/ Was wird aus den Fraktionen im EU-Parlament? Reger Zulauf für EU-Kritiker und -Gegner erwartet
Wie wird sich das neue Europäische Parlament (EP) zusammensetzen? Die Wahlen haben gestern begonnen und ihr Ausgang ist so unvorhersehbar wie noch nie seit der ersten Europawahl 1979. Wohl dürfte nach der Verkündung der Resultate in der Nacht zum Montag in etwa klar sein, wie das Kräfteverhältnis zwischen den Fraktionen aussieht. Doch in den darauffolgenden Tagen und Wochen kann sich noch einiges ändern. Ein Überblick über die Fraktionen im EU-Parlament, wie sie zusammengesetzt sind und was nach dem Wahlsonntag zu erwarten ist.
Die diesjährige Europawahl wird von vielen als Richtungswahl beschrieben. Werden die Wähler, wie vielfach befürchtet wird, Rechtspopulisten und Nationalisten dermaßen stärken, dass diese einen Einfluss auf die künftige politische Entwicklung in der Europäischen Union haben können? Umfragen zufolgen dürften diese Parteien und Bewegungen zwar gestärkt aus den EU-Wahlen hervorgehen. Doch ist weitgehend unklar, inwieweit es ihnen gelingt, eine geeinte Fraktion im Europäischen Parlament zu etablieren.
Immerhin haben sich die Hauptakteure der rechten Parteien wie der italienischen Lega, der französischen Rassemblement national (RN) (ehemalige Front national), der deutschen AfD und der österreichischen FPÖ noch am vergangenen Sonntag in Mailand ein Stelldichein gegeben und Geschlossenheit demonstriert. Doch nicht alle EU-Kritiker werden sich ihnen anschließen. Denn bislang gab es drei verschiedene Fraktionen im EP, die von EU-kritisch bis EU-feindlich das ganze Spektrum jener politischen Kräfte abdeckten, die nicht an einer weiteren Integration interessiert sind. Doch keine der drei wollte etwas mit einer der anderen Fraktionen zu tun haben. In und zwischen diesen drei Fraktionen wird sich nach der Wahl am meisten bewegen. Möglich ist, dass sich zumindest eine auflöst. Sicher ist aber, dass sie an Gewicht gewinnen werden.
Die traditionellen Gruppierungen
Relativ einfach und übersichtlich verhält es sich mit den Fraktionen, die von traditionellen Parteien gebildet werden. Dazu zählen die Europäische Volkspartei (EVP), die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D), die Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (Alde), die Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke sowie die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz. Doch auch diese sind keine einfachen Gebilde.
Allein in der EVP sind rund 50 verschiedene Parteien aus den 28 EU-Mitgliedstaaten vertreten. Beispielsweise kommen aus Belgien drei Parteien, aus der Slowakei gar vier. In der zweitgrößten Fraktion, der S&D, geht es nicht gar so vielfältig zu, doch setzt auch sie sich aus immer noch 38 verschiedenen Parteien und einigen unabhängigen Abgeordneten zusammen. 25 Parlamentarier aus mindestens sieben verschiedenen EU-Staaten werden benötigt, um eine Fraktion im EP bilden zu können. Das ist vor allem für heterogenere politische Gruppierungen eine Herausforderung und trifft hauptsächlich auf rechtspopulistische Parteien zu.
Die Konservativen gegen die Integration
Die größte Fraktion, die sich gegen eine weitere Integration in der EU ausspricht, ist die der Konservativen und Reformer (EKR). Auch die luxemburgische ADR gehört der EKR-Parteienfamilie an. Sie befürwortet ein Europa der Nationen, will die Kompetenzen der EU beschränken und bevorzugt die sogenannte intergouvernementale (die direkte Zusammenarbeit zwischen den Staaten) Methode der Gemeinschaftsmethode, also der Zusammenarbeit auf EU-Ebene.
Die EKR wurde 2009 von der britischen konservativen Tory-Partei gegründet, die vorher der EVP angehörte. Diese war den Briten jedoch zu föderalistisch, weshalb sie ihren eigenen Verein gründeten. Der EKR, die 77 Mitglieder zählt, gehört als zweite große Partei die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an, die derzeit in Polen die Regierung stellt. Alle anderen Mitgliedsparteien sind meist mit nur einem Abgeordneten bis maximal vier in der EKR vertreten. Das könnte knapp werden, doch kommen die Parlamentarier aus 19 EU-Staaten, sodass einige vereinzelte Abgänge nach der Wahl verkraftbar wären.
Entschieden gegen die EU ist die Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD). Zum größten Teil zumindest. In ihr ist die britische Ukip (United Kingdom Independence Party) von Nigel Farage tonangebend, der allerdings nun mit seiner neugegründeten „Brexit-Partei“ in die Wahlen zieht. Farages einziger Programmpunkt ist es, das Vereinigte Königreich aus der EU zu führen.
Rechtsextreme könnten Sitzzahl verdoppeln
Ukip stellt mit 18 Abgeordnete die größte Delegation. Es folgen die 14 Parlamentarier der italienischen 5-Sterne-Bewegung (M5S). Die hatte allerdings zu Beginn der Legislaturperiode versucht, bei den Grünen unterzukommen. Der EFDD gehören Parteien aus gerade einmal sieben EU-Staaten an und von den 42 Abgeordneten sind gleich vier Ein-Mann-Betriebe. Will heißen: Fällt einer von diesen aus und kann nicht ersetzt werden, wird sich die Fraktion nach der Wahl auflösen müssen.
Die Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) schließlich setzt sich aus den rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien Europas zusammen. Sie kann mit dem größten Zuwachs bei den EU-Wahlen rechnen, denn sowohl die französische RN von Marine Le Pen als auch die italienische Lega von Matteo Salvini gehen in Umfragen in ihren jeweiligen Ländern als die stärksten Parteien hervor. Bislang zählt die ENF im EP, zu der ebenfalls die österreichische FPÖ, die deutsche AfD, der belgische Vlaams Belang und die niederländische Freiheitspartei von Geert Wilders gehören, 36 Abgeordnete.
Was bringt die Zukunft?
Ungewiss ist zumindest, wie es auf Dauer sowohl mit der EKR als auch mit der EFDD weitergehen wird. Denn mit dem EU-Austritt Großbritanniens, der einstweilen auf den 31. Oktober angesetzt ist, verlieren die beiden Fraktionen ihre jeweils stärkste Delegation. Bei der EKR dürfte das bereits bei den gestern auf der Insel stattgefundenen Wahlen der Fall gewesen sein, da den Tories dort eine herbe Niederlage vorhergesagt wurde.
Eine vom EP am 18. April veröffentlichte Vorhersage für die Sitzberechnung aufgrund von damaligen Umfragen aus allen EU-Staaten geht davon aus, dass die EKR nur mehr 66 Sitze, die EFDD immerhin 45 Sitze erhalten wird und die rechtsextreme ENF ihre Sitzzahl auf 62 verdoppeln wird. Dort könnten die drei Fraktionen auf weiteren Zuwachs hoffen. Denn laut der Berechnung konnten 62 Sitze keiner Fraktion zugeordneten werden. Davon werden aber nicht wenige auf die EU-Gegner entfallen.
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