Corona in Luxemburg / Weniger Tests = Weniger Neuinfektionen? Die Vogel-Strauß-Methode funktioniert nicht
Luxemburg steckt in der berüchtigten „zweiten Welle“. Die Neuinfektionen steigen seit mehr als einer Woche wieder stark an. Die Nachbarländer klassieren das Großherzogtum wieder als „Risikogebiet“. Schuld daran sind in den Augen einiger Kommentatoren auf den sozialen Medien die vielen Tests in Luxemburg. Doch nur, weil man die Neuinfektionen ohne die Tests nicht findet, heißt nicht, dass es sie nicht gibt.
Eigentlich ist die Geschichte vom Strauß, der bei Gefahr den Kopf in den Sand steckt, eine Mär. Doch scheinbar halten es einige Menschen in Luxemburg für eine gute Taktik, die man durchaus in der Corona-Krise nachahmen kann. Oft ist in Diskussionen über die rezent wieder ansteigenden Neuinfektionszahlen zu lesen: „Wa mer net souvill teste géifen, géingen et och manner Neiinfektioune ginn.“ Doch das ist, wie die Geschichte vom Strauß, eine Mär und birgt jede Menge Gefahren.
Wie die Wissenschafts-Webseite science.lu richtigstellt, bedeuten „mehr Tests bloß mehr offizielle Fälle und eine weniger hohe Dunkelziffer“. Denn eine Ansteckung mit dem Virus wird nicht erst real, nachdem man positiv getestet wurde. Vielmehr erlauben es die vielen Tests auszumachen, wo sich das Virus in der Gesellschaft verbreitet und – wenn sich die Infizierten und möglichen Kontaktpersonen an die Quarantäne halten – neuen Infektionen vorzubeugen. Wer weniger testet, riskiert, dass sich mehr Menschen als offiziell angegeben frei mit dem Virus in der Gesellschaft bewegen – und mittelfristig wiederum mehr Menschen angesteckt werden.
Die Corona-Nadel im Heuhaufen
Im Artikel wird außerdem erklärt, wieso die Zahl der positiven Fälle beim „Large Scale Testing“ (LST) relativ gering sind. Bei diesen Tests wird die breite Öffentlichkeit Sektor für Sektor durchgetestet. Teilnehmen sollen nicht nur die Einwohner Luxemburgs, sondern auch Grenzgänger, die ihrer Arbeit in Luxemburg nachgehen. So sollen asymptomatische Fälle aufgedeckt werden, doch die Tests gleichen laut Science.lu „der Suche nach der Nadel im Heuhaufen“. „Die flächendeckenden Tests erlauben auch, ein besseres Monitoring-System aufzubauen. Durch die vielen Tests kann man gut nachverfolgen, wie sich das Virus ausbreitet, in welcher Berufsklasse z.B. die Ausbreitung schneller voranschreitet oder was die Effekte von Lockerungsmaßnahmen sind“, erklärt Science.lu in einem anderen Artikel zum Large Scale Testing.
Insgesamt wurden bisher um die 1,2 Millionen Einladungen für das LST verschickt, heißt es von der Taskforce des Luxembourg Institute of Health (LIH). Pro Woche gehen etwa 230.000 Einladungen an Einwohner und Grenzgänger. Diese Zahl ist unter anderem so hoch, da einige Sektoren und Gruppen, wie etwa Busfahrer oder Pflegekräfte, alle zwei Wochen zum Testen eingeladen werden. Bisher wurden etwa 255.000 Personen getestet. Allerdings sei eine „große Anzahl der Gutscheine noch gültig, aber noch nicht eingelöst“. Seit Beginn des LST Ende Mai hat sich die Zahl der täglichen Termine stark erhöht. Mittlerweile werden im Schnitt jeden Tag zwischen 10.000 und 13.000 Termine belegt. An diesem Donnerstag waren es sogar 16.000. Laut der Taskforce verfügt Luxemburg über eine Kapazität von bis zu 20.000 Tests am Tag. Die LST-Teststationen sind im ganzen Land verteilt. Die Drive-in-Stationen am Kreisverkehr Raemerich in Esch, in Schieren/Colmar-Berg, in Frisingen, am P+R Bouillon und am Parking Konrad Adenauer in Luxemburg-Stadt sowie der Walk-in an der Bonneweger Rotonde verzeichnen die höchste Zahl an Terminen.
Bisher wurden 250 positive Infektionen direkt über das LST gefunden. Das sind etwa 30 Prozent aller positiven Corona-Fälle in Luxemburg. Dass bisher verhältnismäßig nur wenige positive Corona-Tests durch das LST entdeckt wurden, heißt allerdings nicht, dass die Maßnahme nicht effektiv ist. Denn wird ein positiver Fall ermittelt, können durch „Contact Tracing“ neue Infektionsketten gefunden und schnellstmöglich unterbrochen werden.
Rückgrat einer freien Gesellschaft
„Das Contact Tracing ist das Rückgrat unserer freien Gesellschaft“, lautet dann auch das Fazit der Wissenschafts-Webseite. Nach einem positiven Test setzt sich das Tracing-Team des Gesundheitsamts mit der betroffenen Person in Kontakt. Nun geht es darum, alle Personen ausfindig zu machen, die einer potenziellen Ansteckungsgefahr ausgesetzt waren. „Das Team versucht mit den Infizierten den Ablauf der Tage vor dem Test, Stunde um Stunde, zurückzuverfolgen und so möglichst viele Kontaktpersonen zu identifizieren“, erklärte „Santé“-Direktor Jean-Claude Schmit gegenüber dem Tageblatt.
Wenn sich der Betroffene allerdings nicht genau erinnern kann oder nur eine Teilidentifikation seiner Kontaktpersonen – also etwa nur den Vornamen – nennen kann, „können wir die Personen meistens nicht ausfindig machen“, gab Schmit zu. Per Gesetz muss eine infizierte Person nur die Informationen jener Menschen preisgeben, mit denen sie in den 48 Stunden vor den ersten Symptomen oder vor dem positiven Test Kontakt hatte. Darüber hinaus sind dem Tracing-Team eigentlich die Hände gebunden.
„Alternative Facts“ schaffen
Auch wenn Luxemburg durch seine Maßnahmen im Vergleich zu den Nachbarländern viele Neuinfektionen auf geringer Fläche aufweist, agiert das Coronavirus nicht ungebremst und ungesehen „irgendwo“ in der Gesellschaft. Mithilfe des LST und des Contact Tracing wird das Virus also unters Scheinwerferlicht gestellt. Das soll es dem Gesundheitswesen erlauben, sich auf die aktuellen Anforderungen einzustellen und bestimmte Risiken, wie etwa die einer zweiten Welle, rechtzeitig zu erkennen.
Außerdem sollte man an den Anfang der Corona-Krise in Luxemburg zurückdenken: Wie laut waren doch die Rufe nach einem Durchtesten der ganzen Gesellschaft? Wer also verlangt, dass Luxemburg jetzt weniger testet, um so die Zahl der Neuinfektionen zu senken, will im Grunde nur die Statistik so verschönern, dass sie ihm und seiner Argumentation gerecht wird. Oder anders formuliert: Die Kommentatoren wollen in einer Welt von „Fake News“ und „Alternative Facts“ leben. „Es wäre jetzt falsch, den Maßnahmen die Schuld an der Situation zu geben, die uns ermöglichen, die Situation unter Kontrolle zu halten. Und sollte die Situation doch außer Kontrolle geraten, würden uns die Nachbarländer sicherlich nicht besser einstufen“, bringt es Science.lu auf den Punkt.
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Dieser Artikel lässt leider einen riesigen Aspekt der ganzen Large-Scale-Testing Debatte außer Acht, nähmlich, dass die Politik bei dem Ganzen den Luxemburgern übel mitspielt.
So empfiehlt das Saarland, dass die Pendler sich in Luxemburg testen lassen sollen, wohl wissend dass diese Fälle zu den Zahlen Luxemburgs hinzugezählt werden.
Desweiteren ist die Metrik, nach welcher Risikogebiete eingestuft werden, sehr schlecht. Diese interessiert sich nämlich nur für die offiziellen Zahlen. Je mehr ein Land also testet, je höher ist diese offizielle Zahl. Dass das Testen nichts an den reelen Infektionszahlen ändert ist glaube ich jedem klar.
Der Artikel fehlinterpretiert fälschlicherweise die Frage nach weniger Tests mit dem Verlangen von einem Leben in einer alternativen Realität. Die schlechte Laune ist lediglich die Reaktion auf die Außenpolitik anderer EU-Staaten, welche sich blind auf eine Statistik stützen, um ihre Entscheidungen zu begründen.
Würde man zum Beispiel den Prozentsatz der positiven Tests betrachten, so läge Luxemburg zwischen dem 7/7/2020 und dem 13/07/2020 (laut OurWorldInData.org) nur 0.1% über Deutschland mit 0,7%. Schweden, welche am gleichen Tag wo Luxemburg zum Risikogebiet erklärt wurde, aus genau dieser Liste entfernt wurde, hat einen Anteil von 7,9% an positiven Tests. Mit dieser Statistik wirkt diese Entscheidung ja fast schon hirnrissig.