Luxemburg / Wenn Bürger Gesetze schreiben: Präsentation des vierten Kapitels der Verfassungsreform
Der vierte Teil der Verfassungsreform wird am Mittwoch in der Chamber abgestimmt. Damit nähert sich das jahrelange Projekt seinem Ende. Chamberpräsident und Berichterstatter haben das letzte Kapitel am Montag vorgestellt. Das Fazit: Die Abgeordnetenkammer soll gestärkt werden. Damit dies funktioniert, gibt sich die Chamber neue Instrumente.
Die Verfassungsreform befindet sich auf der Zielgeraden. Oder um die Metapher des Chamberpräsidenten Fernand Etgen (DP) zu benutzen: „Das Verfassungsschiff ist fast im Hafen angekommen – drei der vier geladenen Container haben die erste Kontrolle erfolgreich geschafft.“ Mit diesem Bild hat Etgen am Montagvormittag während einer Pressekonferenz den letzten Teil der Verfassungsreform beschrieben. Im vierten Kapitel steht die Chamber und der Staatsrat im Mittelpunkt. Die Abgeordnetenkammer soll in ihren Aufgaben nämlich gestärkt werden, so Etgen. In der neuen Verfassung werden die beiden Missionen der Chamber ganz klar definiert: Gesetze machen und die Regierung kontrollieren.
Damit dies möglich ist, stehen im vierten Teil der Verfassungsreform unter anderem folgende Änderungen:
- Die Regierung muss die Fragen der Abgeordneten beantworten und ihnen Dokumente, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen, zur Verfügung stellen.
- Jeder Abgeordnete ist berechtigt, eigene Gesetzesvorschläge vorzulegen.
- Für das Einberufen eines Untersuchungsausschusses ist nur noch ein Drittel der Abgeordneten (20) nötig. Momentan müssen noch 31 Parlamentarier dafür stimmen.
- Der Ombudsmann ist nun im Verfassungstext verankert.
- Der Staatsrat wird ein Beratungsorgan der Chamber. Die Abgeordneten können also in diversen Fragen auf die Expertise des Staatsrates zurückgreifen.
- Für jedes Referendum soll ein Gesetz regeln, wer betroffen ist und wer befragt wird. Heißt: Nicht nur Wahlberechtigte können an der Abstimmung teilnehmen.
- Die Bürger können selbst Gesetzesvorschläge einreichen. 125 wahlberechtigte Menschen müssen sich zusammenschließen, um den Text abzugeben. Danach sind 12.500 Unterschriften von Wahlberechtigten nötig.
Bürger sollen auch Gesetze schreiben können
Beim letzten Punkt handelt es sich um die sogenannte „Initiative législative citoyenne“, die auch nicht mit dem bereits etabliertem Petitionsverfahren zu vergleichen sei. „Eine Petition führt nicht zu einem Gesetz“, sagt der Berichterstatter des vierten Teils der Verfassungsreform.
Doch wie funktioniert die „Initiative législative citoyenne“? Falls der Entwurf die 12.500 Unterschriften gesammelt hat, kommt er in eine Chamberkommission. „Im Plenum wird dann geklärt, ob die Gesetzesinitiative gültig ist“, sagt Margue. Heißt: Der Text darf nicht gegen die Verfassung verstoßen, abstrus sein oder nur Partikularinteressen vertreten. Nach dem Plenum übernimmt die Chamber den Gesetzesvorschlag. Dabei handele es sich nicht um eine Vereinnahmung – der Text gehe viel mehr dann den gleichen Weg wie alle anderen Gesetze auch. Der Text müsse allerdings vor dem Unterschriftaufruf in einem juristischen Französisch sein. Die Bürger können den Text laut Margue selbst schreiben – falls die nötigen Kompetenzen unter den 125 Bürgern vorhanden sind – eine Anwaltskanzlei einstellen oder möglicherweise auch auf die Hilfe der „Cellule scientifique“ der Chamber zurückgreifen.
Doppelmandat bleibt weiterhin möglich
Abtreibungsrecht in der Verfassung
Macht es Sinn, das Recht auf Abtreibung in der Verfassung zu verankern? Diese Frage haben die Abgeordneten Simone Beissel, Léon Gloden und Mars di Bartolomeo am Montag während der Pressekonferenz beantwortet. „Momentan sind wir abgesichert, aber wir müssen schauen, wie es weitergeht und können das dann je nachdem reinsetzen“, sagt Beissel. Luxemburg habe ein komplett anderes Rechtssystem wie Amerika oder auch Ungarn und Polen, meint Léon Gloden. „Ich kann mir das wirklich nicht vorstellen, dass das von einem Luxemburger Gericht so gesprochen wird – falls das der Fall sein sollte, wäre das nicht nur ein Problem für die Verfassung, sondern auch für den ‚Conseil national de la justice’“, sagt Gloden.
In Luxemburg gebe es eine breite Zustimmung für die momentane Gesetzgebung, fügt di Bartolomeo hinzu. „Wir sind glücklicherweise nicht Amerika und haben eine unabhängige Justiz“, sagt der LSAP-Politiker. Das sei auch im Justiz-Kapitel der Verfassungsreform verankert. Sollte sich allerdings „so eine Gefahr andeuten“, dann seien sie reaktiv genug, um zu handeln.
Die Chamber hat also mehr Verantwortung und somit auch mehr Arbeit. Der Untersuchungsausschuss ist laut Léon Gloden (CSV) zum Beispiel kein „Kinderschlecken“. „Das ist mit extrem viel Arbeit verbunden, da werden eine Reihe Beamten und Abgeordnete während Monaten blockiert“, sagt Gloden. Nur weil es jetzt einfacher sei, auf eine Untersuchungskommission zurückzugreifen, heiße dies nicht, dass dies auch oft genutzt werde.
„Das ist ein scharfes und aufwendiges Instrument“, sagt Mars di Bartolomeo, Präsident der Institutionskommission. Der LSAP-Politiker mache sich wegen des zusätzlichen Arbeitspensums trotzdem keine Sorgen. Die Chamber habe immer dort, wo mehr Personal nötig war, dies auch eingestellt. Auch das Einführen einer „Cellule scientifique“, die „seit ein paar Monaten funktioniert“, habe geholfen. „Wir sind noch immer eine schlanke Chamber, aber man soll nicht so schlank sein, dass man unter der Last zusammenbricht“, sagt Di Bartolomeo.
Verschiedene Parlamentarier sind allerdings auch Bürgermeister oder belegen noch einen anderen Gemeindeposten. Verfassungsexperte Luc Heuschling hat vergangenes Jahr bereits das Abschaffen des Doppelmandates vorgeschlagen, um das Parlament so zu stärken. Das Thema wurde laut Léon Gloden auch regelmäßig besprochen – eine Übereinstimmung konnte zu diesem Thema allerdings nicht gefunden werden. „Ich glaube, es konnten sogar innerhalb der Parteien keine Vereinbarungen gefunden werden“, sagt Gloden. „Aber das bleibt ein wichtiger Punkt und nächstes Jahr müssen sich die Parteien im Wahlkampf klar dazu positionieren.“
Am Mittwoch wird abgestimmt
Die Abgeordnetenkammer stimmt am Mittwoch über den vierten Teil der Verfassungsreform ab. Doch damit ist die neue Verfassungsreform noch nicht „im Hafen angekommen“. Zuerst muss die Chamber noch ein zweites Mal im Herbst separat über die vier Teile abstimmen. Dieses Kapitel – wie die anderen auch – kann erst sechs Monate nach der zweiten Abstimmung in Kraft treten. Doch: „Die Verfassung ist eine Sache, die Ausführung eine andere – und deswegen benötigen wir eine Reihe Gesetze“, sagt Di Bartolomeo. Davon seien schon vier Gesetzesvorschläge in der Vorbereitung.
Die Berichterstatter zeigten sich am Montag jedenfalls zufrieden mit ihrer Arbeit und präzisierten, dass die Luxemburger Bevölkerung weiterhin über die Verfassungsreform informiert werden muss. Denn die Verfassungsreform musste sich laut Di Bartolomeo immer wieder gegen falsche Informationen durchsetzen. „Am Ende der Prozedur werden wir eine Broschüre in drei Sprachen veröffentlichen, die die Verfassung präsentiert“, sagt Mars Di Bartolomeo
Was genau ist eigentlich „die Verfassung“?
Die Verfassung, auch Konstitution genannt, bildet die Basis für staatliches Handeln. Sie regelt die Einrichtung und Ausübung von politischer Herrschaft. Somit enthält eine Verfassung grundlegende Regeln dafür, wie der Staat aufgebaut ist, arbeitet und wer Gesetze beschließen darf. So wird zum Beispiel festgehalten, dass alle Organe des Staates nur auf der Basis von Gesetzen tätig werden dürfen. Zudem soll sie die Rechte und Freiheiten jedes Menschen im Staat und gegenüber dem Staat regeln. Die Verfassung soll damit Stabilität sichern. Darum ist es auch nicht so einfach, sie zu ändern.
Warum soll Luxemburgs Verfassung geändert werden?
Luxemburgs Verfassung geht auf das Jahr 1848 zurück. Eine Überarbeitung ermöglicht es, sie an aktuelle und künftige Bedürfnisse anzupassen und veraltete Punkte zu überarbeiten. Eine Revision benötigt eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
Warum nicht schon früher?
2009 reichte der ehemalige CSV-Abgeordnete Paul-Henri Meyers einen Entwurf für eine neue Verfassung ein. Diese scheiterte letztlich kurz vor dem Ziel am Veto seiner eigenen Partei. Aber die Idee war nicht tot. Vor den Wahlen 2018 herrschte Konsens zwischen den vier größten Parteien Luxemburgs – der CSV, LSAP, DP und den Grünen – darüber, den unter der Leitung von Alex Bodry (LSAP) und Meyers ausgearbeiteten Reformvorschlag anzugehen. Außerdem sollte es ein Referendum über den Gesamttext geben. Der Bericht wurde am 6. Juni 2018 angenommen. Nach den verlorenen Wahlen zog die CSV ihre Zustimmung während der kurzlebigen Ära Frank Engel allerdings wieder zurück. Und damit waren sowohl das Verfassungsreferendum als auch die Arbeit von mehreren Jahren praktisch dahin.
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Vun der Reform do kritt den Bierger nëtt vill matt,
wéi ass ëtt dann mat Referendum,ass daat nach Demokratie,
déi Bonzen do maachen waat si wöllen,lamentabeles an
armséliges Gedeessems, een Trauerspill.
Virwaat nach wielen goën fir ësou Nullekackerten ze stëmmen.