Öffentlicher Dienst / Weniger Mobbing, doch gleich viele Konflikte am Arbeitsplatz im Coronajahr 2020
Im Staats- und Gemeindesektor sind 2020 genauso viele Konflikte am Arbeitsplatz registriert worden wie in den Vorjahren – Mobbingfälle gab es aber deutlich weniger. Das geht aus dem Zahlenmaterial hervor, das Marc Hansen, Minister für den öffentlichen Dienst, in seiner Antwort auf eine parlamentarische Frage liefert. Die Leiterin des „Service psychosocial de la Fonction publique“, Mareike Bönigk, erklärt im Gespräch mit dem Tageblatt, wie diese Diskrepanz zustande gekommen sein könnte.
Im öffentlichen Dienst sind 2020 genauso viele Konfliktfälle am Arbeitsplatz erfasst worden wie in den Jahren zuvor. Die Zahl der gemeldeten Mobbingfälle ist indes im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gesunken. Das geht aus dem Datenmaterial hervor, das Staatsminister Marc Hansen in seiner Antwort auf eine parlamentarische Antwort zu Mobbing im Staatssektor veröffentlicht hat. So suchten vergangenes Jahr insgesamt 196 Personen den „Service psychosocial de la Fonction publique“ auf, um sich im Falle eines Konflikts auf der Arbeit beraten zu lassen. 2019 waren es 185 Personen, 2018 belief sich die Zahl sogar auf 215 Menschen. Im Falle von Mobbing wurde die Dienstelle jedoch nur 22 Mal kontaktiert. Zum Vergleich: 2019 hatten 62 Personen Hilfe bei dem „Service“ wegen Mobbing in Anspruch genommen, 2018 waren es 66. Somit nahm die Zahl der festgestellten Fälle von „Harcèlement“ von 2019 auf 2020 deutlich ab, während gleich viele Konfliktfälle registriert wurden. Woran kann das liegen? Die Leiterin des Dienstes Mareike Bönigk versucht im Gespräch mit dem Tageblatt, eine Antwort auf diese Frage zu geben.
Zum Verständnis: Den „Service psychosocial de la Fonction publique“ gibt es seit 2016. Er unterstützt als Dienststelle „die Administrationen aus dem Staats- und Gemeindesektor und auch öffentliche Einrichtungen bei ihren Präventionsmaßnahmen im Kontext der psychischen Gesundheit“. Das steht im ministeriellen Papier. Für Beschäftigte im öffentlichen Dienst bietet die Dienststelle eine vertrauliche psychologische Beratung an, auch bei privaten Schwierigkeiten. Das Team besteht sechs Psychologen, von denen einer Vollzeit und die anderen 30 Stunden pro Woche beschäftigt sind.
Home-Office als Hilfe bei Mobbing?
Die meisten Menschen im öffentlichen Dienst hätten vergangenes Jahr genauso gearbeitet wie in den Jahren davor, sagt die Leiterin des „Service psychosocial“. „Natürlich gab es auch Bereiche, in denen es zeitweise ruhiger war, aber einen richtigen Lockdown gab es nicht.“ Dadurch seien die Betroffenen weiterhin in konfliktreiche Situationen geraten. Darüber hinaus würde bei schwelenden Konflikten am Arbeitsplatz auch der Umzug ins Home-Office nichts nützen. „Eine Pause löst keinen Konflikt“, sagt Bönigk. „Das liegt leider in der Natur von Konflikten, sie verschwinden nicht einfach dadurch, dass man sich nicht mehr sieht.“ Möglicherweise würden sie sich über einen Zeitraum von zwei oder drei Monaten beruhigen, aber sobald Menschen dann aufeinandertreffen würden, würden die Konflikte wieder aufflammen, so die promovierte Psychologin.
Die Tele-Arbeit scheint im Hinblick auf Mobbing allerdings einen Unterschied zu machen. Dabei wird Mobbing laut dem „Statut des fonctionnaires de l’Etat“ aus dem Jahr 2003 als ein Verhalten verstanden, „das durch seine Wiederholung oder Systematisierung die Würde oder die psychische oder körperliche Unversehrtheit einer Person beeinträchtigt“. Zu den sinkenden Fallzahlen im vergangenen Jahr sagt Bönigk: „Im Home-Office ist man dem Mobbing nicht so direkt ausgesetzt.“ Wenn man von zu Hause aus arbeiten würde, konzentriere man sich auf die Kontakte, die man „qua Beruf“ brauchen würde. So würde man zum Beispiel noch immer an Versammlungen teilnehmen, doch das Drumherum fiele weg. In anderen Worten: Das Home-Office reduziert die Gesamtanzahl an sozialen Interaktionen – dadurch ergeben sich auch weniger Situationen, in denen man Opfer von Mobbing werden kann. Das erkläre Bönigk zufolge, warum Mobbing eine weniger große statistische Sichtbarkeit im Jahr 2020 habe.
Missverständnisse bis Verteilungskonflikte
Aber welche Probleme am Arbeitsplatz fallen denn überhaupt unter die registrierten „Konfliktfälle“? Laut der Leiterin des „Service psychosocial“ gebe es zum einen Konflikte, die die Hierarchie betreffen. Die Betroffenen seien unzufrieden mit der Art, wie ihr Vorgesetzter den Arbeitsbereich leiten würde. Sie bemängelten, „wie mit den Menschen geredet wird, wie Versammlungen abgehalten werden und wie strategische Entscheidungen getroffen werden.“ Auch was die eigene Rolle in der Behörde oder Verwaltung angeht, seien die Ratsuchenden oft unzufrieden. „Die meisten Konflikte finden aber im Team statt“, sagt Bönigk. Dabei würden Themen einer persönlichen Antipathie ganz oft eine Rolle spielen – im Stil von: „Den konnte ich noch nie sehen“, so die Chefin der Dienststelle. Über einen langen Zeitraum würden sich solche Abneigungen intensivieren.
„Oder es handelt sich um ganz schlimme Missverständnisse.“ In diesem Fall würde zum Beispiel eine Person denken, die andere habe sie beim Vorgesetzten angeschwärzt. „Dann etabliert sich eine angespannte Atmosphäre“, sagt die Psychologin. Ebenfalls möglich: die Entstehung von handfesten Verteilungskonflikten. „Die andere Person hat etwas bekommen, das ich auch möchte, und deswegen bin ich jetzt wütend mit ihr“, erklärt Bönigk. Oder aber es würden Wertekonflikte auftreten, die mit der ethischen Bewertung von Situationen und Entscheidungen zu tun hätten.
Disziplinarverfahren sind selten
Und wie geht der „Service psychosocial de la Fonction publique“ vor, um solche Konflikte zu lösen oder die Situation zumindest zu verbessern? „Wir bieten Mediation oder Team-Interventionen an und stützen die Person auch selbst“, sagt Bönigk. Der Dienst biete auch Weiterbildungen zur Konfliktprävention an. Im Falle von Mobbing könnten Betroffene außerdem eine offizielle „Demande de protection“ machen. Das sei der erste Schritt zur Veranlassung eines Disziplinarverfahrens. „Aber diesen Weg gehen ganz wenige Personen“, sagt Bönigk. Die meisten Konflikte könnten im Vorfeld gelöst werden.
Zahlen auf einen Blick
57 Prozent der Betroffenen, die 2020 eine individuelle Betreuung durch die Dienststelle erhielten, waren Frauen. 12 Prozent waren zum Zeitpunkt der Beratung unter 30 Jahre alt, bei 23 Prozent lag das Alter zwischen 31 und 40. Menschen im Alter zwischen 41 und 50 machten 27 Prozent der Ratsuchenden aus, 37 Prozent wiederum waren zwischen 51 und 60 Jahre alt. Über 60-Jährige machten weniger als ein Prozent aus. Damit stieg im Vergleich zum Vorjahr das Durchschnittsalter.
87 Prozent der betroffenen Beschäftigten arbeiteten für den öffentlichen Dienst des Landes, 7 Prozent für eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband und 6 Prozent für eine öffentliche Einrichtung. 88 Prozent kontaktierten den „Service“ aus eigener Initiative. 30 Personen wurden von ihren Vorgesetzten oder Personalverantwortlichen dazu ermutigt.
Die Zahlen stammen aus dem „Rapport d’activité“ des Staatsministeriums für das Jahr 2020.
- „und zerbröselt in vierzig stückchen illusion“: Tom Webers Lyrikband „fluides herz“ erzählt von Zerfall und Neubeginn - 19. Dezember 2022.
- Wir müssen die Lyrik befreien: Warum die Dichtung trotz ihrer Präsenz in den Medien ein Image-Problem hat – und wie sich das ändern kann - 27. November 2022.
- Mehr Akzeptanz fürs Kinderwunschlosglück: „Nichtmuttersein“ von Nadine Pungs - 4. September 2022.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos