Flüchtlingssicksal / „Wir fühlen uns wie Bettler“: Behörden bieten kaum Unterstützung für geflüchtete Luxemburger
Montag, 7. März 2022. Nach ihrer Flucht aus der Ukraine erreichen Daniel Porcedda und Veronika Basok Luxemburg. „Sicher angekommen“, verkünden sie an dem Tag auf Facebook. Unterschlupf findet das Ehepaar bei Daniels Sohn und dessen Freundin in einer Appartementwohnung auf Belval.
Seitdem sind auf den Tag genau drei Monate vergangen. Seit Februar dieses Jahres steht das Tageblatt in Kontakt mit den beiden und nimmt auch Kenntnis von ihren Auseinandersetzungen mit den Behörden. Was da passiert, scheint schwer nachvollziehbar – auch weil es Daniel und Veronika nicht vollumfänglich erklärt wird. Laut Behörden sind sie keine „richtigen“ Flüchtlinge und werden deshalb auch anders behandelt – schlechter. Erklärung dafür könnte sein, dass Daniel, der seit fast einem Vierteljahrhundert in der Ukraine lebt, gebürtiger Luxemburger ist. Den Behörden in Luxemburg scheinen er und seine Frau, die durch Heirat ebenfalls die Luxemburger Staatsbürgerschaft erhielt, deshalb weniger Hilfe zu verdienen, wie unser Gespräch zeigt.
Tageblatt: Kurze Einschätzung nach drei Monaten in Luxemburg?
Daniel: Entwurzelt worden, und noch nicht wirklich fest verwurzelt in der neuen alten Heimat.
Was sagen sie in der Ukraine?
Veronika: Die meisten meiner Freundinnen sind weg. Unsere Wohnung in Kyjiw ist noch intakt, einige unserer Sachen wurde bereits nach Luxemburg geschickt, Kleider hauptsächlich. Die Sachen sind unterwegs und werden hoffentlich bald ankommen.
Drei Monate in Luxemburg. Wovon lebt ihr?
D: Von Ersparnissen, die mehr und mehr zur Neige gehen.
V: Ich hatte bis Ende Mai noch einen Job als Übersetzerin in einer ukrainischen Anwaltskanzlei, allerdings bloß in Halbzeit. Kriegsbedingt ist dieser Arbeitsplatz nun ganz weggefallen.
Gibt es Hilfe vom Luxemburger Staat?
D: Nein. Außer in einem speziellen Geschäft Lebensmittel im Wert von 50 Euro pro Woche erstehen zu können. Insgesamt sind das für uns beide 200 Euro pro Monat.
Wie empfindet ihr das?
V: Als eine Zumutung. Wir hatten einen normalen Lebensstandard in der Ukraine, jetzt fühlen wir uns wie Bettler. Andere Flüchtlinge aus der Ukraine können mit ihren Gutscheinen in normalen Geschäften einkaufen – Cactus oder Delhaize zum Beispiel. Sie dürfen wählen, was sie essen wollen, wir nicht! Außerdem bekommen sie 250 Euro pro Person, pro Monat.
D: Wir fühlen uns an diesem Ort fehl am Platz. Die Hilfe ist gut gemeint und auch wichtig für uns … wir sind dennoch als luxemburgische Staatsangehörige vorerst erheblich schlechter gestellt als ukrainische Flüchtlinge.
Wie ist das mit der Krankenversicherung?
D: Die Beiträge für unsere Krankenversicherung werden jetzt vom Sozialamt übernommen.
Gibt es sonstige Hilfen?
D: Tatsächlich haben wir hier in Luxemburg „echte“ Hilfe bloß von meinem Sohnemann und seiner Lebensgefährtin sowie zwei Freunden aus meiner Jugendzeit erhalten. In der gesamten Flüchtlingsdebatte muss man feststellen, dass es die Bürger Luxemburgs sind, die mit ihrer Solidarität diesbezüglich das Ansehen des Landes retten. Der Staat schneidet im Vergleich zu anderen EU-Ländern tatsächlich schlecht ab, was einer Blamage nahe kommt für das reichste EU-Land. Es ist imageschädigend für Luxemburg. Ukrainische Flüchtlinge sind untereinander über diverse Plattformen gut vernetzt und sind daher bestens informiert über die Vorgehensweisen und Unterschiede von Hilfen in den verschiedenen Ländern. Luxemburg muss nachbessern, nicht bloß aus humanistischen Gründen, sondern ebenfalls aus ganz eigennützigen.
V: Eine Kusine ist in Österreich auch privat untergekommen. Der Besitzer der Wohnung bekommt immerhin monatlich 300 Euro zur Deckung seiner Mehrkosten.
Da stellt sich ja die Frage, was in eurem Falle gewesen wäre, wenn der Sohn nicht über eine Wohnung verfügen würde?
D: Das wollen wir uns gar nicht erst vorstellen. Es wäre ein Fiasko gewesen. Wir wären wohl nicht nach Luxemburg geflüchtet, sondern früher oder später irgendwo in einem Flüchtlingslager gelandet.
Eure Erfahrung mit den luxemburgischen Behörden sind also eher suboptimal?
D: Unsere Erfahrungen sind bislang ernüchternd bis erschreckend. Man hat administrativ die Möglichkeit nicht in Erwägung gezogen, dass auch Luxemburger Staatsangehörige Kriegsflüchtlinge sein könnten. Dies sorgte für einige Verwirrung. Bei der „Sécurité sociale“ wurden wir mal als „ukrainische Flüchtlinge“ betrachtet, mal als luxemburgische Staatsangehörige. Folge: Wir erhielten keine Einordnung in das luxemburgische Krankenversicherungssystem. Über zwei Monate blieben wir darüber im Unklaren und konnten konsequenterweise keine dringend anstehenden Arztbesuche angehen. Jetzt wissen wir, dass es trotzdem möglich gewesen wäre, sind aber nicht informiert worden.
Das hört sich so an, als ob niemand eure Lage einschätzen kann?
D: Mehrere maßgebliche Personen im Außenministerium wussten von unserer Existenz in Kyjiw, sowie davon, dass wir vor dem Krieg flüchten müssten. Wir wurden ja direkt vom Außenministerium dazu aufgefordert. Schließlich stand ich unter anderem in Kontakt mit der luxemburgischen Botschaft in Prag, die für die Ukraine zuständig ist. Nach unserer Ankunft in Luxemburg erhielten wir denn auch die Mitteilung, direkt aus dem Außenministerium, zum Ausfüllen eines Formulars, das an das Immigrationsbüro gesendet werden sollte. Dieser Aufforderung kamen wir umgehend nach.
Dann folgte was?
D: Nach unserer Ankunft vergingen fast sechs Wochen, ehe wir eine Einladung erhielten, im zuständigen Amt unseren „statut de protection temporaire“ zu klären. Umgehend nach Zusendung der „Convocation“ erhielt ich jedoch einen Anruf aus der Behörde, der Termin wäre gestrichen. Wir wären als Luxemburger ja nicht berechtigt zum Erhalt des Flüchtlingsstatus. Um dies „herauszufinden“ hat es also sechs Wochen Zeit benötigt? Im Formular war deutlich vermerkt, dass sowohl meine Frau als auch ich luxemburgische Staatsangehörige sind. Damit aber nicht genug. Am 30. Mai, also wiederum einen guten Monat später, erhielten wir erneut eine Einladung für den 7. Juni, zwecks Klärung des Flüchtlingsstatus, obwohl wir ja für einen solchen nicht infrage kommen. Haarsträubendes Behördenchaos! Es wurde in diesem Formular darauf hingewiesen, nichts weiter zu unternehmen und eine Antwort der zuständigen Stelle abzuwarten. Sechs Wochen verlorene Zeit also, während derer wir andere Wege hätten gehen können, um unsere Situation hier zu regeln. Die multiplen Erfahrungen mit luxemburgischen Behörden seit unserer Flucht manifestieren eine inadäquate und teils schlampige Arbeitsweise. Effizienz und Bürgernähe gehen anders.
Stellen wir uns doch mal vor, Sie, Daniel, hätten die ukrainische Staatsbürgerschaft angenommen, Ihre Frau wäre Ukrainerin geblieben, dann wäre alles anders?
D: In der Tat. Damit zumindest wären die entsprechenden Behörden nicht überfordert gewesen, da es zu „ukrainischen“ Flüchtlingen klare Direktiven gibt. Derartiges gedanklich überhaupt durchspielen zu müssen, ist ein Unding.
Aber haben Sie denn keine Ansprechpartner?
D: Ansprechpartner in einigen Behörden werden nicht genannt. Anonymität als Schutz der Beamten vor dem Bürger? Nicht einmal eine Telefon-Durchwahl wird angegeben.
Worauf führen Sie das alles zurück?
D: Die vielen behördlichen Patzer scheinen systemisch bedingt zu sein. Sowohl fachlich als auch kommunikativ, aber auch empathisch, liegt einiges im Argen. Nun sind meine Frau und ich in Luxemburg wohl tatsächlich ein Einzelfall. Aber den zuständigen Behörden lange vor unserer Flucht bekannt. Niemand sah sich wohl bemüßigt, sich im Vorfeld Gedanken zu machen, wie unser „Fall“ administrativ behandelt werden sollte. Vorausschauendes Denken und entsprechendes Handeln scheinen nicht zur Qualifizierung eines Jobs im Staatsdienst zu gehören.
Und was nun?
Meine Frau, als promovierte Philologin, deren Diplome in Luxemburg anerkannt wurden, und als Fachfrau für Übersetzungen wird wohl rascher einen Job erhalten als ich. Zumal sie in vier Sprachen, Ukrainisch, Deutsch, Englisch, Russisch, kreuz und quer übersetzt und zwölf Jahre die Übersetzungsabteilung einer großen international tätigen Anwaltskanzlei in der Ukraine leitete. Ich selber würde gerne eine Aufgabe annehmen, die in Verbindung mit der Ukraine steht. Schließlich verfüge ich als ehemaliger Unternehmensberater in diesem Land über einige Erfahrung und Kontakte.
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