Gesundheit / Wenn die Umwelt krank macht
Krank ohne eine eindeutige Diagnose, unauffindbare Ursachen, verzweifelte Menschen: Von Umwelterkrankungen Betroffene haben einen hohen Leidensdruck und stehen meistens alleine da. Oft dauert es Jahre, bis die Krankheit erkannt ist und eine Therapie beginnt. Akut kämpft seit 30 Jahren dafür, dass sich das ändert.
Mit Mitte 40 stellt Akut-Präsident Jean Huss fest, dass irgendetwas nicht mit ihm stimmt. Er ist viel zu oft und viel zu schnell müde, kann sich nicht gut konzentrieren und vergisst schnell. Außerdem leidet er unter ständig wiederkehrenden Entzündungen in Rachen, Hals und Mund sowie Darmproblemen. Hausarzt wie Zahnarzt können sich das nicht erklären.
Das war Ende der 80er Jahre, Huss steht mitten im Leben. Er arbeitet als „Prof“, sitzt als Mitglied von „déi gréng“ im Parlament und engagiert sich in der Kommunalpolitik. In dieser Funktion beschäftigt er sich in seiner Geburtsstadt Esch mit der Staubbelastung im Stadtteil Hiel und den Einflüssen auf die Umwelt von ArcelorMittal. Der Stahlgigant ist damals mit Abstand größter Arbeitgeber. Dabei entdeckt Huss, dass Umweltbelastungen krank machen können.
Die Symptome sind vielschichtig, passen in kein Krankheitsbild und Therapien gibt es, wenn überhaupt, nur im Ausland. Umweltbelastungen wie Pestizide im Wohnbereich, Feinstaub oder Strahlungen sind die Ursachen und nur ein Auszug aus einer langen Liste. Das Handbuch der Umweltgifte von Max Daunderer ist 20 gebundene Bände lang. Die Krankheiten selbst heißen „multiple Chemikaliensensibilität“ (MCS), „chronisches Müdigkeitssyndrom“ (englisch: chronic fatigue syndrome, abgekürzt CFS), „elektromagnetische Hypersensibilität“ (EHS) oder Fibromyalgie, die chronische, dauerhafte Schmerzen verursacht.
Quecksilbervergiftung durch Plomben
Bei Jean Huss vergiften die elf Plomben, die er in den Zähnen hat, ihn mit Quecksilber. Sein Immunsystem ist geschwächt und schafft die Abwehr nicht mehr. Die Amalgamfüllungen lässt er austauschen. Über Therapien erholt sich sein Körper während eines Jahres allmählich. Seitdem ist der heute 74-Jährige gesund. Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen gründet er zusammen mit Gleichgesinnten Akut, zunächst als Selbsthilfegruppe.
„Wir mussten ja selbst erst einmal unser eigenes Wissen vergrößern, um anderen helfen zu können“, sagt Huss. Akut will nicht nur das. So schnell, wie sich die Gründer damals in die Materie einarbeiten, so schnell entwickelt sich der Verein nicht nur zu einem Informations- und Dokumentationszentrum, sondern auch zu einer politischen „Pressure Group“. In der Gesundheitspolitik sind Menschen mit Umweltbelastungen nicht angekommen, werden nicht wahrgenommen und oft genug belächelt.
Alle machen die Erfahrung, dass die meisten Ärzte für die Behandlung und Ursachenforschung von Patienten mit Umweltvergiftungen nicht ausgebildet sind. Seitdem gehen von dem kleinen Büro im vierten Stock über dem „Luxemburg Institute of Health“ (LIH) viele Impulse aus. Die ersten Erfolge kommen schnell. 1994, drei Jahre nach Gründung, startet die erste Umweltambulanz, ein „Service de médecine de l’environnement“ folgt im Gesundheitsministerium.
Drei Mal schafft es das Anliegen, eine Umweltklinik zu gründen, ins Regierungsprogramm. 30 Jahre nach der Gründung steht Akut kurz davor, dieses Ziel zu erreichen. Mit zwei parlamentarischen Anfragen, 2019 und 2021, erreicht das Thema endgültig die nationale Politik. Im November 2019 antwortet der damalige LSAP-Gesundheitsminister Etienne Schneider, dass im Krankenhaus in Niederkorn eine Umweltklinik als „Zwischenlösung“ bis zur Fertigstellung des „Südspidol“ unterkommen soll.
Politik tut sich schwer mit Umwelterkrankungen
Im Februar 2021 heißt es auf eine erneute parlamentarische Anfrage hin aus dem Gesundheitsministerium, dass sich die Umweltklinik angesichts der Corona-Krise verspätet. Man sei aber dabei, zwei Optionen in Niederkorn zu prüfen. Entweder soll sie in ein neues Gebäude bei dem Niederkorner Zweig des „Centre hospitalier Emile Mayrisch“ (CHEM) einziehen oder ins bestehende Gebäude des „Hôpital Princesse Marie-Astrid“ (HPMA) integriert werden.
„Wir stehen an einem Wendepunkt“, sagt die Vizepräsidentin von Akut, Marielle Hilgert (67). „Nur zu wissen, welche Sachen krank machen, reicht nicht“, schließt sich Präsident Huss an. „Die Beweise liegen seit langem auf dem Tisch.“ Akut kämpft für ein Gesamtkonzept. „Wir brauchen klinische Umweltmedizin, das heißt Diagnose und Therapien für Patienten“, sagt Huss. „Das muss an Forschung und Weiterbildung für Ärzte gekoppelt werden.“
Beide parlamentarischen Anfragen und ihre Antworten zeigen jedoch, wie schwer sich die Gesundheitspolitik immer noch mit Umwelterkrankungen tut. Seit der ersten Verpflichtung im Regierungsprogramm von 2008, eine Umweltklinik einzurichten, befindet sich das Vorhaben 13 Jahre später immer noch im Stadium vorläufiger Studien zur endgültigen Realisierung. Das geht aus der Antwort auf die letzte parlamentarische Anfrage von Anfang dieses Jahres hervor.
Entscheidendes Stadium im Kampf um eine Klinik
„Wir wollen nicht, dass dieses Anliegen jetzt verwässert wird“, sagen Hilgert und Huss unisono. Hilgert selbst hat einen langen Leidensweg hinter sich. Sie leidet an multipler Chemikaliensensibilität (MCS) und reagiert auf geringste Dosen von chemischen Substanzen jeglicher Art. Bis heute. Wie viele Umwelterkrankungen betreffen, zeigt ihre eigene Hochrechnung für Luxemburg. Im Abschlussbericht der Taskforce, die sich im Auftrag des Gesundheitsministeriums der Provinz Ontario in Kanada mit der Materie beschäftigt, heißt es 2018, dass 6 von 100 Einwohnern über 12 Jahren davon betroffen sind.
Hilgert hat das auf Luxemburg umgerechnet. Bei einer Bevölkerung der über 20-Jährigen in Luxemburg von 500.000 wären sechs Prozent etwa 30.000 Betroffene. Fakt ist, der Verband der Umweltmediziner im Land, die Almen, hat keine eigene Webseite, nach Angaben von Akut nur wenige Mitglieder und sehr lange Wartelisten für die Patienten.
Hinzu kommt, dass die Mediziner nicht adäquat entlohnt werden, wenn sie Umweltpatienten behandeln. „Eine Anamnese in diesem Bereich dauert länger als bei anderen Patienten“, sagt Hilgert. Laut Regierungsprogramm der aktuellen Regierung soll sich das neben vielem anderem ändern. Die Aktionsgruppe bestätigt das 30 Jahre nach der Gründung einmal mehr in ihrer Existenz.
Die Umweltklinik
Aus der Antwort auf die parlamentarische Anfrage im Februar 2021 (Nr. 3705) geht hervor, dass es zum jetzigen Zeitpunkt das Ziel sei, Ende 2023 die ersten Patienten begrüßen zu können. Gesundheitsministerium und das „ministère de la Sécurité sociale“ bestätigen, dass der ursprüngliche Plan zwei Akutbetten und sechs Tagesbetten vorsieht. Das sollte ursprünglich bis Mai 2021 geschehen sein. Durch die Corona-Pandemie habe sich der Zeitplan geändert. Beide Ministerien weisen darauf hin, dass sich das Projekt derzeit in der Phase der Voranalyse des zu realisierenden Konzepts befinde.
Umweltmedizin im Regierungsprogramm
Im Regierungsprogramm ist auf den Seiten 89 und 90 die Umweltmedizin ausdrücklich vorgesehen: Festgehalten ist eine Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich für Ärzte. Zur Umweltmedizin heißt es: „Das ambulante Umweltmedizinangebot wird auf stationärer Ebene durch einen nationalen Umweltmedizindienst gestärkt werden, sodass eine Behandlung der Patienten im Krankenhaus (,clean rooms‘) gewährleistet werden kann.“ Es sollen Tarife für die auf europäischem Niveau anerkannten Diagnostiken und Therapien eingeführt und „die kostenlose Analyse von chemischen, mikrobiologischen und elektromagnetischen Schadstoffen nach ärztlicher Verschreibung garantiert“ werden. Außerdem soll eine nationale Strategie zur Umweltgesundheit vom Gesundheits-, Sozial-, Arbeits-, Umwelt- und Landwirtschaftsministerium erarbeitet werden.
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Ich sitze vor dem Krankenhaus, meine Frau ist drinnen, ich darf nicht hinein,, Wie krank ist das. Im Flugzeug sitzen wir wie Sardinen in eine Büchse, im Supermarkt läuft jeder zusammen, WO ist der Logik ??
Wie krank sind wir wirklich ?
Krank ist eine Gesellschaft „ Akut“ von Umweltkrankheiten spricht und munter das digitale Netz propagiert wird , wir wissen welche Konsequenzen geballte magnetische Strahlung durch Antennen, Geräte auf die menschliche Gesundheit hat. Im Namen des Fortschrittes wird dies ausgeblendet, „ däerf net sin“. Natürlich die Strahlung eines Gerätes kann gering sein, die Maße macht es.
@Eddy: Es fehlt so oft an nachvollziehbarer Logik, das hat diese Pandemie am besten gezeigt.
Ale Substanzen sind „chemisch“!