Deutschland / Weiblich, lesbisch, rechts: AfD nominiert Alice Weidel als Kanzlerkandidatin
Ungewohnte Geschlossenheit bei der AfD: Die in Teilen rechtsextreme Partei nominiert Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin. Sie ist damit die einzige Frau im Rennen um das deutsche Kanzleramt.
Als die AfD zur „Präsentation des Kanzlerkandidaten“ in ihre Bundesgeschäftsstelle einlädt, ist allen klar, dass es hierbei eigentlich um eine Kanzlerkandidatin geht. Während CDU, SPD und Grüne Männer ins Rennen schickt, stellt ausgerechnet die rechtspopulistische AfD eine Frau auf, die dazu noch lesbisch ist, eine in Sri Lanka geborene Partnerin hat und mit dieser zwei Kinder großzieht: Alice Weidel (45) ist am Samstag am Höhepunkt ihrer politischen Karriere angelangt. Der AfD-Bundesvorstand und die Landesvorsitzenden haben sie in Berlin nominiert – nach Angaben der Partei einstimmig. Bei einem Parteitag im Januar in Riesa soll sie von den Delegierten gewählt werden.
Es ist ein ungewohntes Bild, das den Journalisten nach der Nominierung Weidels geboten wird. Die wichtigsten AfD-Funktionäre, alles Männer außer der Berliner Landeschefin Kristin Brinker, haben sich aufgestellt, um einmütig der Kanzlerkandidatin in spe zu applaudieren. Unter ihnen ist auch Björn Höcke, ewiger Rivale von Weidel, der ihr nun vor vielen laufenden Kameras attestiert, „taff in ihrem Auftreten“ und ein „Zugpferd der Partei“ zu sein, die den „Finger immer wieder in herzhafter Art und Weise in die Wunden“ legt. In Berlin wird ein Bild der Geschlossenheit präsentiert, das bei der AfD Seltenheitswert hat.
Warum Weidel sich gerade in Deutschland politisch engagiert, ist nicht ganz schlüssig. Denn sie wohnt mit ihrer Familie in der Schweiz. Sie sagt, sie habe dort einen Wohnsitz, weil das verpflichtend sei. Insgesamt habe sie aber zwei Wohnsitze, vielleicht sogar mehr. Doch ist der Lebensmittelpunkt nicht in der Regel da, wo die Familie ist? Jedenfalls ist Weidel eine Türöffnerin, die ihrer Partei zu noch mehr Reichweite verhelfen kann: Am Wochenende veröffentlichte die Bild-Zeitung eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA zu den vier Kanzlerkandidaten in Deutschland. Auf die Frage, „wen würden Sie direkt zum Kanzler wählen“, sprechen sich 18 Prozent für Weidel aus – das sind weniger als für CDU-Chef Friedrich Merz, aber mehr als für Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Grünen-Kandidat Robert Habeck.
Eisiger Ton, laute Schimpftiraden
Doch wofür steht Alice Weidel, deren Markenzeichen die weiße Perlenkette ist und die es, obwohl ihr Privatleben konservativen Rollenklischees überhaupt nicht entspricht, an die Spitze einer Partei geschafft hat, die in Teilen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft ist? Am bekanntesten sind wohl die Reden, in den Weidel voller Verachtung von „Messermännern“ und „Kopftuchmädchen“ spricht – die dann auch vielfach in Sozialen Medien geteilt werden. Nicht nur in Videoclips, auch auf Wahlkampfbühnen schafft sie es, mit ihrem eisigen, polemischen Ton, mit lauten Schimpftiraden und strengem Gesichtsausdruck ihr Publikum zum Toben zu bringen. Womöglich trägt gerade zu ihrem Erfolg bei, dass sie als lesbische Frau gegen muslimische Männer austeilt. Für den aktuellen Wahlkampf hat sich die promovierte Volkswirtin zudem das Thema Energie vorgenommen: Windkraft heißt bei ihr „Flatterstrom“, für den CO2-Preis bedient sie das Bild eines „gefräßigen Steuerstaats“ und der „Raupe Nimmersatt“.
Die gebürtige Gütersloherin ist 2013 in die neu gegründete AfD eingetreten – damals in Gegnerschaft zur Euro-Rettungspolitik der damaligen Bundesregierung. Sie war Mitarbeiterin eines Vermögensverwalters und einer Investmentbank, lebte jahrelang in China. Seit der Flüchtlingskrise 2015 kann die AfD vornehmlich mit Fremdenfeindlichkeit punkten. Inzwischen hat die Partei aber auch Corona, Krieg und Frieden, Windkraft und das Gendern als Aufreger-Themen für sich entdeckt, bei denen sie überdies eine Bevormundung der Gesellschaft ausmacht. Aktuell ist diese Strategie von Erfolg gekrönt: In bundesweiten Umfragen ist die AfD derzeit zweitstärkste Kraft. Deshalb gelingt es Weidel im Moment wohl auch, die häufig notorisch zerstrittene Partei zu einen.
So wirkt nach ihrer Kür in Berlin ihr Lächeln nicht – wie sonst häufig – verkniffen, sondern eher erleichtert. Weidel ruft ihren Parteifreunden zu: „Ich weiß, dass ich mich auf euch alle verlassen kann.“ Und „ganz, ganz herzlich“ bedankt sie sich für das „entgegengebrachte Vertrauen“.
Bei ihrer Ansprache geht sie kurz auf jene Leute ein, die nicht verstehen, wie Weidel ihren Lebensentwurf mit der Rolle der Frontfrau der AfD vereinbart. Etwa der Grünen-Abgeordnete Sven Lehmann, der das Amt des Queer-Beauftragten der Bundesregierung innehat und ihr „Selbstverleugnung“ bescheinigt. Weidel reagiert darauf genervt: „Die Queer-Beauftragten, die sich hier hinstellen und irgendein Zeug reden, haben von meiner Lebenswirklichkeit überhaupt gar keine Ahnung.“ Sie habe eine Botschaft für „all diejenigen, die mir vorwerfen, ich würde ja nicht für die LGBT-Interessen und für das ganze Hü und Hott eintreten“: Sie wolle „einfach in Ruhe gelassen werden von all dem ganzen Gender-Zeug“. Weidel fügt im schneidenden Tonfall hinzu: „Ich verbitte mir jede Einmischung in mein Leben von diesem übergriffigen Staat.“ Damit ist sie wieder ganz auf AfD-Linie.
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