Esch2022 / Was lange währt, wird endlich ... ok?: Das Kulturprogramm steht, bleibt aber erst einmal ziemlich abstrakt
Es ist so weit: Die 160 Projekte und 2.000 Events, die das Label der Kulturhauptstadt 2022 tragen, wurden während eines groß angelegten Pressetages in einem Marathondurchlauf enthüllt. Auch wenn so einige spannende Events dabei sind: Auf den ersten Blick fehlt es dem Programm an großen Namen und einer roten Linie. Eine Analyse.
„In 121 Tagen geht es los. Rezent hörte ich, 121 Tage, das wäre eigentlich übermorgen. Ich sage: Es ist morgen.“ Mit diesen der herkömmlichen Zeitrechnung trotzenden Worten eröffnet Escher Bürgermeister und Präsident der „Esch22 asbl.“ Georges Mischo (CSV) die Programmvorstellung „seiner“ Kulturhauptstadt.
Denn dank Covid-Check und der Entlastung der Krankenhäuser sind sie wieder möglich, die Pressekonferenzen oder gar Pressetage, während denen man sich eine Zeit lang von zu Hause aus ein- und, je nach Grad der Langeweile, auch wieder ausklinken konnte, um Tee zu kochen oder sich einen Espresso vorzubereiten.
Vor die eigentliche Kulturprogrammvorstellung – die eigentlich der Dreh- und Angelpunkt des nächsten Jahres sein soll – stellte man den üblichen Reigen an Reden: Nach dem Amuse-Bouche – eine freudige, digital übertragene Eröffnung von Großherzogin Maria Teresa – gaben Kulturministerin Sam Tanson (déi gréng) und Escher Bürgermeister Georges Mischo (CSV) einen politischen, Hauptkoordinatorin Nancy Braun und Programmverantwortliche Françoise Poos einen organisatorischen Überblick.
Dabei erinnerte Sam Tanson daran, dass die Kulturhauptstadt kein reines Gimmick ist – mit diesem Label verpflichte man sich, zwei Missionen insbesondere nachzukommen. So gelte es, die kulturelle Vielfalt des europäischen Raums zu fördern und mithilfe von nachhaltigen Projekten die langfristige Entwicklung einer Stadt oder einer Region zu gewährleisten. „Ein Jahr lang feiern kann jeder“, meinte dazu Partyhengst Mischo, „aber Esch2022 soll ein Sprungbrett sein für die Nachhaltigkeit, die Wirtschaft und für den Tourismus.“
Und widerspricht damit implizit Sam Tanson, die kurz davor verdeutlichte, dass Elemente wie Tourismus oder Mobilität zwar durchaus wichtig wären, man das Kernelement Kultur aber nicht aus den Augen verlieren dürfe – es war dies ein schönes, diskretes rhetorisches Tauziehen.
Zwischen den Zeilen
Vor zwei Jahrhunderten wollte der schottische Philosoph David Hume die Philosophie von allen nichtssagenden Begriffen lösen. Würde man ein solches Unterfangen auf den gestrigen Pressetag applizieren – es wäre von so einigen Reden beileibe nicht viel übrig geblieben. Manch einem ging es wohl hauptsächlich darum, so viele Schlagwörter wie möglich in einem Satz unterzubringen: Nachhaltigkeit, Europa, Vielfalt, Europa, Solidarität, europäische Identität, Industrialisierung, Wissensgesellschaft, Regionalität, Europa, Integration, Europa, Zusammenhalt, Europa. Und Europa. Habe ich bereits Europa erwähnt? In einer Rede kann es nie genug Europa geben. Dass die Aussagen durch die zahlreichen abstrakten Substantive irgendwann nichtig wurden – Nebensache.
Oft verlassen sich Politiker darauf, dass der Journalist aus dem Geschwafel Kohärenz stiftet, des Pudels Kern extrahiert, den Informationsgehalt wie Kaffee durch den Filter seines Artikels sickern lässt. Spannender als das, was während des Pressetages eigentlich gesagt wurde, ist allerdings all das, was eben nicht thematisiert wurde. Da die ausländische Presse vor Ort war, war es wichtig, das offizielle Narrativ – wegen der Pandemie konnte so einiges nicht umgesetzt werden – lautstark zu vertreten und den hier in Luxemburg ziemlich löchrigen Mantel des Schweigens über all das zu hüllen, was bereits vor der Pandemie das reibungslose Voranschreiten der Organisation und der Programmierung verhinderte.
So traute sich nur Kulturministerin Sam Tanson (déi gréng), einen kurzen chronologischen Überblick zu geben, der sich, wenn man etwas genauer hinschaut, in seiner Intrigenlastigkeit fast wie das apokryphe Drehbuch einer „House of Cards“-Staffel liest.
Während Tansons fragmentarischen Parcours fühlte ich mich implizit an all das erinnert, was zwischen 2014 und 2021 verbockt wurde – und möchte deswegen hier kurz, weil wiederholtes politisches Schweigen irgendwann zu Vergessenheit und Vergessenheit irgendwann zu Geschichtsumschreibung führt, an das abgelehnte erste „Love“-Bidbook erinnern, an die Pionierarbeit des Tandems Andreas Wagner (damals Hauptkoordinator) und Janina Strötgen (einstige Kulturkoordinatorin), das die Stadt Esch nach getaner Arbeit sehr unrühmlich absägte und an den darauffolgenden Kulturkoordinator Christian Mosar, der das Team 2020 verließ, und dem man folglich die Leitung der „Konschthal“ anvertraute.
Schuld daran trägt das aktuelle Team nicht wirklich, am eigentlichen Programm merkt man jedoch ziemlich deutlich, dass man in Verzug geraten ist und Menschen schnellstmöglich aus den Ruinen dessen, was einmal möglich gewesen wäre, eine Hauptstadt zusammenbasteln mussten. Von den von Wagner und Strötgen im Bidbook angekündigten Projekten – bei dem Bidbook handelt es sich um das Dokument, das Esch und dem Süden den Hauptstadttitel eigentlich einheimste – scheint auf den ersten Blick kaum etwas übrig zu sein, das aktuelle Programm wirkt wie ein Palimpsest, in dem immer wieder thematische Spuren des alten Programmes durchscheinen.
Industrie, Wissen und Zukunft
Von den über 600 durch den Projektaufruf eingereichten Projekte wurden 130 zurückbehalten, so Programmkoordinatorin Françoise Poos. Insgesamt sind es 160 Projekte – zu den 130 Partnerprojekten gesellen sich die von „Esch2022“ eigens konzipierten Projekte –, die zu etwa 2.000 Events führen sollen, wovon über 1.000 in Esch/Alzette stattfinden werden. Die restlichen sind auf die zehn anderen Gemeinden im Süden Luxemburgs und die acht Gemeinden des CCPHVA verteilt. Mit 310 Performances, 141 Konzerten, 137 Ausstellungen, 32 Festivals und 360 partizipativen Workshops fällt das Programm recht üppig aus, für sprachliche Vielfalt ist zudem gesorgt – zu den vier geläufigen Sprachen gesellen sich auch Projekte auf Portugiesisch und Spanisch.
Belval steht dabei als Symbol, so Programmdirektorin Françoise Poos, des Übergangs von einer Industriegesellschaft – die auf Belval fast museal gen Himmel ragt und deren Überbleibsel (die Möllerei, der Socle C, die Massenoire, um nur einige davon zu nennen) im Laufe des Kulturjahres vielfältig zu Eventzwecken umgewandelt werden – zu einer Wissensgesellschaft.
Die Highlights des Programms sind dabei zu zahlreich, um in einem Artikel aufgelistet werden zu können. Stellvertretend für das Sample, das der Presse vorgestellt wurde, stellen wir hier ein subjektives Sample der Samples vor: Da wäre das Stück „Idiomatic“, in dem fünf Schauspieler in den verschiedensten Sprachen aneinander vorbeireden (ein Roboter soll mithilfe von Übersetzungen für Klarheit sorgen) und das vor der großen Ouvertüre am 26. Februar, für die sich tanz-, mal- oder musikbegeisterte Menschen zur Teilnahme anmelden können, sozusagen als Prä-Ouvertüre funktioniert.
Vielversprechend klingen auch die „Working Class Heroes“-Ausstellung im „Musée vun der Aarbecht“ in Kayl, die Wiederöffnung der Mine d’Umbau in Audun-le-Tiche, die mit Escape Games, Konzerten und Dunkelrestaurant vielseitig und unerwartet bespielt wird, zahlreiche Ausstellungen (u.a. „Bloom“ und eine Art Werkschau des Luxemburger Künstlers Auguste Trémont), die auf vielseitige Art die industrielle Vergangenheit der Region beleuchten, ein Projekt, das die rote Erde als Bindeglied zwischen dem industriellen Süden und der Marskolonisierung sieht („Esch-Mars“), das „Pimp My Accessibility“-Projekt und die Dokumentation zu 50 Jahren Luxemburger Frauenfußball oder auch ein Escape Room, in dem Nachhaltigkeit und die Zukunft des Planeten im Zentrum stehen.
Vielversprechend könnte der Austausch mit Kaunas (Litauen) und Novi Sad (Serbien) sein – hier wurde bspw. im Dialog mit den Vertretern der beiden Partnerkulturhauptstädte eine grenzenüberschreitende Jazzresidenz in Düdelingen angekündigt, die Lust auf mehr macht.
Bei so einigen Projekten hat man allerdings den Eindruck, dass Kulturevents, die eh stattgefunden hätten oder alljährlich stattfinden, einfach mit dem „Esch22-Label“ versehen (ich denke an die Francofolies in Esch oder die LiteraTour in Bettemburg) und etwas aufgemotzt wurden: Hinter dem „Fesitval du feu“ in Käerjeng versteckt sich das traditionelle Burgbrennen, dem mit Holzskulpturen und einer wissenschaftlichen Recherche rund um das Phänomen ein zeitgenössischer Touch verliehen werden soll.
Uninteressant ist das nicht unbedingt, nur fehlt auf den ersten Eindruck dem Programm eine rote Linie, eine Vision. Klar, die vier thematischen Eckpfeiler – Identität, Nachhaltigkeit, Kultur, Europa – halten die verschiedenen Projekte lose zusammen. Aber irgendwie verhandelt doch fast jedes zeitgenössische europäische Kulturprojekt Themen wie Identität, Nachhaltigkeit, Migration, europäische Vergangenheit oder Zukunft.
Zudem fehlen die internationalen Schwergewichte – speziell in den Bereichen Theater, Literatur und Musik: Konzerte der Black Eyed Peas oder der Kings of Leon – beides Bands, die es seit Jahrzehnten gibt und die nicht mehr ganz „Fresch“ sind – können bisher nicht darüber hinwegtrösten, dass die verlorene Zeit deutliche Spuren im Programm hinterlassen hat. Man darf demnach gespannt sein, wie sich die einzelnen Projekte in den nächsten Monaten konkretisieren werden.
- Barbie, Joe und Wladimir: Wie eine Friedensbotschaft ordentlich nach hinten losging - 14. August 2023.
- Des débuts bruitistes et dansants: la première semaine des „Congés annulés“ - 9. August 2023.
- Stimmen im Klangteppich: Catherine Elsen über ihr Projekt „The Assembly“ und dessen Folgeprojekt „The Memory of Voice“ - 8. August 2023.
Das wird der Reinfall der Dekade.
Schade um das schöne viele Geld ( Steuergeld ) was hier verplempert wird, der Bürgermeister G. Mischo und sein Schöffenrat von Esch sur Alzette können anstellen was sie wollen aus Esch wird nie eine anständige Stadt weil man alles halbherzig macht man versucht hier mit den großen Hunden zu P……, aber aus einer Arbeiterstadt macht man keine mondäne Luxusstadt oder warum verschwinden sonst so viele Geschäfte aus Esch.
Ich muss “ uma “ leider recht geben das wird der Reinfall des Jahres 2022, Leider