Theater / Wicked Games: Shakespeares „Was ihr wollt“ in einer Inszenierung von Frank Hoffmann
Nach „La peste“ bringt Frank Hoffmann Shakespeares bekannteste Komödie in einer hybriden Theater-Musical-Form auf die Bühne des TNL. Das ist meist sehr lustig, oft herrlich albern und stets toll gespielt – nur bei dem Spiel mit den Geschlechterrollen fällt das damals provokante Stück heute vielleicht etwas zu brav aus.
Irgendwie ist es beruhigend: Ganz gleich, was die Welt so treibt – es findet sich immer ein Klassiker, der dieses Treiben beschreibt. Nichts, so scheint es, kann den Theater überraschen, weil seine Schreiberlinge einmal oder vielleicht gleich mehrmals um die Ecke gedacht haben und sich so alle Eventualitäten ausgedacht und darauf eingestellt haben. An der Seite eines Theaterschaffenden ist man sicher: Sie oder er ist auf alle Situationen vorbereitet.
Nachdem er die Pandemie mittels Albert Camus’ „La peste“ verhandelte, kehrt TNL-Intendant und Regisseur Frank Hoffmann mit einer Inszenierung von „Was ihr wollt“ (im Original: „Twelfth Night or: What You Will“) zurück – Shakespeares superbekannten und vielfach inszenierten Verwechslungskomödie, die in Zeiten der Geschlechterdebatten auf den ersten Blick wieder brandaktuell wirkt.
Die Geschichte ist gleichermaßen zu bekannt und zu verworren, um sie hier in allen Details wiederzugeben. Versuchen wollen wir’s trotzdem (sollte dies scheitern, gibt’s immer noch die herrlich sperrigen Handlungszusammenfassungen auf Wikipedia). Die Zwillinge Sebastian (aka Rodrigo) und Viola (aka Cesario, alle zwei oder vier gespielt von einer beeindruckend wandlungsfähigen Nora Koenig) geraten in einen Sturm. Beide werden getrennt, beide denken, der andere wäre tot. Der Fokus des Stücks liegt auf Viola, die während einer Anfangsszene, in der das schlichte, aber in der Inszenierung sehr wirkungsvoll eingesetzte Bühnenbild von Christoph Rasche umso mehr zur Geltung kommt, weil Elemente davon zerstört werden, auf Illyrien strandet – einem Land, in dem jeder Tag Karneval ist.
Wer jetzt an besoffene Menschen auf dem Kölner Hauptmarkt denkt, liegt zwar daneben – aber eben auch nicht total daneben. Wer hingegen an Bachthinsche Umkehrung der Werte denkt, liegt goldrichtig – auch wenn Sir Toby Rülps (während der letzten Vorstellungen ersetzt Paul Hess Michael Hiller) und Sir Andrew Bleichenwang (Klaus-Michael Nix) einen wohl mit Degen und Shotgläsern davon abhalten würden, mit solch bierernsten Referenzen daherzukommen. Schließlich geht es ums Trinken und ums Feiern – und um die Liebe. Mit Literaturtheorie sollte das doch echt nichts zu tun haben.
Zurück zur Story: Viola nennt sich fortan Cesario, versteckt ihre Weiblichkeit und stellt sich in den Dienste von Orsino, Herzog von Illyrien (Giovanni Rupp), der unsterblich in die unnahbare Olivia (herrlich manieriert, kokett und verloren: Jacqueline Macaulay) verliebt ist. Viola/Cesarios Botenjob besteht hauptsächlich darin, peinliche Liebesnachrichten an Olivia auszustellen, die sich prompt, nicht wissend, dass Cesario eine Frau ist, in den jungen Knaben verliebt.
Gleichzeitig wird auf Olivias Hofe munter intrigiert: Da Sir Toby und Sir Andrew, der sich auch in Lady Olivia verliebt hat, immer wieder vom puritanischen Haushofmeister Malvolio (sehr lustig: Ulrich Gebauer) beim Saufgelage gestört werden, verbünden sich beide mit der Zofe Maria (Barbara Ullmann) und dem Narren (Jan Plewka), um Malvolio einen bitterbösen Streich zu spielen. Alles spitzt sich zu, als Sebastian … – gut, ich kapituliere. Wer das Stück nicht kennt, soll entweder auf Wikipedia weiterlesen oder (besser noch) heute Abend ins TNL gehen. Shakespeare fasst man nicht zusammen, Shakespeare erlebt man auf der Bühne.
Maskerade und Saufgelage
Wer sich ein wenig mit Theatergeschichte beschäftigt hat, weiß, dass die Komödie als Genre nie richtig definiert wurde – der zweite Teil von Aristoteles’ „Poetik“, der das Genre behandeln sollte, ging verloren, sodass das Genre auch in der so streng auf Regeln bedachten französischen Klassik einem weniger strengen Regelwerk unterlag. Dies, und der Fakt, dass Shakespeare im Gegensatz zu den Klassikern des französischen Theaters nie wahnsinnig viel auf ebensolche Regeln achtete, ergeben ein wahres Sammelsurium von einem Text, der seine Kohärenz dem Genuss des Augenblicks aufopfert. „Was ihr wollt“ ist Tragikomödie, Klamauk, Farce, Quiproquo und Soap in einem. Diesen Eklektizismus, diese wilde Hybridisierung der Töne – das Stück zeigt sich gleichzeitig lustig und melancholisch –, diese doch sehr undeutsche Unanständigkeit findet man in Hoffmanns Inszenierung auch in der Musikwahl wieder.
Hoffmanns „Was ihr wollt“ ist halb Theater, halb Musical: Der wilde Referenzreigen führt den Zuhörer durch eine Reise der Popgeschichte des späten 20. und des frühen 21. Jahrhunderts. In einer wirklich sehr, sehr lustigen Szene verlangt Lady Olivia von ihrem (musikalisch überaus talentierten) Narren, dass er Witze reißt, einen Rocksong singt (ohne Überraschung: „Highway to Hell“), ein japanisches Kinderlied steppt, auf Deutsch ein paar Zeilen rappt und darüber hinaus auch noch etwas Luxemburgisches von sich gibt – woraufhin dem Banausen nur irgendwas mit der belgischen Küste einfällt. Hier zieht Hoffmann alle Register: Die Fußballstadionhymne „Seven Nation Army“ der White Stripes wird genauso entstellt wie das auf Helium gesungene „Wicked Game“ von Chris Isaac, des Weiteren gibt es ein wildes Medley durch Liebeslieder im deutschen Pop.
Dennoch: Manches wirkt wie mit der Perücke herbeigezogen, Joy-Division-Aficionados, die aufgrund des frühen Freitodes von Sänger Ian Curtis sehr wenig mit dem Nachlass der Band spaßen, dürfte die Klavier-Balladisierung von „Love Will Tear Us Apart“ im Halse stecken bleiben. Im Allgemeinen hätte hier ein Soundtrack, der nicht nur das Thema der tragischen, sondern auch der queeren Liebe verhandelt, mehr Sinn gemacht – wäre der Soundtrack zeitgenössischer gewesen, hätte sich dies so oder so ergeben, auch wenn es natürlich im Pop-Rock des späten 20. Jahrhunderts durchaus queere Elemente gibt, was hier auch u.a. durch Jasna Bosnjaks Kostüme hervorgehoben wird.
Die Musikauswahl reflektiert in dem Sinne (deswegen auch der längere Exkurs) den inszenatorischen Ansatz: Vieles ist gut gedacht, im Gegensatz zur gestrafften „Peste“ hat Hoffmann wieder mehr Raum und Zeit, um seine (oft guten) Ideen zu entfalten, manches wirkt aber leicht überholt. Die Inszenierung scheut das Lächerliche nicht, was dem Streich, dem Malvolio gespielt wird, sehr guttut, dessen Grausamkeit dann irgendwann doch durchscheint und überhandnimmt. Anderswo funktioniert die Provokation nicht wirklich: Schauspieler, die ihre oder die Geschlechtsteile anderer anfassen und über Orgasmen reden, entlocken dem Publikum zwar ein leicht entrüstetes Gelächter, irgendwie wirkt das aber dann doch sehr altbacken.
Binär?
Wo es bei Racines „Andromaque“ eine heteronormative Liebeskette gibt, bricht Shakespeare mit einer solchen Geradlinigkeit, indem er Geschlechtertausch und René Girards Theorie des Liebesdreiecks in diese Kette einfügt: Genau deswegen ist das Stück heute zeitgenössischer denn je. Wie man dies auf die Gegenwart transponiert, ist dabei entscheidend: In der letzten „Was ihr wollt“-Inszenierung, die ich sah, hatte man sich wie in alten Shakespeare-Zeiten entschieden, alle Rollen von Männern spielen zu lassen – eine Interpretation, die unterstreichen sollte, dass Shakespeare sich vielleicht durch genau diese Gegebenheit dazu hat verleiten lassen, fast 400 Jahre vor Judith Butler mit seinem Stück implizit zu sagen, dass Gender ein Konstrukt ist.
Dennoch stellt das Ende von Shakespeares Verwechslungsspiel eine Auflösung der karnevalesken Umkehrung dar – und eine Rückkehr zur Heteronormativität: Mit Viola und Orsino, Sebastian und Olivia bilden sich zwei heterosexuelle Pärchen, die Transgression liegt bei Shakespeare wie bei Hoffmann ganz metaleptisch im Genderkontrast zwischen Figur und Schauspielerin. Dass dies nicht ausreicht, weiß Hoffmann genau, weswegen die Inszenierung dem heteronormativen Finale etwas entgegensetzen muss. Hier machen Hoffmann und seine Dramaturgen Florian Hirsch und Philipp Matthias Müller so einiges richtig: In der finalen, sexuell geladenen Szene spielt Nora „Twoface“ Koenig gleichzeitig Viola und Sebastian, verdreht beiden so sehr den Kopf, dass sie sich am Ende, als Viola/Sebastian verschwindet, erstaunt gegenseitig ablecken, ganz so, als wäre die non-binäre Viola-Sebastian ein Traumwesen aus einer progressiveren Zeit.
Der inszenatorischen Klarheit halber entstehen aber auch einige Fauxpas: Dadurch, dass Sebastian viril wie ein huttragender Cowboy aus einem Sergio-Leone-Film raucht, während Viola unsicher und sensibler auftritt, reproduziert die Inszenierung Geschlechterklischees, mit der sie nicht ganz zu brechen vermag – auch wenn der Zuschauer gezwungen wird, sie zu hinterfragen. Auch wenn der Ansatz stellenweise diskutabel sein mag: Es lohnt sich, sich mit dieser Inszenierung von „Was ihr wollt“ auseinanderzusetzen und gegebenenfalls über sie zu streiten. Und genau das soll Theater.
(Das Stück läuft noch heute Abend um 20.00 Uhr im TNL)
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