Luxemburg / „Wichtig ist, dass jemand da ist, wenn derjenige wieder zurück will“: Wie Respect.lu bei Radikalisierung hilft
Die Corona-Krise hat sichtbar gemacht, dass Menschen sich in extremen Theorien verrennen können, obwohl deren Umfeld das vorher nicht erwartet hätte. Das ist einer der Punkte, an der der Luxemburger Verein Respect.lu anknüpft – dessen Team hilft beim Thema Radikalisierung sowohl den Betroffenen als auch deren Umfeld. Das Tageblatt hat mit der Vereinsdirektorin gesprochen und sie gefragt, was Angehörige tun können und was bei ihrer Arbeit am wichtigsten ist.
„Das hier ist das erste Gespräch, in dem mir mal jemand richtig zuhört“ oder „Ich wollte mit meinen Aussagen ja niemandem wehtun“: Solche und ähnliche Sätze bekommt Karin Weyer während ihrer Arbeit zu hören. Weyer ist die Direktorin des Vereins Respect.lu, Diplompsychologin und Psychotherapeutin. Das Team des Vereins hilft Menschen, die sich radikalisiert haben – ob bewusst oder unbewusst – und fungiert als Anlaufstelle für deren Umfeld. Neben den Angeboten für Betroffene und deren Angehörige bilden die Mitarbeiter auch Personal wie Lehrer oder Erzieher weiter und betreiben Präventionsarbeit, zum Beispiel mit Workshops an Schulen.
Wer bei einem Menschen in seinem Umfeld merkt, dass dieser sich radikalisiert haben könnte oder möglicherweise gerade dabei ist, kann sich mit seinen Bedenken an Respect.lu wenden. Weyer sagt, der Verein werde von ganz unterschiedlichen Menschen kontaktiert, von Freunden oder Familienmitgliedern, dem Arbeitgeber, aber auch dem Nachbarn. Die Ansprechpartner des Vereins bieten diesen Menschen eine Gesprächsmöglichkeit, um zunächst einschätzen zu können, ob es sich bei den beobachteten Anzeichen um eine Radikalisierung handelt. Zieht sich jemand lediglich zurück oder konvertiert einfach nur zu einer anderen Religion, sei das nicht sofort ein klares Anzeichen – die Vereinsmitarbeiter helfen dabei, die Veränderungen einzuordnen. Sollte es sich als etwas anderes herausstellen, gebe Respect.lu passende Anlaufstellen weiter – liegt allerdings wahrscheinlich eine Radikalisierung vor, gibt es weitere Angebote des Vereins.
Ein sicherer Kontakt für den potenziellen Ausstieg
Wer steckt hinter Respect.lu?
Laut der Vereinsdirektorin Karin Weyer besteht das Respect.lu-Team aus sechs festangestellten Mitarbeitern – darin sind verschiedene Berufsqualifikationen vertreten. Unter den Teammitgliedern findet sich unter anderem Fachpersonal für Kriminologie, Psychotherapie beziehungsweise Psychologie und Politikwissenschaft. Diese hätten zwar Schwerpunkte bei ihrer Arbeit, seien aber prinzipiell für alle Aufgaben einsetzbar, die der Verein anbietet. Gegründet wurde Respect.lu vor rund fünf Jahren und sei damit laut Vereinsdirektorin Weyer noch relativ jung.
„Eine der größeren Herausforderungen ist es, die Menschen überhaupt mal zu erreichen“, sagt Weyer. Damit meint sie nicht, zu den Menschen durchzudringen – sei der Erstkontakt zu den Betroffenen erst einmal hergestellt, stünden die Chancen auf weitere Gespräche gut. Es gebe auch Menschen, die sich dem Angebot komplett sperren, was allerdings eher die Seltenheit sei. Die Erfolgschancen hingen auch davon ab, wer den Kontakt zu dem Verein herstellt. Wendet sich ein enges Familienmitglied an die Mitarbeiter, sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich der besagte Angehörige auf ein Gespräch einlässt, als zum Beispiel bei einem Nachbarn. Arbeitgeber hätten wiederum die Möglichkeit, dem Betroffenen Anreize zu bieten, das Gesprächsangebot anzunehmen. „Manche Arbeitgeber bieten zum Beispiel an, den Mitarbeiter für die Zeit der Gespräche freizustellen“, sagt die Vereinsdirektorin.
Die Menschen melden sich laut Weyer oft bei dem Verein, weil sie sich Sorgen um den jeweiligen Betroffenen machen und helfen wollen. Das sei auch gut, sagt die Direktorin, denn sie wünsche sich, dass die Menschen generell mehr aufeinander achten und somit solche Hilfsangebote zu jenen bringen zu können, die sie brauchen. Karin Weyer sagt, die wichtigste Message an die Angehörigen sei grundsätzlich: „Versuchen Sie, den Kontakt zu halten.“ Auch wenn sie sich bewusst sei, dass das für die Angehörigen teils schwer ist, begründet sie: „Wichtig ist, dass jemand da ist, wenn derjenige wieder zurück will.“ Dabei könne der Verein sowohl die Angehörigen als auch, je nach Möglichkeit, die Betroffenen selbst begleiten. Ziel sei es, den Menschen einen künftigen Weg aufzuzeigen, der sowohl für sie selbst als auch für ihr Umfeld nicht schädlich ist.
„Dialog statt Hass“ hilft Hasskommentar-Schreibern
Wer sich dazu entscheidet, bei Respect.lu Hilfe für sich selbst als Betroffener zu suchen, kann dort ein auf ihn abgestimmtes Angebot wahrnehmen. Allerdings gibt es auch Menschen, die zu dem Verein geschickt werden – etwa von der Staatsanwaltschaft, als Alternative zu einem Gerichtsverfahren, oder als Auflage bei einer Verurteilung vor Gericht. Dafür ist das 2020 gestartete Respect.lu-Programm „Dialog statt Hass“ gedacht. Das Projekt ist in sechs verschiedene Module unterteilt und für Personen gedacht, die entweder der Justiz oder auch anderen Institutionen durch Dinge wie Hasskommentare aufgefallen sind. Insgesamt dauert es rund ein halbes Jahr. Die sechs Module haben jeweils eigene Oberthemen: Meinungsfreiheit, Medienkompetenz, Diskurskompetenz, Diskriminierung, Deliktverarbeitung und Perspektivenwechsel. Je nachdem, um welche Ideologien es bei den Menschen geht, werden auch Besuche von bestimmten Orten angeboten, sagt Karin Weyer. Beispielsweise habe man schon mit Teilnehmern die Shoah-Gedenkstätte im Kloster in Fünfbrunnen besucht.
Ein schöner Aspekt ihrer Arbeit sei der Moment, wenn die Menschen tatsächlich realisieren, dass sie mit ihren Hasskommentaren jemand anderen verletzt oder geschädigt haben, sagt Weyer. Das Projekt ziele unter anderem darauf ab, den Menschen verständlich zu machen, „dass es Dinge gibt, die man sagen kann, aber dass es eben auch Grenzen gibt“, erklärt die Diplompsychologin. Wichtig sei auch, zu verstehen, dass der Verein nicht dazu da sei, die Menschen zu verurteilen, sondern ihnen zu helfen. Daher könne sich auch jeder jederzeit an die Mitarbeiter wenden, wenn er das Gefühl hat, er brauche Hilfe in diesem Kontext.
Algorithmen bestärken Inhalte aus der eigenen „Bubble“
Um Aussagen über mögliche Rückfallquoten nach einer Teilnahme an dem Programm oder einem anderen Angebot zu treffen, sei der Verein derzeit noch zu jung, so Weyer. Sie stellt jedenfalls klar: „Man kann sich in jedem Alter radikalisieren.“ Oft bestehe die Radikalisierung aus einem Mix aus offline und online – das Internet spiele aber häufiger eine tragende Rolle bei dem Prozess. Das liege unter anderem daran, dass die Algorithmen den Internetnutzern oft Inhalte anzeigten, die ohnehin in das Weltbild oder auch die „Bubble“ beziehungsweise „Blase“ des Nutzers passen oder es sogar bestärken. Ein Begriff dafür sei der sogenannte „confirmation bias“, auf Deutsch: Bestätigungsfehler. Manchen sei allerdings wiederum gar nicht klar, dass das, was sie da gerade in einem sozialen Netzwerk geschrieben haben, öffentlich einsehbar ist und möglicherweise eine große Reichweite erhalten kann. Daher sei es wichtig, Kurse für Medienkompetenz anzubieten, sagt Weyer – auch für ältere Menschen.
Bei Jüngeren seien oft andere Dinge Ursache für Radikalisierungen – „die Jugendlichen wissen meist, dass Plattformen wie Facebook öffentlich sind und dass man dort nicht einfach alles schreiben oder sagen kann“, so Weyer. Das führe wiederum dazu, dass einige sich bei einer Radikalisierung auf geschütztere Kanäle wie Telegram oder andere Plattformen zurückzögen. Hier seien dann, statt grundsätzlicher Medienkompetenz, zum Beispiel eher Gespräche über Dinge wie die Grenzen der Meinungsfreiheit gefragt.
Dynamiken erkennen
Die Jugendworkshops an Institutionen wie Schulen kämen meist dann zustande, wenn es dort zuvor einen „kleineren“ Vorfall oder eine Auffälligkeit gegeben hat – „wie beispielsweise ein in ein Heft gemaltes Hakenkreuz oder rassistische Bemerkungen“, so die Direktorin. Das sei dann „noch nicht hochdramatisch“, so die Vereinsdirektorin, aber ein thematischer Anlass, um das Gespräch in der Gruppe zu suchen. Allgemeine Prävention an allen Schulen ohne einen Anlass sei derzeit aufgrund begrenzter Ressourcen nicht möglich.
In der Arbeit mit den Jugendlichen werde darauf geachtet, dass man die jeweiligen Themen wie Rassismus, Antisemitismus, Islamismus oder auch Verschwörungstheorien interaktiv arbeite. Das bewirke, dass man eher eine Verbindung zu den Jugendlichen aufbauen könne. Es gehe dabei auch darum, eine eventuelle Dynamik der Gruppe zu erkennen und auf diesen Erkenntnissen weiter aufbauen zu können. Zusätzlich zu den Unterhaltungen mit den Jugendlichen sprechen die Vereinsmitarbeiter auch mit dem zugehörigen Lehrpersonal, um die gewonnenen Einblicke und Erkenntnisse weiterzureichen und Tipps geben zu können.
Verschwörungsboom in der Corona-Krise
Was die Themen angeht, die das Team mit den Betroffenen behandelt, habe es mit der Corona-Krise eine sichtbare Veränderung gegeben, sagt die Vereinsdirektorin. Im Jahr 2017 sei es zum Beispiel noch etwas häufiger um islamistische Radikalisierungen gegangen, später dann vermehrt um Rechtsextremismus und „white supremacy“, die gegen Ausländer gerichtet sei. Mit Corona sei dann der Dreh zur Hatespeech und den Verschwörungstheorien erkennbar geworden, der teils auch antisemitische Tendenzen aufweise. Weyer nennt als Antisemitismus-Beispiel die Demonstrationen in Luxemburg, bei denen Ungeimpfte laut den Vergleichen angeblich ähnlich diskriminiert würden wie Juden es mit dem Judenstern während der Zeit des Nationalsozialismus erfahren hätten.
Im Kontext der Studie zum Thema Rassismus, die Luxemburgs Abgeordnetenkammer im Jahr 2020 für das Großherzogtum in Auftrag gegeben hat, wurde auch der Verein Respect.lu befragt. Karin Weyer zeigt sich erfreut darüber, dass einige der Aspekte, die der Verein bei der Befragung thematisiert habe, sich auch in den Ergebnissen der Studie wiederfänden. Das zeige auch, dass andere Institutionen und Anlaufstellen in Luxemburg ähnliche Dinge hinsichtlich Rassismus angemerkt hätten. Weyer sieht es beispielsweise als notwendig an, dass es in Luxemburg auch Ansprechpartner und Angebote für Opfer von Hatespeech – darunter auch Rassismus – gibt, sagt sie. Derzeit sei das nicht der Fall, man habe dies jedoch bei der Befragung angegeben.
Darüber hinaus sei es hilfreich, wenn in Gesprächen über Rassismus klarer definiert sei, um welche Formen von Rassismus es geht, um die jeweilige Form besser adressieren und auch bekämpfen zu können. Wenn man etwa über die Probleme eines Landes mit strukturellem Rassismus spreche, sei es wichtig, diese auch konkret anzusprechen, ob es dabei nun um rassistische Ausgrenzung bei der Wohnungssuche oder bei Einladungen zu Vorstellungsgesprächen gehe. Weniger klare Aussagen wie „Luxemburg ist rassistisch“ seien kaum hilfreich und führten eher dazu, dass Menschen in eine Abwehrhaltung gingen.
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Ich hab ja gesagt: Bitte keine Unzufriedenheit zeigen, sonst stellt der Staat Sozialarbeiter ein und wir haben wieder ein paar Ausgaben mehr. Anschliessend noch eine Studie, dass es Luxemburg sowieso im internationalen Vergleich zu gut geht, fertig.