Monodrama Festival / Wen kümmert schon die Wahrheit? In „At Home With Will Shakespeare“ nimmt sich der berühmte Dramatiker nicht allzu ernst
In „At Home With Will Shakespeare“ lässt Pip Utton den weltberühmten englischen Theaterautor wieder lebendig werden. Dabei beweist er viel Witz und Einfallsreichtum.
Über den wohl berühmtesten Mann aus Stratford ist noch heute wenig bekannt. Sein genaues Geburtsdatum kennt man nicht, genauso wenig wie die Ursache seines Todes, und über all dem, was dazwischen liegt, hängt dichter Nebel. Hat der Mensch, den man heutzutage für William Shakespeare hält, wirklich all diese Texte geschrieben? Sein Nachlass umfasst 38 bzw. 37 Dramen, dazu kommen epische Versdichtungen sowie 154 Sonette, und sie alle sind von einer Qualität, die stutzig macht, wenn man bedenkt, dass der aus relativ bescheidenen Verhältnissen stammende Dramatiker keine Hochschulbildung genossen haben soll. War er vielleicht jemand anderes, der sich aufgrund seines sozialen Ranges nicht zu erkennen geben wollte? War Shakespeare gar eine Frau?
Über die Identität des „Macbeth“-Autors wird viel spekuliert, gestritten und geschrieben – die jedes Jahr von neuem hochbrandende Publikationsflut an Shakespeare-Forschungsliteratur bezeugt dies. Dass man dabei möglicherweise zu keinen handfesten neuen Erkenntnissen gekommen ist, spielt keine Rolle, zu groß ist das Bedürfnis, dieser literaturhistorischen Größe etwas näherzukommen, seinem Gesicht durch eine Erzählung scharfe Konturen zu verleihen. Letzten Endes möchten die Menschen, die sich für Shakespeare begeistern, ihre Fantasie spielen lassen und in ihm genau das sehen, was sie selbst fasziniert.
Sich in eine Traumwelt entführen lassen
„Thus is why you come: to be transported from everyday life to the world of dreams“, lässt der charismatische Schauspieler Pip Utton seinen William Shakespeare auf der Bühne sagen und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Was für den Umgang mit dem Theater an sich gilt, gilt auch für den Umgang mit denjenigen, die dieses Theater geschaffen haben: Durch die Geschichten, die man auf der Bühne sieht oder eben im Dunstkreis der Bühne zu sehen glaubt, möchte man in ein Anderswo transportiert werden. Historische Fakten treten dabei in den Hintergrund. Auf sie kommt es vielleicht auch weniger an als auf die lebendige Auseinandersetzung mit mit dem Er- und Verdichteten, das aus der Feder der Autoren stammt. Und wie könnte diese Auseinandersetzung lebendiger sein, als wenn sie von der Vorstellungskraft getragen wird?
Um diesen Punkt gravitiert die Ein-Mann-Show „At Home With Will Shakespeare“, die während des diesjährigen Fundamental Monodrama Festivals (FMF), das vom 20. bis zum 29. Mai in der Banannefabrik in Bonneweg stattfindet, am vergangenen Mittwoch gezeigt wurde. In dem einstündigen Stück lässt William Shakespeare – nun schon ein alter Mann – in einer weinschweren Nacht sein Leben Revue passieren. Er erzählt von seinem abenteuerlichen Leben in London, den Freundschaften, die er schloss, der unglücklichen Liebe zu seiner „Dark Lady“ und auch dem Tod seines Sohnes Hamnet (nicht Hamlet), den er „mehr liebte als das Leben an sich“. Am meisten spricht Shakespeare jedoch über sich selbst, zeigt sich – die vierte Wand einreißend – belustigt über die immer größer werdende Masse an Shakespeare-Texten und -Biographien (wollte man alle Bücher lesen, die es bis dato über ihn gibt, bräuchte man vier Leben), und die Gemälde, die von ihm angefertigt wurden, ohne dass der Urheber ihn je zu Gesicht bekommen hätte.
Shakespeare wollte einfach Geld verdienen
Utton spielt einen Shakespeare, der um den nicht nachlassenden Shakespeare-Kult und die Fiktionalität seiner eigenen Person Bescheid weiß, der kein Problem damit hat, „tonight I look like this“ auszurufen, wohlwissend, dass er an anderen Tagen, verkörpert von einem anderen Schauspieler, radikal anders aussehen könnte. Auch kratzt er am Genie-Mythos, wenn er deutlich macht, dass er keine grandiosen Dramen produzieren, sondern einfach seinen Lebensunterhalt verdienen wollte: „You’ve got to make money and sometimes it just turns out to be … beautiful.“ All jene, die über sein Leben mutmaßen, verlacht er nicht wegen des Umstands, dass sie Hypothesen aufstellen, sondern weil sie glauben, sie hätten recht damit. „They can’t even get my birthday straight“, schmunzelt Shakespeare – und unterstreicht: „I don’t care about the truth.“ Sie wäre nicht wichtig, sagt er.
Seine Shakespeare-Figur baut Utton um dieses Nicht-Wissen und Nicht-Wissen-Müssen auf. Er schafft damit eine Figur, die dem Publikum, mit dem sie direkt interagiert, so nah wie fern ist, die unglaublich konkret und fassbar scheint und sich dann wieder, hinter einem Dschungel aus Legenden und waghalsigen Vermutungen sich verbergend, jedem direkten Zugang entzieht. Das Resultat ist spannend, clever, amüsant und vor allem wunderbar performt.
Fundamental Monodrama Festival
Weitere Veranstaltungen:
Samstag, 28. Mai, 12 Uhr: „Playing Maggie“ (Theater) auf Englisch, auch mit Pip Utton.
Sonntag, 29. Mai, 19 Uhr: „Mother“ (Tanz); 20 Uhr: „Negare“ (Tanz).
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