Kino / Warum „The Room Next Door“ von Almodóvar ein zu einfaches Plädoyer für den Freitod ist
Pedro Almodóvar feiert mit „The Room Next Door“ den selbstbestimmten Tod. Mit Julianne Moore und Tilda Swinton setzt er auf zwei ausgezeichnete Schauspielerinnen. Die Farben sind grell, die Botschaft unmissverständlich.
Martha (Tilda Swinton) hat nur einen Wunsch: mit ein bisschen Würde aus dem Leben zu scheiden. Denn die mondäne Kriegsreporterin hat bald die Gewissheit, dass sie den Kampf gegen ihre Krankheit, Gebärmutterhalskrebs im Endstadium, nicht gewinnen kann.
So beschafft sie sich übers Darknet eine Pille, mit der sie sanft entschläft. Ihr letzter Wunsch an Ingrid (Julianne Moore), sie möge sie auf ihrer letzten Reise begleiten, stellt die Schriftstellerin, die ihre Todesangst soeben in einem Roman verwoben hat, vor ein Dilemma. Doch Martha hat sehr konkrete Vorstellungen über den Ablauf: Sie will sich ein Haus außerhalb der Stadt mieten und dort mit der Freundin die letzten Wochen möglichst unbeschwert verbringen. Wenn der Moment käme, an dem sie sich dazu entschließe, ihrem Leben ein Ende zu setzen, werde Ingrid die Tür ihres Schlafzimmers, die sonst stets geöffnet ist, geschlossen vorfinden.
Almodóvar setzt auf Spiegelungen und zeigt die Figuren mehrfach gebrochen durch Fensterscheiben, was eine traumhafte Wirkung zur Folge hat
Von Anbeginn ist Almodóvars Film von schrillen Farben bestimmt. Tiefes Rot auf den Lippen der beiden Akteurinnen, Giftgrün oder quietschendes Gelb bestimmen die Bilder von Eduard Grau, den der spanische Filmmeister erstmals als Kameramann gewinnen konnte. Almodóvar setzt auf Spiegelungen und zeigt die Figuren mehrfach gebrochen durch Fensterscheiben, was eine traumhafte Wirkung zur Folge hat. Die Silhouetten schimmern durch die Fenster und scheinen dem Leben langsam zu entschwinden. Es rieseln rosa schimmernde Schneeflocken, deren Treiben Martha anfangs fasziniert durch ihr Zimmerfenster im Krankenhaus verfolgt. „Es muss etwas Gutes am Klimawandel geben“, wird die dem Tode Geweihte ironisch von sich geben.
Es ist Almodóvars erster englischsprachiger Spielfilm, dessen Drehbuch er selbst verfasste und der den Roman „What Are You Going Through“ von Sigrid Nunez adaptiert. Das Drama gewann 2024 bei den Filmfestspielen in Venedig prompt den „Goldenen Löwen“. Dabei ist die Handlung recht dünn. Almodóvar überlädt sie auch nicht, sondern vertraut auf seine Hauptdarstellerinnen. Das funktioniert streckenweise sehr gut. Der Film trägt die typischen Almodóvar’schen Stilmittel, angefangen mit Rückblenden und homoerotischen Anspielungen.
Die kranke Tilda Swinton wirkt in ihrer Androgynität wie ein Geist und erweist sich als ideale Besetzung. Julianne Moore, stets mit wässrigen Augen, spielt die Rolle der hin- und hergerissenen Ingrid ebenfalls überzeugend. Die Verweise auf Dora Carrington oder Virginia Woolf dienen als Reminiszenzen an eine intellektuelle Mittelschicht, die sich noch in den 1980ern rauschend vergnügte. So tritt mit Damian (John Turturro) ein Mann auf, der einst mit beiden Frauen ein Verhältnis hatte. Der Sex mit Martha sei explosiv wie mit einer Terroristin gewesen, vertraut jener Damian, heute ein umherreisender Umweltaktivist, Ingrid an. Jedes Mal habe man befürchten müssen, es sei das letzte Mal.
Mit seinem Plädoyer für einen selbstbestimmten Tod macht es sich der Regisseur etwas einfach
Manch Einstellung ist bedeutungsschwer geraten. So etwa die erste Hausbegehung des luxuriösen Anwesens, zwei Stunden entfernt von Manhattan, in brutalistischem Ambiente, unterlegt mit melodramatischer Musik. Ein Hopper-Gemälde betont den Schick des mondänen Baus. Im Volvo-SUV fahren die beiden dorthin und schaffen es dort tatsächlich, noch ein paar unbeschwerte Tage zu haben, in denen sie spazieren gehen und über Buster-Keaton-Filme lachen.
Mit seinem Plädoyer für einen selbstbestimmten Tod macht es sich der Regisseur etwas einfach. Indem er alle anderen, die Zweifel anbringen, als fanatische religiöse Spinner abtut, wird er der Komplexität der Thematik nicht gerecht. Verglichen mit eindrucksvollen frühen Werken, insbesondere „Todo sobre mi madre“ (1999) versanden Dialoge und (Film-)Set in „The Room Next Door“ zudem in recht melodramatischen, pathetischen Szenen.
Wenn Martha in den tanzenden Schneeflocken vor ihrem Fenster trotz des nahenden Todes Trost über die Schönheit der Welt empfinden kann, so dürften diese filmischen Einstellungen auf einige Zuschauer:innen schlicht kitschig wirken. Und wenn Ingrid im Dialog mit ihrem einstigen Lover Damian diesen am Ende darüber belehrt, er sei aus Wut über Neoliberalismus, Rechtsruck und die nahende Klimakatastrophe abgestumpft und habe das Empfinden für die wahren Dinge verloren, spricht eine vermeintliche Reife aus der Schriftstellerin. An der Akzeptanz über den Freitod ihrer Freundin ist sie gewachsen, unterstellt Almodóvar in seiner Filmadaptation. So ist „The Room Next Door“ neben Selbstzitat vor allem ein pathetischer Abgesang auf das Leben und seine Schönheit.
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