/ Luxemburger Nummer eins: Wenn der Judoka Claudio dos Santos kämpft, sieht er fast nichts
Er wird sie nicht sehen, seine Fans. Die Rede ist von den Familienangehörigen und Freunden, die Judoka Claudio dos Santos am Samstag in der Coque bei den ersten European Open unterstützen werden. Denn der kurzsichtige Athlet verzichtet auf Kontaktlinsen. Aus der Not wurde eine Tugend.
Zu einem guten Judoka gehört stets eine gesunde Portion Wahnsinn. Das fängt beim „Gewichtmachen“ vor jedem Wettkampf an. Die Luxemburger Nummer eins Claudio dos Santos bildet da keine Ausnahme. Am Montag brachte er noch 77 Kilogramm auf die Waage. „Ein normaler Bereich“, wie er es beschrieb. Heute werden es beim offiziellen Wiegen nur noch 73 sein (dürfen). „Ich muss meine Kalorienzufuhr während der letzten Woche auf etwa 1.800 oder sogar etwas weniger reduzieren und gleichzeitig sehr viel trinken.“ Sein Normalverbrauch liegt bei 2.500 Kalorien am Tag. „Am letzten Tag darf ich dann keine Flüssigkeit mehr zu mir nehmen.“
Ans „Gewichtmachen“, wie man die gängige Praxis in Judo-Kreisen nennt, hat sich sein Körper längst gewöhnt. Viel ungewöhnlicher ist dagegen die Tatsache, dass der 20-Jährige freiwillig auf eine Sehhilfe verzichtet. Die eckige schwarze Kunststoffbrille nimmt er gezwungenermaßen kurz vor dem Kampf ab, danach begibt er sich in eine Art Tunnel. Aus der Not wurde nämlich eine Tugend: „Ich fühle mich ohne Kontaktlinsen wohl, da ich niemanden um mich herum erkenne. So realisiere ich dann auch gar nicht, was um mich herum geschieht. Es ist ein Mittel, um mich abzukapseln und voll fokussiert zu bleiben.“
Der aktuelle Nummer 80 der Weltrangliste wird also weder Mutter oder Vater noch den 13-jährigen Bruder auf den Rängen der Coque sehen können – und es ist nicht das erste Mal. „Meine Eltern versuchen, mich so oft es geht zu begleiten.“ Beim Grand Prix in Düsseldorf oder beim Grand Slam in Paris fieberte Familie Nunes-Dos Santos in der Halle mit. „Aber Reisen wie nach Japan sind finanziell einfach nicht drin. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie. Da ist es schon eine tolle Gelegenheit, dass ein Open vor der eigenen Haustür stattfindet.“
Musik statt Gespräche
Doch er weiß auch, dass beim Heimspiel alle Augen auf ihn gerichtet sein werden – was ihm eigentlich nicht entgegenkommt. „Ich bin immer nervös. Diesmal stehe ich im Fokus, ob bei den Zuschauern oder der Presse. Das ist schon sehr speziell und ungewohnt. Ich merke schon, dass ich einen kleinen zusätzlichen Druck verspüre und ich will ja auch das bestmögliche Ergebnis herausholen und ein Erstrundenaus absolut vermeiden. Bestenfalls bleibt die Goldmedaille in Luxemburg.“
Mit den Jahren hat der Differdinger gelernt, mit der Aufregung umzugehen. „Was ich immer vor jedem Wettkampf mache, um Stress abzubauen, ist, mich etwas abzuschotten. Ich setze meine Kopfhörer auf und vermeide es, zu viel zu überlegen, sondern konzentriere mich darauf, mein Bestes zu geben. Zudem versuche ich, mich zurückzuziehen und den Leuten um mich herum nicht mehr allzu viel zuzuhören. Das macht einen sonst verrückt.“
Mit einem Triumph beim Junioren-Cup in Canada und einer Silbermedaille beim Junioren-Europa-Cup in Cluj (Rumänien) hat er in den vergangenen Monaten einen neuen Status erreicht – und träumt nach diesen Erfolgen von einer internationalen Karriere.
Darunter litten zuletzt allerdings die schulischen Resultate: „Ich hatte durch die vielen Abwesenheiten einige Probleme und muss noch ein Jahr dranhängen, um das Abitur zu machen. Ich möchte das Gleichgewicht aber wiederherstellen, obwohl der Sport für mich oberste Priorität genießt.“ Das war auch in den vergangenen Tagen der Fall. Mit Katharina Häcker (WR 10), der australischen Lebensgefährtin des Nationaltrainers Alexander Lüdeke, hat er sich in Abwesenheit seines verletzten Trainingspartners Maurice Scholl auf die Premiere in Luxemburg vorbereitet. „Ich schaue ihr gerne über die Schulter und versuche, aus ihren Erfahrungen zu lernen.“
Zur Weltspitze fehlt eigentlich nicht viel
Obwohl Lüdeke seine Tätigkeit erst im Januar aufgenommen hat, herrscht bereits ein sehr enges Verhältnis zwischen Athlet und Coach. „Es gibt null Probleme mit ‚Ludi'“, schmunzelt Dos Santos. „Wir reisen ja sehr viel zusammen und sind außerhalb der Halle Kollegen. Auf der Matte ändert sich das Verhältnis zu Judoka und Trainer.“
Mit dem Nachfolger des aktuellen Sportdirektors Ralf Heiler wurde viel an der Taktik gefeilt. „Ich kann einen Vorsprung jetzt verwalten und den Kampf über die Zeit schaukeln. Das bedeutet, dass ich den Gegner in Schach halte, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen. Es hat viel mit Erfahrung zu tun und der Hilfe des Trainers.“ Denn, und das weiß der Judoka auch, zur Weltspitze fehlt eigentlich nicht viel.
Bis auf diese paar Prozent, die den Unterschied machen: „Auf diesem Niveau entscheiden nur noch Kleinigkeiten und Erfahrung. Den Höhepunkt der Judo-Karriere erreichen die meisten erst mit Mitte 20, ich habe also noch rund vier Jahre Zeit. Ich will das so schnell erreichen. Drei Runden bei der WM zu überstehen sind für mich nicht das Ziel (das hatte er in diesem September in beeindruckender Manier geschafft), sondern ganz klar die Medaille.“ Dos Santos scheint also auch ohne Brille den Durchblick zu haben …
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