Gesundheit / Wenn der Reißverschluss zur Herausforderung wird: Früherkennung von motorischen Defiziten
Motorische Fähigkeiten sind nicht nur für Bewegungsabläufe von großer Bedeutung. Motorische Entwicklungsstörungen können weitreichende Konsequenzen haben und den Alltag enorm erschweren. Um dem vorzubeugen ist Luxemburg dabei, eine flächendeckende Früherkennung für motorische Entwicklungsstörungen bei Kindern auf die Beine zu stellen – und nimmt damit eine Vorreiterrolle ein.
Als ganz wichtiges Puzzlestück für die körperliche Entwicklung bei Kindern bezeichnete Bildungsminister Claude Meisch die Früherkennung von motorischen Defiziten. Meisch sprach das Thema am 9. Februar in der Chamber an, als Antwort auf eine erweiterte parlamentarische Anfrage der Grünen-Abgeordneten Chantal Gary. Die Frage bezog sich zwar vor allem auf den Schulsport, doch auch wenn Meisch das Thema damit nicht ganz getroffen hatte, so ist seine Aussage nicht weniger richtig. Luxemburg hat als bislang einziges Land auf der Welt eine flächendeckende Früherkennung für motorische Defizite eingeführt, sagt Paul Dieschbourg, stellvertretender Direktor im „Centre pour le développement moteur“ (CDM) und zuständig für die Früherkennung von motorischen Defiziten. „Bei der Früherkennung geht es darum, Kinder mit motorischen Entwicklungsstörungen, auch Entwicklungsdyspraxie genannt, ausfindig zu machen“, erklärt der Psychomotoriker.
Bei Kindern, die an einer Entwicklungsdyspraxie leiden, können sich motorische Handlungen nicht automatisieren. Dabei ist die Automatisierung ein wichtiger Prozess im Gehirn, der es uns erlaubt, Handlungen wie zum Beispiel das Schreiben auszuführen, ohne uns speziell auf die Bewegung konzentrieren zu müssen. Die Folge: Das Kind muss seine gesamte Konzentration für die Schreibbewegung einsetzen und kann sich deshalb nicht auf die Rechtschreibung fokussieren. Motorische Entwicklungsstörungen können somit zu Lernschwierigkeiten führen und sich auf das Selbstbewusstsein auswirken und somit die Persönlichkeitsbildung beeinflussen. „Man ist sich nicht unbedingt bewusst, welche Folgen eine Dyspraxie haben kann, aber sie können durchaus weitreichend sein“, sagt Dieschbourg, der damit die Bedeutung der Früherkennung unterstreicht. „Je früher eine Dyspraxie erkannt wird, desto besser können wir dem Kind helfen.“
Dieschbourg und sein Team besuchen Klassen des Zyklus 1.2, also Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren. „In dem Alter zeigt sich eine motorische Störung natürlich noch nicht beim Schreiben, dafür aber vielleicht beim Malen, Kleben, Schneiden oder bei alltäglichen Dingen wie dem Schließen eines Reißverschlusses.“ Da es aber nicht die eine motorische Entwicklungsstörung gibt, sondern diese sehr vielfältig sein können, machen die Mitarbeiter des CDM bei den Besuchen in den Schulklassen 14 verschiedene Übungen mit den Kindern. Es sind 14 Stationen, die unter dem Motto „eine Reise durch das Weltall“ stehen. Gearbeitet wird in kleinen Gruppen mit maximal vier Schülern, die Reise dauert in etwa eine Stunde. „Stellen wir Auffälligkeiten bei einem Kind fest, sehen wir es noch einmal einzeln und bitten die Eltern zum Gespräch, um ihnen unsere Beobachtungen mitzuteilen.“ Sollten sich die Auffälligkeiten bestätigen, bietet das CDM dem Kind über die nächsten sechs Monate eine spezifische Unterstützung in der Schule an.
Lösungen für Alltagsprobleme
In der Zeit wird versucht, mit dem Kind gemeinsam seine Stärken auszumachen, damit es seine motorischen Probleme bestmöglich in den Griff bekommt. „Eine motorische Entwicklungsstörung begleitet einen ein Leben lang. Wir können aber versuchen, mit dem Kind gemeinsam Wege zu erarbeiten, wie es mit diesen Schwierigkeiten im Alltag umgehen kann“, erklärt Dieschbourg. Die Lösungen sind dabei so unterschiedlich wie die motorischen Entwicklungsstörungen selbst. Ein Kind, das zum Beispiel Probleme mit der Feinmotorik hat und deswegen den Reißverschluss seiner Jacke nur mit Mühe schließen kann, bei dem helfe es manchmal schon, wenn mein ein Stück Schnur daran befestigt und das Kind diesen so besser greifen kann.
Wird das Problem früh erkannt und dem Kind geholfen, so sind die Chancen am größten, einen schweren Verlauf der Dyspraxie zu verhindern. Deshalb setzt das CDM bereits bei Kindern von fünf bis sechs Jahren an, obschon es in dem Alter noch zu früh sein kann, um eine genaue Diagnose zu erstellen. „Die Prävalenz der Kinder im Alter von fünf bis neun Jahren, die von einer Entwicklungsdyspraxie betroffen sind, liegt nach internationalen Studien bei fünf bis sechs Prozent.“ Diese Zahlen hätten sich über die vergangenen 20 Jahre auch nicht wirklich verändert. „Bei unserer Früherkennung stellen wir motorische Auffälligkeiten bei etwa zehn Prozent der Kinder fest.“ Das bedeutet nicht, dass zehn Prozent unter einer Dyspraxie leiden, bei der Früherkennung fallen auch die Schüler auf, deren motorische Fähigkeiten einfach noch nicht so entwickelt sind wie bei ihren Alterskollegen. „Wir reden zuerst einmal von einem signifikanten Rückstand.“ Einige schaffen es, den Rückstand in den sechs Monaten, in denen das CDM mit ihnen arbeitet, aufzuholen.
Geduld gefragt
Mit etwa der Hälfte der Schüler muss auch nach den sechs Monaten noch gearbeitet werden, rund ein bis zwei Prozent brauchen eine Unterstützung über mehrere Jahre. Geduld ist also gefragt, und das nicht bloß vom Kind. „Auch das Umfeld, sowohl die Familie wie das Lehrpersonal, muss Geduld und Verständnis aufbringen“, betont Dieschbourg gleich mehrmals im Gespräch. Vor allem die Eltern müssen das Kind unterstützen. Eine zusätzliche Hilfe bei einer Entwicklungsdyspraxie ist der Sport. Je nachdem, welche motorischen Schwierigkeiten vorliegen, eignen sich manche Sportarten besser als andere. Wichtiger sei jedoch noch, dass das Kind Spaß an der Sportart hat. „Wenn wir in eine Schule gehen, sammeln wir im Vorfeld Informationen über die Sportvereine in der Umgebung, damit wir die Eltern über das Angebot sowie Trainingszeiten und andere Modalitäten aufklären können.“
Dies sei schon mit einem gewissen Aufwand verbunden, aber es würde dabei helfen, den Kindern neben den spezifischen Unterstützungen zusätzlich helfen zu können. Es sei teilweise schwierig, an präzise Informationen zu den Vereinen zu kommen, oftmals erhalten die Mitarbeiter vom CDM keine Rückmeldung. „Ich weiß, dass die freiwilligen Helfer in den Vereinen viel zu tun haben, aber wir würden uns schon mehr Rückmeldungen wünschen“, so Dieschbourg. Immerhin würde dadurch nicht nur dem CDM und den Kindern geholfen, sondern die Vereine könnten von neuem Nachwuchs profitieren.
Dieschbourg und sein Team werden die Früherkennung jedenfalls weiter vorantreiben. Noch kann die junge Abteilung nicht jede Schule im Land abdecken, was zum Teil an der Corona-Pandemie liegt, die ihre Arbeit erschwert. Dieschbourg ist aber optimistisch, dass schon in zwei Jahren jeder Schüler im Land von der Früherkennung und den spezifischen Unterstützungen des CDM profitieren kann. Die Basis hierfür ist jedenfalls gelegt.
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Iwwert déi dote Saachen hunn ech am Schoulhaff mat de Kolleege scho virun 30 Joer geschwat, wéi Kanner Féiss mat den Zéiwe beim goen opsetzen oder wéi se nach mat 10 Joer net mat enger Schéier ëmgoe konnten. Wann en dat engem Schouldokter erzielt huet, war dat just anekdotesch…
Elo sinn der erëm do, schéngt mer, déi d’Peffermënzkamellen grad erfonnt hunn.