Analyse / Was die ADR einmal war – und was sie heute ist: Typologie einer ehemaligen Rentnerpartei
Die ADR hat sich längst von ihren Wurzeln als Rentnervertretung verabschiedet: konservativ, rechts, nationalistisch, populistisch, reaktionär, rechtsextrem … sind alles Bezeichnungen, die mit der ADR in Verbindung gebracht werden können. Doch was genau ist die Partei heute? Eine Einordnung.
Parteimitglieder mit SS-Runen auf T-Shirts, Fotos mit Éric Zemmour, dessen Ansichten rechtsextremem Gedankengut zugeordnet werden können, und ein Abgeordneter im Parlament, der den eigenen Hitlergruß über jüdischen Denkmälern mit Sarkasmus kleinredet. An der Spitze dieses Konsortiums steht mit Alexandra Schoos seit kurzem eine Präsidentin, die grüne und sozialdemokratische Politikerinnen als ihre Vorbilder nennt und im Tageblatt-Gespräch angegeben hat, „nichts zu akzeptieren, was in die rechtsextreme Richtung geht.“
Was also ist die „Alternativ Demokratische Reformpartei“?
Die historisch gesehen noch junge Partei ist erst 1987 gegründet worden und hat den ersten Einzug ins Parlament mit einem einzigen Thema geschafft: Rentengerechtigkeit. In der Folge stach die Partei vor allem mit grunddemokratischen Forderungen mit EU-skeptischem Unterton hervor, als sie sich im Rahmen der Ratifizierung der Maastrichter Verträge für ein Volksreferendum aussprach. Die EU-skeptische Haltung ist eine Konstante, die sich seit den Gründungsjahren durchs Parteiprogramm zieht. 2005 stellt sich die ADR als einzige Chamberpartei gegen den EU-Verfassungsvertrag und kritisiert regelmäßig alle weiteren europäischen Integrationsbemühungen mit dem Argument des schleichenden Souveränitätsverlustes für Luxemburg.
Kernthemenwandel
Seit ihrem Beginn als Rentnervertretung hat sich der Fokus in den vergangenen Jahren immer mehr auf Identitätspolitik verlagert. Der Umschwung setzte spätestens mit der Wahl des besonders in gesellschaftspolitischen Fragen rechtskonservativen Fernand Kartheiser an die Parteispitze im Jahr 2012 ein. Eine Neuausrichtung, die auch innerparteilich nicht unumstritten war und zu einigen Parteiaustritten geführt hat. In einem Bericht im Lëtzebuerger Land des 23. März 2012 berichtete der Journalist Romain Hilgert, dass mehrere Parteimitglieder befürchteten, dass der „vehement antiislamisch und antifeministisch auftretende“ Fernand Kartheiser die Partei endgültig ins rechtsextreme Lager führen würde.
Kritiker behaupteten, dass die ADR mit der Einbindung der Plattform „Wee/Nee 2015“ den eingeschlagenen Weg fortsetzte. „Wee/Nee 2015“ hatte sich im Vorfeld des Referendums gegen das Ausländerwahlrecht positioniert. Gast Gybériens Austritt aus der Chamber und die Übergabe seines Mandates an Fred Keup verbuchen viele politische Beobachter als eine weitere Stufe der Radikalisierung der Partei. Tatsächlich driftet die ADR seit Fred Keups Parteieintritt zunehmend ins Identitäre ab. Vorläufiger Höhepunkt: Das mit Parteikollege Tom Weidig auf Deutsch publizierte Buch „Mir gi Lëtzebuerg net op: Auflösungserscheinungen einer kleinen Nation“. Parallelen zur deutschen Alternative für Deutschland (AfD), die dem deutschen Verfassungsschutz nach in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem gilt, sind deutlich erkennbar. Ursprünglich als rechtsliberale euroskeptische Wirtschaftspartei gegründet, hat sich die AfD infolge zahlreicher Personalwechsel und Machtkämpfe (wie auch die ADR) radikalisiert.
Auch strategisch inspiriert sich die ADR zusehends an rechten Bewegungen aus dem Ausland. Wahlstrategien eines „Rassemblement national“ unter Marine Le Pen oder der AfD werden übernommen. Fred Keup nähert sich rhetorisch einem Donald Trump an. „Gendergaga“ und „Wokeness“ sind längst Kampfbegriffe im politischen Vokabular der ADR. Die Themen Sicherheit und Identität bilden dagegen den Kern der ADR-Politik. Sie schafft somit die Grundlage für ihre Politik der Exklusion, die einzig und allein darauf abzielt, eine nostalgisch angehauchte Vorstellung Luxemburgs zu erschaffen, die es in der Realität nie gegeben hat.
Populistischer Drift
Spätestens seit dem Referendum von 2015 und der Aufnahme der Wortführer von „Wee/Nee 2015“ vor den Parlamentswahlen 2018, sieht sich die Partei in ihrer Politikvorstellung bestätigt. Noch heute bedienen sich Parteipolitiker (allen voran Fred Keup) der Volksbefragung von vor neun Jahren, um ihre Politik zu legitimieren. Die ADR vertritt seitdem einen Alleinvertretungsanspruch für die „wahren Luxemburger“ – eine Ansicht, die sich bei den vergangenen Chamberwahlen mit einem erreichten Stimmenanteil von knapp zehn Prozent zumindest elektoral nicht bestätigen lässt.
Ein Realitätscheck, der jedoch nicht am nativistischen Kurs der Partei rütteln dürfte. Längst greift die Partei auf willkürliche Kriterien zur Definition eines „richtigen Luxemburgers“ zurück, weil ihr die Nationalität als ausreichendes Kernmerkmal nicht mehr ausreicht. Gegenüber Reporter.lu (vor den Chamberwahlen im vergangenen Oktober) meinte Fred Keup, dass „Nationalität heute als eine Art Rabattkarte angesehen wird. Die Leute wollen die Vorteile, ohne dass sie wirklich die Nationalität haben wollen und sich damit identifizieren können.“ Und auch im Wahlprogramm finden sich Passagen, die darauf schließen lassen, dass in den Augen der ADR eine Luxemburger Staatsbürgerschaft nicht das Gleiche ist, wie „richtiger Luxemburger“ zu sein. „Bei schweren Verbrechen sollten Luxemburger mit doppelter Nationalität wieder ausgebürgert werden können“, steht etwa auf Seite 17.
Für diese Luxemburger Staatsbürger zweiter Klasse reicht es dann auch nicht mehr, die Luxemburger Sprache zu beherrschen. Vage und arbiträre Standards werden dazu genutzt, die Teilnahme ausländischer Bevölkerungsgruppen am demokratischen Diskurs zu delegitimieren. „Lëtzeboia schwätze Lëtzeboiaasch“, titelte Guy Rewenig kürzlich in einem Forumsbeitrag – und brachte die ADR-Formel der Sprache als Mittel zur Exklusion auf den Punkt.
Mit ihrer weniger am Wahlvolk (demos), sondern vielmehr nach ethnischen Kriterien (ethnos) definierten „Wir“ gegen „Sie“-Haltung kann die ADR zweifelsohne als rechtspopulistische Partei definiert werden. Aus den eigenen Reihen manifestiert sich wenig bis gar kein Widerstand gegen diesen Kurs. Im Gegenteil: Kritiker werden, egal ob Journalisten oder Künstler, öffentlich diffamiert. Ein rezentes Beispiel war die Drohung von Tom Weidig gegen den Karikaturisten Carlo Schneider im Rahmen der Bettelverbot-Debatte. Weidig sah eine Karikatur als Anlass, dem Künstler in einem Kommentar auf Facebook einen Besuch anzudrohen: „Sag mir mal, wo du wohnst, dann kann man auch mal bei dir vorbeikommen, dann siehst du mal, wie witzig es ist, bedroht zu werden.“ Wie aber schon beim Nazi-Gruß über dem Juden-Denkmal waren es wiederum „die Anderen“, die alles missverstanden haben.
Offener Flirt
Mit Fred Keup und Tom Weidig in den vorderen Rängen hat die ADR den brachialen Weg gewählt. Konnte Kartheiser die Vorwürfe rechtsextremer Tendenzen mit seinen rhetorischen Fähigkeiten abstreiten oder wettmachen, sieht ein opportunistischer Fred Keup solche Skandale als Möglichkeit, die eigene Agenda medienwirksam voranzutreiben. So verteidigt er bis heute die SS-Runen auf dem T-Shirt eines ADR-Mitglieds, das bei den Chamberwahlen im Osten kandidieren sollte, als Anfangsbuchstaben eines Luxemburger Motorradclubs. Dass der gleiche Kandidat unter einem Pseudonym Hitler-Memes in den sozialen Medien geteilt hat, scheint in der ADR-Chefetage niemanden wirklich zu kümmern.
Und damit ist eine wesentliche Entwicklung festzustellen, wie die ADR mit rechtsextremem Gedankengut innerhalb der eigenen Parteireihen umgeht. 2012 sind zwei ADR-Mitglieder aus der Partei ausgetreten, weil sie islamophobes und rechtsextremes Gedankengut verbreitet hatten. Kartheiser bekannte sich in einer Stellungnahme dazu, dass ansonsten ein Ausschlussverfahren angestrengt worden wäre. 2017 wurde Joe Thein aus der Partei ausgeschlossen, weil er einen Kommentar likte, der an die Ermordung John F. Kennedys erinnerte, und implizierte, man möge das auch mit dem damaligen Luxemburger Außenminister Jean Asselborn machen.
Heute hingegen werden solche Eskapaden als Nichtigkeiten abgetan oder sogar verteidigt – inklusive Schelte an die Presse, die aus „einer Mücke einen Elefanten macht“ (dixit Alexandra Schoos). Insbesondere Fred Keup scheut sich auch nicht davor, Journalisten und insbesondere Journalistinnen öffentlich an den Pranger zu stellen, wenn ihm die Berichterstattung nicht gefällt. Auch das Luxemburger Umfrageinstitut TNS-Ilres ist bereits ins Visier von Keup geraten. Fotos mit dem Rechtsextremen Éric Zemmour, zur Schau getragene Reichsbürgersymbolik oder Veranstaltungen mit antisemitischen Fundamental-Katholiken sind alles Vorfälle, die sich eben nicht mehr nur auf vereinzelte ADR-Hinterbänkler begrenzen, sondern längst die oberste Etage der ADR erreicht haben.
Das wohl prägnanteste Beispiel dieses Richtungswechsels: Das Anbandeln mit den Verschwörungstheoretikern des ehemaligen ADR-Politikers Roy Reding. Dieser gab sich als Volksheld derer, die die „Pandemie“ als Verschwörung einer Weltelite interpretierten, die im Interesse der Pharmaindustrie handelte. Obwohl Roy Reding nicht mehr Mitglied in der ADR ist, finden sich Überbleibsel dieser Politik noch immer im politischen Diskurs der ADR wieder. So hat die ADR unter anderem Wahlkampf mit der Forderung gemacht, im Rahmen des Pandemievertrages dürfe es nicht zu einem Luxemburger Souveränitätsverlust kommen – ein Sachverhalt, der im Pandemievertrag der WHO überhaupt nicht zur Diskussion steht.
Innere Widersprüche
Zu dem Schema passt auch die ständige Diskursverschiebung, die eine ADR mittlerweile ganz gezielt anstrebt. Äußerungen werden getätigt, über die sich die Öffentlichkeit echauffiert und über die die Presse anschließend berichtet. Das anschließende Zurückrudern wird dann mit einem verschmitzten Grinsen in Kauf genommen, weil das eigentlich Unsagbare sagbar geworden ist. Zu diesem Zweck lässt die ADR auch gerne mal ihre aufstrebenden Jungpolitiker von der Leine. ADRenalin-Präsident Maks Woroszylo polarisiert regelmäßig mit Aussagen, die man sonst nur aus rechtskonservativen Kreisen im mittleren Westen der USA kennt. Der Jungpolitiker hat vor Kurzem die Liberalisierung des Schusswaffengebrauchs im Privaten gefordert. Diese rezente Forderung hat Woroszylo mit Zahlenmaterial aus dem Nachrichtenmagazin Focus begründet, laut dem Luxemburg die drittgefährlichste Hauptstadt in der EU sei. Das Zahlenmaterial stammt allerdings aus den Jahren 2007 bis 2009, und wertet lediglich die Tötungsdelikte pro Einwohner aus. Alles Details, die in der heraufbeschworenen Polemik untergehen.
Ob nun SS-Symbole, ein liberalisierter Schusswaffengebrauch oder Fotostunts mit Rechtsextremen – Parteipräsidentin Alexandra Schoos wird die politische Speerspitze, bestehend aus Keup und Co., in Schach halten müssen. Wobei nicht ersichtlich ist, wie der recht unerfahrenen Politikerin das angesichts solcher Schwergewichte gelingen kann. Dabei ist die Ernennung der jungen Politikerin durchaus ein politisch gewiefter Schachzug: Schoos bietet aufgrund ihrer bisher raren Auftritte in den Medien wenig Angriffs- und Projektionsfläche für Kritik an den Ansichten, die ihre Parteikollegen vertreten.
Die ADR-Präsidentin verkörpert aus politischer Sicht wie kein anderer die Widersprüche der ADR. Emanzipation, Gleichberechtigung, Chancengleichheit sind Werte, die die Politikerin dem eigenen Bekunden nach hochhält. Dem gegenüber steht das Programm der ADR, in dem für Feminismus kein Platz ist und Geschlechterquoten dringend abgeschafft gehören. Der nativistische Diskurs der ADR steht nicht selten im Gegensatz zu den persönlichen Familiengeschichten der Hauptprotagonisten, wie beispielsweise dem polnischstämmigen Woroszylo. Und während ein Tom Weidig die NS-Besatzung „sarkastisch“ lobt (sic!), will die ADR-Präsidentin mit einer deutschen Mutter eben diese Vorkommnisse nicht als Dumme-Jungen-Streiche abtun. Und verklärt anschließend die SS-Runen auf dem Ärmel eines T-Shirts zu einer Motorradmarke.
Fünf Rechtstöne
Die jetzige ADR-Fraktion im Parlament ist in politischer Hinsicht keine homogene Masse, die man unter einem Sammelbegriff zusammenfassen könnte. Engelen ist als Mitbegründer der Partei ein Relikt aus der Anfangszeit und sicher konservativ veranlagt – hat aber noch nicht wirklich mit rechtsextremem Gedankengut auf sich aufmerksam gemacht. Auch Alexandra Schoos kann man nicht als rechtsextrem einstufen. Fernand Kartheiser, Fred Keup und Tom Weidig haben bereits wesentlich deutlicher und auch öffentlich mit rechtsextremem Gedankengut geliebäugelt.
„Die ADR ist nicht rechtsextrem.“ Diese Aussagen haben die beiden ehemaligen Premierminister Jean-Claude Juncker und Xavier Bettel in Tageblatt-Interviews getätigt. Zumindest aus politikwissenschaftlicher Sicht lässt sich in dem Sinn nur schwer ein Urteil fällen – aus dem ganz einfachen Grund, weil es keine einheitliche Definition von Rechtsextremismus gibt. Trotz des intensivierten Flirts mit rechtsradikalen, nationalsozialistischen, antisemitischen bis hin zu völkischen und faschistischen Elementen, kann der ADR nicht zulasten gelegt werden, das demokratische System in Luxemburg, das System der Repräsentation an sich, konsequent angreifen oder unterwandern zu wollen. Die Weichen in die Richtung sind jedoch gestellt. Dennoch sieht sich die ADR, trotz eines vermehrt anti-demokratischen Kurses, noch nicht als einzige Alternative eines „demokratischen Korrektivs“. Die Partei hält sich noch die Möglichkeit offen, mit einer CSV als möglichem Koalitionspartner den für sie machtpolitisch einzig logischen nächsten Schritt zu gehen: Regierungsverantwortung zu übernehmen.
In diese Logik bettet sich auch das bisherige Abstimmungsverhalten der ADR ein. Obwohl die Partei sich nach außen als harte Oppositionsfront präsentiert, belegt das Abstimmungsverhalten eher das Gegenteil. Wie die Wochenzeitung woxx analysierte, hat die ADR in 76 Prozent der Abstimmungen mit den Regierungsparteien mitgestimmt. Zum Vergleich: Die AfD stimmte zu Zeiten der Großen Koalition nur in etwa der Hälfte der Abstimmungen mit den Regierungsparteien von CDU/CSU und SPD. Es zeigt: Noch hat die ADR ihre konsensorientierte Politik nicht aufgegeben. Der rhetorisch zunehmend radikale Kurs hat sich realpolitisch noch nicht materialisiert – und muss als Versuch einer Anbiederung an die CSV interpretiert werden.
Kritische Stimmen gegenüber staatlichen Institutionen, wie der Gerichtsbarkeit, sind – zumindest öffentlich – ebenfalls deutlich rarer gesäht als bei der AfD. Und auch sonst stehen die staatlichen Institutionen nicht im Zentrum ihrer Kritik. Die Delegitimierung „linker Mainstream-Medien“ gehört dahingegen bereits zum guten Ton eines ADR-Politikers. Wie sich der Diskurs aus der Chefetage verändern wird, sollte die Partei ihr Ziel einer Machtbeteiligung in naher Zukunft nicht erreichen, ist absehbar. Der zunehmend rechtsgerichtete, reaktionäre Grat, auf dem die ADR wandelt, ist in rezenten Jahren wesentlich radikaler und schmaler geworden – und eine Kurskorrektur ist nicht in Sicht.
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Dann warten wir mit spannung auf die analyse wie die LSAP und auch das tageblatt sich seit 1960 bis heute gewandelt hat
Man dreht sich halt immer mit dem Winde. Da muss man schon manchmal Kehrt machen und die Farbe wechseln wie ein Chamäleon. Nationalistische und ,wegen der anstehenden Völkerwanderung ,rechtsradikale Äusserungen im Sinne einer AfD sind nach dem Gusto vieler Luxemburger Wähler.Sonst wäre diese Gurkentruppe schon längst den Bach runter. Die Pest mit der Cholera austreiben war noch nie eine Lösung.