Gemeinsame Aktion / „Wenn es sein muss, bis zum Generalstreik“: OGBL und LCGB protestieren zu Kollektivverträgen
Die erste gemeinsame Aktion von OGBL und LCGB im Streit um das Kollektivvertragswesen wird zu einer Machtdemonstration der beiden großen Gewerkschaften. Sie zelebrieren ihre gesellschaftliche Bedeutung, Einheit und Kampfesmut – mit allen Mitteln.
Das Verkehrschaos ist der Bedeutung der Veranstaltung angemessen. Die beiden großen luxemburgischen Gewerkschaften OGBL und LCGB haben zu ihrer ersten gemeinsamen Aktion im aktuellen Kollektivvertragsstreit eingeladen – im großen Konferenzsaal des Parc Hotel Alvisse. Die Gewerkschaftsmitglieder sind mit etlichen Bussen angereist, trotzdem sind die Parkplätze des Hotels heillos überfüllt. Die Leute parken im Wald, auf Rastplätzen in der Nähe, in reflektierenden roten Warnwesten laufen sie die Landstraße entlang Richtung Hotel.
Dort steht kurze Zeit später OGBL-Präsidentin Nora Back auf der Bühne und blickt in die Menge. Sie ist beeindruckt von den „mehr als 700 Militantinnen und Militanten“, die an diesem Nachmittag dem Aufruf der Gewerkschaften gefolgt sind. „Die alle besser als unser Minister wissen, wie wichtig Kollektivverträge sind“, sagt Back. Kollektivverträge sind eines der großen Streitthemen dieses politischen Herbsts in Luxemburg. Doch der Konflikt geht schon lange über diesen konkreten Inhalt hinaus. Für die Gewerkschaften geht es um existenzielle Fragen. Sie sehen sich, ihre Rechte und Errungenschaften, von der Regierung angegriffen. „Liebe Regierung, wir sind heute hier, um euch zu warnen“, sagt Nora Back, „und um das zu verteidigen, was Generationen von Gewerkschaftern aufgebaut haben.“
Vertrauen verspielt
Diese erste gemeinsame Protestaktion von OGBL und LCGB war lange angekündigt, bereits seit Oktober. Damals hatten Vertreter der beiden Gewerkschaften empört die Sitzung des „Ständigen Ausschusses für Arbeit und Beschäftigung“ (CPTE) mit Arbeitsminister Georges Mischo (CSV) verlassen. Dem ist es seitdem trotz einiger Klärungsversuche nicht gelungen, die Wogen zwischen Regierung und Gewerkschaften zu glätten. Daran hatte auch das Bekenntnis zum Sozialdialog von Premierminister Luc Frieden (CSV) kurz vor den Allerheiligenferien nichts geändert. Nach einer Sitzung des Regierungsrats hatte er versucht, das Streitthema zu entschärfen. „Kollektivverträge werden selbstverständlich mit den Gewerkschaften ausgehandelt“, sagte Frieden damals – blieb in den Details jedoch weiterhin vage.
Diese Unklarheit kritisiert LCGB-Präsident Patrick Dury in seiner Rede kurz nach Nora Back scharf: Der Premierminister und der Arbeitsminister ruderten jetzt zwar vorsichtig zurück, ihre Kommunikation aber sei „chaotisch und widersprüchlich, als ob sie sich noch immer eine Tür offen halten wollen“, so Dury. Regierung und Arbeitsminister hätten viel Vertrauen bei den Gewerkschaften verspielt. Der LCGB-Präsident fordert Klarheit in den Absichten von Frieden und Mischo, man wolle endlich wissen „schwarz auf weiß, was sie haben wollen“.
Wir sind an einem Punkt der Geschichte angekommen, wo es um alles gehtOGBL-Präsidentin
Schwarz auf weiß, soweit sind sich alle Beteiligten zumindest einig, geht es um die Umsetzung einer EU-Direktive, die fordert, die Abdeckung mit Kollektivverträgen in Luxemburg von aktuell 55 Prozent auf 80 zu heben. Darüber hinaus ist die Debatte jedoch längst eskaliert. „Wir sind an einem Punkt der Geschichte angekommen, wo es um alles geht“, sagt Nora Back an diesem Abend im Parc Hotel. Die Regierung gehe respektlos mit den Gewerkschaften um, sie rede sie klein, zweifle ihre gesellschaftliche Rolle und ihre Repräsentativität an. Arbeitsminister Mischo hatte in diesem Kontext in der Vergangenheit die Wählerbeteiligung bei den vergangenen Sozialwahlen herangezogen.
Patrick Dury verteidigt sich und seine Gewerkschafter auf der Bühne mit harten Worten: Der Minister und die ganze Chamber werde von gerade einmal einem Drittel der luxemburgischen Bevölkerung gewählt, „die Einzigen, die den Privatsektor konkret und korrekt vertreten, sind die CSL und die national repräsentativen Gewerkschaften OGBL und LCGB“. Man merkt an diesem Abend, wie aufgeheizt die Stimmung bei den Gewerkschaften mittlerweile ist. Seit einem Gespräch kurz nach den Allerheiligenferien herrscht Funkstille zwischen ihnen und der Regierung. Im Parc Hotel Alvisse ist von einer „Gefahr für die Demokratie“ die Rede, für den sozialen Frieden im Land. Viel Kampfrhetorik, unterschiedliche Lager, wir gegen die. Dury vergleicht die 10.000 Mitglieder der Regierungspartei CSV mit den 125.000 Mitgliedern von OGBL und LCGB. Back sagt: „Wir sind so stark wie noch nie.“
Martialische Worte und Kampf-Rhetorik
In einem Rundumschlag pflügt die OGBL-Präsidenten auch durch die politischen Felder jenseits der Sozialpolitik. Gesundheit, Logement und die „skandalöse Pensionspolitik“. Die Regierung sage, so Back, sie habe Schwung ins Land gebracht. Sie habe „aber nur Schwung in unsere gewerkschaftliche Zusammenarbeit gebracht“. Und in der Tat: Ein Dreivierteljahr nach den Sozialwahlen stehen OGBL und LCGB in dicht geschlossenen Reihen. Sowohl Back als auch Dury bekommen an diesem Abend Standing Ovations von den anwesenden Gewerkschaftern. Das Pfeifen und Klatschen hallt lange nach im großen Saal des Parc Hotel.
Der Arbeitsminister hat sich auf eine zynische und perverse Weise die Theorie des Patronats zu eigen gemacht und will unter dem Deckmäntelchen der Modernisierung zurück ins 18. JahrhundertLCGB-Präsident
Was auch an den harten Worten liegt, die die beiden Gewerkschaftspräsidenten wählen. „Der Arbeitsminister hat sich auf eine zynische und perverse Weise die Theorie des Patronats zu eigen gemacht und will unter dem Deckmäntelchen der Modernisierung zurück ins 18. Jahrhundert“, sagt Dury. Und weiter: „Hierzulande, wo das Kriseninstrument Tripartite geschaffen wurde und enorm erfolgreich ist, will die Regierung auf einmal nicht mehr verhandeln, sondern nur noch konsultieren.“ Diese sei „komplett auf dem Holzweg“, so der LCGB-Mann. Die Regierung pervertiere die EU-Direktive, sagt OGBL-Präsidentin Back, Premier und Arbeitsminister würden handeln, „als ob sie nicht mehr in Europa leben würden“. Die Worte sind martialisch: „Sie verstümmeln die Definition von kollektiver Verhandlung. Sie pervertieren die Definition von Sozialdialog.“
Dass es mehr Kollektivverträge braucht, steht für alle außer Frage. Es brauche ein starkes Kollektivvertragswesen für eine starke Wirtschaft, sagt Back und wiederholt die bekannten Forderungen der beiden Gewerkschaften nach sektoriellen Kollektivverträgen. „Gerechte Löhne und gerechte Arbeitsverhältnisse via mehr Kollektivverträge“, so die OGBL-Präsidentin. LCGB-Präsident Dury stimmt ihr zu. Man wolle keinen „Albi-Sozialdialog“, sondern die Absicherung und Weiterentwicklung des luxemburgischen Sozialmodells. Kollektivverträge, Tripartiten und die ,Sécurité sociale‘, „das ist die einzige Dreifaltigkeit, an die der LCGB noch glaubt!“, ruft Dury in den Saal und holt sich einige Lacher ab.
Doch im Allgemeinen ist die Stimmung im Konferenzsaal an diesem Abend angespannt, ernst und kämpferisch. Am Ende ihrer Rede holt Nora Back zum letzten Schlag aus: „Wir sind bereit, weit zu gehen, wenn es sein muss, bis zum Generalstreik!“ Wie ernst die Gewerkschaften es mit diesem äußersten aller Mittel meinen, zeigt sich, als Dury diese Drohung Minuten später noch einmal wiederholt: „OGBL und LCGB sind sich einig: Wenn unsere Forderungen nicht umgesetzt werden, dann werden wir bis zum Äußersten gehen mit Streikaktionen und einem Generalstreik, wenn es sein muss!“ Johlen und Applaus. „Mit uns gibt es keinen Weg zurück!“
Für die Regierung wird es nun schwer, den Streit um das Kollektivvertragswesen zu deeskalieren. Für die Gewerkschaften ist er längst zu einem Kampf um das soziale Herz Luxemburgs geworden. Die Veranstaltung ist schon lange vorbei, die Banner eingerollt, die Kabel eingewickelt, da kommt eine Delegation von OGBL-Gewerkschaftern in schweren roten Westen zurück in den Saal. Sie wollen noch ein Foto machen. „Grève générale! Grève générale!“, ruft einer. Die anderen lachen und recken die Fäuste.
Die Forderungen von OGBL und LCGB
1. Verhandlungs- und Unterschriftsrecht für Kollektivverträge muss bei den national repräsentativen Gewerkschaften bleiben;
2. Kollektivverträge dürfen nicht in ihrem Inhalt beschnitten werden;
3. Reform des Kollektivvertragsgesetzes, das die Rolle der national repräsentativen Gewerkschaften stärkt, indem a) eine Verhandlungspflicht des Patronats für mehr und neue Kollektivverträge im Gesetz verankert wird, b) die Existenz eines Kollektivertrags eine Bedingung für staatliche Aufträge, Hilfen und Subventionen wird und c) die Schlichtungs- und Streikprozesse vereinfacht werden.
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