülerkonferenz-Chefin Basner betont die „entscheidende Rolle“ der sozialen Medien für die Wahlentscheidung junger Menschen. Die AfD „präsentiert auf den sozialen Medien oftmals scheinbar einfache Lösungen auf komplexe Probleme, welche die Jugendlichen leicht ansprechen“, sagt Basner.
Es sei dennoch übertrieben zu sagen, dass die Jugend insgesamt ein Rechtsextremismus-Problem hat, so Basner, und weiter: „Es wäre unfair, jungen Menschen die Hauptverantwortung für Erfolg der AfD zuzuschreiben.“ Tatsächlich ist die AfD in den Altersgruppen zwischen 25 und 59 noch beliebter als bei jungen Wählern. Die Tendenzen seien dennoch besorgniserregend. Es benötige „gezielte Bildungs- und Aufklärungsarbeit sowie Präventionsmaßnahmen“, wie eine „frühere Medien- und politische Bildung an Schulen“, fordert Basner. Die Verantwortung, sich rechtsextremen Tendenzen entgegenzustellen, liege aber bei der gesamten Gesellschaft.
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