Musik und Gender / Wenn Frauen den Ton angeben: Sonja Kmec, Danielle Roster und ihre ganz spezielle Plattform
Wie gut kennen Sie Luxemburgs Komponistinnen? Sonja Kmec und Danielle Roster helfen mit ihrem Projekt „Musik und Gender in Luxemburg“ nach. Ein Gespräch.
„Passenderweise kommen wir soeben aus einem Meeting mit einer Studentin, die ihre Masterarbeit über die Musikerin Marianne Delacre-Weber schreiben will“, berichtet die Musikwissenschaftlerin Danielle Roster, als sie in der Tageblatt-Redaktion zum Interview erscheint. Zusammen mit ihrer Kollegin, der Historikerin Sonja Kmec, und der Filmemacherin Anne Schiltz koordiniert Danielle Roster die Plattform „Musik an Gender in Luxemburg“ (MuGi.lu).
Das von der Universität Luxemburg und dem „CID Fraen an Gender“ initiierte Projekt hat zum Ziel, Musikgeschichte aus einer Genderperspektive zu erforschen. Die Idee dazu entstand 2016, im Rahmen der internationalen Tagung „Lexikografie, Gender und Musikgeschichtsschreibung“ an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Roster, damals im CID aktiv, hielt dort einen Vortrag über ihre Archivarbeit zu Komponistinnen in Luxemburg. Es kam zum Austausch mit den Projektleiterinnen von „Musik und Gender im Internet“ (MUGI): Die Plattform wurde unter der Leitung der deutschen Musikwissenschaftlerin Beatrix Borchard erarbeitet und ging 2004 online. Die Initiative sollte damals auf andere europäische Länder ausgeweitet werden. „Ich habe sofort starkes Interesse bekundet, das Projekt in Luxemburg anzugehen“, erinnert Roster sich.
2022 stieg die Universität Luxemburg in das Projekt ein. „Später schlossen sich das ,Centre national de l’audiovisuel‘ und das ,Centre national de littérature‘ an“, sagt Kmec. Finanziell werde das Projekt unter anderem durch externes Sponsoring unterstützt, etwa durch die Fondation Sommer oder die Fondation Loutsch-Weydert.
Weltweit Interesse an Luxemburger Komponistinnen
Sowohl Musikschaffende als auch Kulturhäuser und internationale Universitäten seien stark an MuGi interessiert. „Wir sind überwältigt von den positiven Rückmeldungen“, so Kmec. Roster verweist in dem Kontext auf das Rundtischgespräch „Wien huet d’Box un an der lëtzebuergescher Operett?“, das während des diesjährigen „Festival de Wiltz“ stattfand. Im Mittelpunkt stand die Operette „An der Schwemm“ der luxemburgischen Komponistin Lou Koster – dem bisher einzigen Stück dieses Genres einer Frau. Beim Gespräch in Wiltz, zu dem Kmec und Roster geladen waren, ging es neben Koster um die Repräsentation von Frauen in der luxemburgischen Operette.
International renommierte Musikschaffende erfragen inzwischen Informationen zu Lou Koster und zu Helen Buchholtz, wollen ihre Stücke spielen; im November stellen Roster und Schiltz MuGi.lu bei der Abschlusskonferenz des „Voices of Women“-Projekts an der Universität Stavanger in Norwegen vor. Darüber hinaus pflegt Kmec Kontakte zur britischen University of Birmingham – ein gemeinsames Projekt wurde beim luxemburgischen und britischen Forschungsfonds eingereicht. „Wir haben also derzeit mehrere Eisen im Feuer und sind gespannt, was daraus wird“, freut sich Kmec.
Es gab Künstlerinnen, die zu ihrer Zeit bekannt waren – nur sind sie in Vergessenheit geraten, weil sich nach ihrem Tod niemand um die Weitervermittlung ihrer Werke gekümmert hatHistorikerin
Selbstverständlich ist die internationale Vernetzung nicht, stehen Genderforschung und Queer Studies in manchen Ländern doch auf der Abschussliste. So strich Ungarns rechtsnationalistischer Ministerpräsident Viktor Orban Genderstudies 2018 von der Liste zugelassener Masterstudiengänge und Doktorstudien. Trotzdem beobachten Kmec und Roster einen neuen Wind in der Genderforschung, die immer mehr Studierende anziehe. Vor 15 Jahren seien entsprechende Fächer eher „ungewöhnlich“ gewesen. Heute würden Genderrollen stärker hinterfragt. „Wir wollen uns mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen“, verrät Kmec. „Es wäre beispielsweise spannend, Männlichkeitsvorstellungen bei Serge Tonnar, Thierry Van Werveke, MAZ oder CHAiLD zu vergleichen.“
Ein weiteres Forschungsfeld könnten die Verbindungen sein, die zwischen den weiblichen Musikschaffenden entstehen. Kmec und Roster stoßen punktuell öfters auf Quellen, die auf einen Austausch hindeuten. Nur fehle es teilweise an Archivmaterial, um die Forschung weiter zu vertiefen.
Umso wichtiger sei es, öffentlich über MuGi und vergleichbare Projekte zu sprechen sowie Bezüge zwischen unterschiedlichen Sammlungen herzustellen. „Zum Beispiel werden dadurch Angehörige hellhörig und kommen mit ihren Entdeckungen auf uns zu“, so Kmec. Das erinnert Roster an die Komponistin und Pianistin Helen Buchholtz (1877-1953), denn Buchholtz’ Neffe vertraute ihr und Kmec an: Der Nachlass seiner Tante war bereit zur Entsorgung, bevor er ihn in letzter Minute rettete.
„Aufgrund privater Archive entdecken wir beeindruckende Geschichten“, fügt Kmec der Anekdote bei. Es ist die Rede von Musikprogrammen mit persönlichen Kommentaren oder von Musikdrucken oder -autografen mit Widmungen. Solche scheinbar banalen Objekte könnten einen Ausgangspunkt für weitere Recherchen bieten. „Es gab Künstlerinnen, die zu ihrer Zeit bekannt waren – nur sind sie in Vergessenheit geraten, weil sich nach ihrem Tod niemand um die Weitervermittlung ihrer Werke gekümmert hat“, sagt Kmec.
Wie sichtbar sind die Musikerinnen?
Das führt zu einem Gespräch über die allgemeine Sichtbarkeit von Frauen in der Musikszene. Im März publizierte das Forschungsinstitut Liser die erste luxemburgische Studie („Analyse de la programmation culturelle 2022-2023 dans une perspective sensible au genre au Luxembourg“) zum Thema. Das CID Fraen an Gender gab sie in Auftrag. Untersucht wurden die Programme der Saison 2022/2023 im Hinblick auf Tanz, Theater, klassische Musik sowie auf Line-ups von elf Musikfestivals und ausgewählten Konzerten. Hinzu kamen die Programme von acht Kulturhäusern, die der zentralen Staatsverwaltung angegliedert sind (Abtei Neumünster, Philharmonie, Rockhal, Rotondes, Théâtre national du Luxembourg, Trois-CL, Escher Theater, CAPe).
Männer dominierten die betreffende Saison: Sie waren in 78 Prozent der 1.365 erfassten Kulturveranstaltungen vertreten. Im Bereich Klassik stellten Männer 81 Prozent der repräsentierten Kunstschaffenden dar; bei Festivals und Konzerten anderer Musikgenres sogar 85 Prozent. Frauen machten hingegen nur acht Prozent der Autor*innen, 13 Prozent der musikalischen Leiter*innen und 29 Prozent der Solist*innen aus.
„Es ist wertvoll, auf eine solche Studie zurückgreifen zu können“, kommentiert Kmec die Studienergebnisse des CID und des Liser. „Ich verstehe unsere Arbeit bei MuGi.lu als Ergänzung.“ Es wäre wünschenswert, wenn die Studie alle paar Jahre wiederholt werden könnte, um etwaige Entwicklungen zu dokumentieren. „Erstaunt haben mich die Ergebnisse jedoch nicht“, stellt Kmec klar.
Es sollten mehr Frauen solche Schlüsselpositionen übernehmenMusikwissenschaftlerin
Kommt das Thema Diskriminierung im Austausch mit den Musikerinnen also auf? Jein, meint Kmec. „Wir arbeiten momentan viel mit Musikerinnen zusammen, die sich am Anfang oder in der Mitte ihrer Karriere befinden“, sagt sie. „Zwar haben sie teilweise Diskriminierungen erfahren, doch beobachten sie dahingehend einen positiven Richtungswechsel und erkennen ihre Möglichkeiten.“
Roster wirft ein, es gebe dennoch Menschen in Führungspositionen, welche diesen Fortschritt „bremsen“. Stücke von Frauen ins Programm einzubinden, werde oft als Risiko wahrgenommen. Die Verantwortlichen der Programmleitung würden ungern auf ein bewährtes Repertoire verzichten. „Deswegen sollten mehr Frauen solche Schlüsselpositionen übernehmen“, so Roster. „Catherine Kontz, Komponistin und musikalische Leiterin, setzt ihren Schwerpunkt beispielsweise oft auf Frauen. Genauso wie Corinna Niemeyer, Chefdirigentin des ,Orchestre de chambre du Luxembourg‘, die regelmäßig Werke von Komponistinnen in ihre Programme einbaut.“
In solchen Diskussionen werde meist das Argument angeführt, weibliche Kulturschaffende seien eben unbekannter. „Das Publikum ist offener, als man vermutet“, kontert Roster. Die Veranstaltungsreihe „Salon Helen Buchholtz“ im Escher „Bridderhaus“ habe viele Besucher*innen angelockt. Die Veranstalter*innen müssten lediglich für ein ansprechendes Begleitprogramm sorgen und die Relevanz der Komponistinnen hervorstreichen. „Denn das Publikum hat den Drang, Neues zu entdecken“, weiß Kmec.
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