Editorial / Was für ein Scheiß: Hundekot als Angriff auf die Meinungsfreiheit
Dackelkotattacke gegen Kritikerin im Foyer der Staatsoper Hannover. Was wie eine reißerische Titelseite in der Boulevardpresse klingt, ist leider traurige Wahrheit: Am vergangenen Wochenende hat der mittlerweile entlassene Ballettchef Marco Goecke der FAZ-Kritikerin Wiebke Hüster Hundekot ins Gesicht geschmiert, weil er über deren nicht ganz sanfte Kritik entrüstet war. Kurz darauf entschuldigt sich der Kulturschaffende in einer sehr ambivalent formulierten Stellungnahme – seine „schändliche Handlung im Affekt“ sei eine „Überreaktion“ gewesen, die Medien müssten jedoch „eine gewisse Form der destruktiven, verletzenden und den gesamten Kulturbetrieb schädigenden Berichterstattung“ überdenken.
Meine erste Reaktion war: Wieso hatte der Typ eigentlich Hundekot parat? Auch wenn das hier nicht der springende Punkt sein soll – Interpretationen zur Hundekotanwesenheit in der Tasche des Ballettchefs überlasse ich gerne Slavoj Zizek –, entledigt sich ein Hundebesitzer doch dem eingetüteten Darminhalt seines Haustiers schnellstmöglich. Wenn dies also wohlüberlegt war, fragt man sich, wieso diesem kreativen Kopf, Träger des Deutschen Tanzpreises, nichts Besseres eingefallen ist. Und woher kommt diese fast explizite Legitimierung mitten in seiner halbherzigen Entschuldigung? So klingt jemand, der etwas bereut, definitiv nicht.
Denn im Visier ist hier die Freiheit des Kritikers, der das Recht hat, bösartig zu sein. Wer sich durch einen miesen Abend in der Oper gekämpft hat, darf gerne auch mal mit Humor oder Wut zum Ausdruck bringen, was ihm missfallen hat. Manchmal muss er das sogar nicht: Als das Musikportal Pitchfork die zweite Platte der Australier Jet rezensierte, war das mit 0 von 10 Punkten bewertete Album dem Rezensenten bloß ein YouTube-Video eines Affen, der sich selbst in den Mund uriniert, wert. Fundiert war diese Kritik nicht – trotzdem gilt sie heute als legendär, weil sie auf eine krude Art sagte, dass es über die Musik von Jet rein gar nichts zu sagen gibt.
Wer als Kritiker seinen Job ernst nimmt, eckt auch hier in Luxemburg gerne mal an: Ein angehender Autor schrie mich vor Jahren sturzbesoffen an einem Sonntagnachmittag im hauptstädtischen „Vis-à-Vis“ an, weil ich es gewagt hatte, seinen Roman zu verreißen; ein weiterer Schriftsteller empfing mich mit Fuck-You-Fingern im „Gudde Wëllen“, bevor er meine damalige Partnerin als „Fotze“ bezeichnete; ein bekannter Luxemburger Musiker rief mich während des Lockdowns um 3 Uhr in der Nacht an, um mir zu erklären, ich solle eventuell den Beruf wechseln. Aber auch als Schriftsteller wird man von Kritikern belästigt: So meinte damals ein Rezensent über mein erstes Buch, es eigene sich höchstens als Schwanzbedeckung in der Sauna – woraufhin ich entgegnete, angesichts des Buchformats würde das mehr über seine Genitalien als über mein Schreiben aussagen.
Verzeihen Sie mir, dass ich im Abschnitt davor nicht gegendert habe: Meinen persönlichen Erfahrungen nach handelte es sich hierbei stets um Männer – und kürzlich von The Guardian veröffentliche negative Erfahrungen von Kritikern mit Kulturschaffenden bestätigen diese triste Empirie. Vielleicht hatten Männer im Kulturbereich zu lange freie Hand, sodass deren toxisches Verhalten immer wieder mit Argumenten wie Exzentrik und Künstlerego legitimiert wurde und man ihren Jähzorn mit Temperament verwechselte.
Was in Hannover passiert ist, ist ein niveauloser, unsäglicher Angriff. Das Gegenteil, also das lauwarme, kontaktscheue Verhältnis zwischen Kritik und Kultur, das sich in Luxemburg mit ein paar Ausnahmen durchgesetzt hat und sich darin manifestiert, dass niemand dem anderen auf die Füße treten will und die meisten Berichterstattungen todlangweilig und konsensuell sind, ist jedoch auch nicht wünschenswert. Respektvoll, aber knallhart kritisch – das müsste doch drin sein, oder? Auch ohne Dackelkot.
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Stimmt, in Luxemburg (und scheinbar auch anderswo) geht man stets von einer harmonischen Symbiose zwischen Kunst und Kritik aus. Die Presse sozusagen als erweiterter Arm der PR… Das weckt Erinnerungen : ich denke da an einen Bericht zum Konzert von Tokyo Hotel in Esch anno 2006…
Kritik däerf och béis sinn. Woar ëmmer e grousse Fan vun der „Arschbombe des Monats“ am Rock Hard =)