Konzert / Where soul meets body: Death Cab for Cutie im Atelier
Das zehnte Album der Indierock-Institution funktioniert im Live-Kontext umso besser, wenn es von den zahlreichen Hits der Band umwoben wird: Death Cab for Cutie spielten am Mittwochabend ein langes, schönes Konzert, das einen dazu verleitete, nach dem Gig die alten Alben aus dem Plattenregal zu kramen – um festzustellen, dass sie eigentlich sehr gut gealtert sind.
Indie-Rock-Revival, die Dritte: Nach Bright Eyes Ende August und Nada Surf im Winter kehrt nun mit Death Cab for Cutie eine weitere Indie-Legende ins hauptstädtische Atelier zurück – und wie kürzlich Placebo und die Belgier von dEUS in der Rockhal, begann das Quartett (mit fünftem Schattenmann, den das Publikum auf der Bühne kaum wahrnehmen konnte) seinen Set mit den ersten Songs der neuen Platte.
So konnten die US-Amerikaner sich kurz warmspielen – denn kleine Patzer verzeihen Fans wohl am ehesten bei noch weniger bekannten Tracks wie „I Don’t Know How I Survive“ oder „Roman Candles“. Diese leiteten das Publikum dennoch geschickt in das Konzert ein, bevor mit „The New Year“ von der Kultplatte „Transatlanticism“ und „Cath…“ von „Narrow Stairs“ – für viele das letzte gänzlich relevante Death-Cab-Album – das Abendprogramm deutlich umrissen wurde. Während zwei Stunden gelang es der Indieband gekonnt, gleichzeitig ihr neues Album zu promoten und im Laufe eines ausgeglichenen Sets das Beste aus einer reichhaltigen Diskografie zu bieten.
Dabei fällt nicht nur auf, wie markant und toll Gibbards Stimme, die selbst dem banalsten Song etwas Besonderes verleiht, im Livekontext funktioniert, sondern auch, wie prägend Neuzugang Dave Deppers Gitarrenspiel mittlerweile ist – vor allem während der neuen Tracks.
Erstaunlich ist zudem, wie homogen sich die Songs der verschiedenen Schaffensphasen in ein Konzert wie aus einem Guss einfügten: So ging das über 20 Jahre alte „A Movie Script Ending“ nahtlos in „Here to Forever“ von der neuen Platte über, auf das mit „Black Sun“ einer des besten Tracks der letzten, im Allgemeinen eher weniger geschätzten Alben folgte – wie hier die Synthies und das Rhodes-Klavier auf arpeggierte Gitarren und Gibbards Melodiegespür treffen, bleibt einzigartig; gegen Ende des Tracks wagt Gibbard gar eine A-Capella-Einlage, die leider kaum vom Publikum begleitet wird – im Gegensatz zur akustischen Soloversion des wunderschönen „I Will Follow You Into the Dark“, das präzise in der Mitte des Sets für tosenden Beifall sorgt und während dem es Gibbard gelingt, einen vom Publikum gesungenen Refrain zu verhandeln.
Homogen – und dennoch facettenreich
Auf diese akustische Einlage folgt „I Will Possess Your Heart“, der Übersong von „Narrow Stairs“, dessen proggig-instrumentale Fünfminuten-Intro es der Band nicht nur erlaubt, zu zeigen, wie gut jeder sein Instrument beherrscht, sondern zudem die Atmosphäre für Gibbards Gesang mit spannungsgeladenen, groovigen Sounds vorbereitet.
Wie beim dEUS-Konzert vorige Woche gab es vielleicht ein paar Titel des neuen Albums zu viel, speziell da einige Nummern von „Asphalt Meadows“ etwas zu sehr nach Death Cab by the numbers klingen. Nichtsdestotrotz klangen Tracks wie „I Miss Strangers“ in der Live-Version sphärischer und ausgeklügelter als auf der Platte, zudem war das Gleichgewicht zwischen neuen Tracks – „Asphalt Meadows“, das (zu) sehr von The Cure inspirierte „Northern Lights“ oder, ganz am Ende des regulären Sets, das experimentellere „Foxglove Through the Clearcut“ – und mehr oder weniger alten Hits – das atmosphärische „Your Heart Is an Empty Room“, das schnelle „The Sound of Settling“, der späte Indie-Brecher „You Are a Tourist“ – außerordentlich gelungen.
Zwischendurch gibt Gibbard zu bedenken, dass ganze zwölf Jahre seit dem letzten Death-Cab-Konzert im Atelier verstrichen sind – und fragt die Besucher*innen, was denn bei jedem so in dieser Dekade gelaufen ist. Vergessen – oder verdrängen – tut er dabei, dass das letzte Luxemburger Death-Cab-Konzert im November 2015 im Rahmen des Sonic-Visions-Festivals in der Rockhal stattfand – am Tag des Bataclan-Attentats. Vielleicht war es aber auch für den US-Amerikaner Gibbard unverständlich, dass ein Konzert ganz im Süden des Landes (fast) die gleichen Zuschauer anlockt wie ein Auftritt im Zentrum – wie ein Bekannter mir zuflüsterte, braucht es in Luxemburg eben keinen tagelangen Greyhound-Trip, um das halbe Land zu durchqueren.
Besonders wirkungsvoll war das abschließende, fast 30-minütige Encore. Hier wurde mit „Doors Unlocked and Open“ von „Codes and Keys“ (2011), „Pepper“ von „Asphalt Meadows“ (2022), dem Überhit „Soul Meets Body“ von „Plans“ (2005) und dem abschließenden „Transatlanticism“ von der gleichnamigen Platte aus dem Jahr 2003 eindrucksvoll bewiesen, dass Death Cab es eigentlich zu jeder Schaffensweise und in jeder Bandkonstellation vermochte, relevante Musik zu schreiben.
Death Cab for Cutie – „Asphalt Meadows”
Auf ihrem zweiten Album mit dem neuen Gitarristen und Keyboarder Dave Depper haben Death Cab for Cutie sich von dem Erwartungsdruck, der laut Depper beim Schreiben des etwas zaghaften Vorgängers „Thank You For Today“ omnipräsent war, gelöst. Die teilweise im Lockdown getrennt komponierte, aber zusammen im Studio aufgenommene Platte will trotz ihres Openers mit dem beklemmenden Titel „I Don’t Know How I Survive“ keine Pandemieplatte sein; besagter Song klingt, zumindest musikalisch, erstaunlich leichtfüßig, Benjamin Gibbard singt den Chorus „These days/I don’t know how I survive“ nicht etwa selbstmitleidig, sondern mit dem Enthusiasmus eines Flugzeugabsturz-Überlebenden, während die Band im Hintergrund zwischen fast bluesigen Stakkato-Gitarren und wuchtigen Ausbrüchen wechselt.
Überhaupt wirkt Gibbard auf der zehnten Death-Cab-Platte stoischer als sonst – auf „Here to Forever“ klingen die Beobachtungen des 45-jährigen („In every movie I watch from the fifties/There’s only one thought that swirls around my head now/And that’s that everyone there on the screen/They’re all dead now“) nicht pechschwarz, zynisch oder wehleidig, sondern einfach unerbittlich nüchtern.
Auch das darauffolgende „Roman Candles“ – die erste Single-Auskopplung – ist erfrischend eingängig, kommt schnell auf den Punkt und verschiebt mit verzerrter Stimme und Beats den Death-Cab-Sound dezent in die musikalische Gegenwart. „Foxglove Cuts Through the Clearcut“ überrascht mit Spoken Word und Shoegaze-Elementen, ansonsten sucht man die angekündigten Klangmetamorphosen aber eher im Detail, wenn es sie denn überhaupt gibt. Auf dem Titelsong sorgen Klavier und Synthies für einen warmen, runden Klang; „Rand McNally“ beginnt wie eine Sufjan-Stevens-Ballade, bevor es zur klassischen Indie-Nummer mutiert, und auf „Here To Forever“ schleichen sich erneut New-Wave-Synthies, die auf dem Vorgängeralbum – siehe „Northern Lights“ – eingeführt wurden, ein, bevor der Chorus sich vor Indie-Legenden wie Pinback oder Menomena verneigt. Der Beginn von „Fragments From the Decade“ gibt einem hingegen eine Idee, wie die Pet Shop Boys mit mehr Melancholie und weniger Glam klingen könnten, auch wenn der Song sich danach etwas träge dahinschleppt; „I’ll Never Give Up On You“ schließt die Platte funkig-orchestral ab.
Dass Death Cab im Großen und Ganzen eher auf Nummer sicher gehen und auch auf ihrer zehnten Platte stets nach Death Cab klingen – die große Soundmetamorphose war ja auf „Kintsugi“ (2015) schon angedacht und mit Tracks wie „Black Sun“ wagemutiger durchgeführt worden als hier –, ist immer dann herzlich egal, wenn das Songwriting stimmt. Die Trennungsballade „Pepper“ ist so toll, dass sie es mit Größen wie „Soul Meets Body“ aufnehmen kann und auch „I Miss Strangers“ trumpft mit atmosphärischem Intermezzo und tollem Refrain. „Wheat Like Waves“ verneigt sich hingegen vor den ersten Platten – mit opulenterer Produktion.
Mit „Asphalt Meadows“ gelingt Death Cab for Cutie ein solides Alterswerk mit diskreten Soundverschiebungen und einigen würdigen Beiträgen zu einer an tollen Songs bereits reichen Diskografie. Songs, die die Welt bedeuten, schreiben Gibbard und Co. mittlerweile keine mehr – aber sie scheinen ihren Frieden damit geschlossen und ihren Platz als intelligente Handwerker intelligenten Indierocks gefunden zu haben. Die letzte Woche nachgereichte Akustikversion der Platte, deren elf Tracks noch durch das Low-Cover „The Plan“ bereichert werden, entledigt die Songs von allem Synthie- und Produktionsschnickschnack und bestätigt, dass Gibbards Songwriting in 20 Jahren erstaunlich wenig an Relevanz eingebüßt hat.
Anspieltipps: „Roman Candles“, „Pepper“, „I Miss Strangers“
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