E Bléck duerch d’Lëns / Widerstand gegen das NS-Regime: Jean-Pierre Haas und die Schifflinger LRL

Zeitzeugenbericht und Nachkriegsfoto von Jean-Pierre Haas, ANLux, CDRR, Akte JP Haas
Die lokale Erinnerungskultur an die NS-Besatzung in Schifflingen wird bis heute vom Widerstand geprägt. Insbesondere die Streiks von 1942 und die Widerstandsbewegung ALWERAJE dominieren den lokalen Erinnerungsdiskurs. Allerdings sind andere Gruppen kaum bekannt. Der folgende Beitrag beleuchtet die Geschichte der Gruppe 7, eines lokalen Ablegers der „Letzeburger Ro’de Lé’w“ (LRL).
Am 15. Januar 1941 gründete Albert Meyers in Oberkerschen die Bewegung LRL. Von dort aus bildeten sich in mehreren Ortschaften des Landes weitere Ableger der Widerstandsgruppe. Die Schifflinger Gruppe 7 entstand im November 1941. Ihre Ursprünge lassen sich jedoch bereits ein Jahr zuvor nachweisen. Im September 1940 gründete eine kleine Gruppe um die Widerstandskämpfer Jean-Pierre Haas und Jean Braun aus Schifflingen die Bewegung „Ro‘de Lé‘w“. Dabei handelte es sich wohl um einen losen Zusammenschluss, welcher später die Basis der LRL-Gruppe bildete. Über die Aktivitäten der „Ro‘d Lé‘wen“ ist nur wenig bekannt. Ab Mitte 1941 sollen sie jedoch die ALWERAJE, um den Lehrer Albert Wingert, aktiv unterstützt haben, u. a. beim Verteilen von Flugblättern und dem Anfertigen patriotischer Fotos oder Abzeichen. Die Gruppe erregte zusehends das Interesse der LRL, welche zwischenzeitlich damit begann, Haas und Braun zu beschatten. Im Herbst 1941 wurden die beiden Männer zu einem geheimen Treffen in eine Gastwirtschaft in Esch eingeladen, um sie für die LRL zu gewinnen. Nach einigem Zögern stimmten die Männer zu und wurden daraufhin vereidigt.

Die Serie
In der Rubrik „E Bléck duerch d’Lëns“ liefern die Historiker*innen André Marques, Julie Depotter und Jérôme Courtoy einen facettenreichen Blick auf verschiedene zeitgeschichtliche Themen.
Aufbau und Aktivitäten der Gruppe 7
Unter Haas‘ Leitung begann die neu gegründete LRL-Gruppe zunehmend notleidende Familien verfolgter oder inhaftierter Personen, sowie später auch von Umgesiedelten, finanziell und materiell mit Kleider- und Lebensmittelkarten zu unterstützen. Bis 1943 sollen die Mitglieder der Schifflinger LRL für solche Hilfsleistungen hohe Geldsummen gesammelt haben. Diese wurden über die LRL-Gruppe in Differdingen verteilt, darunter auch an mindestens 20 bis 25 Familien aus Schifflingen. Alliierte Kriegsgefangene wurden versorgt und ihnen wurde bei der Flucht ins Ausland geholfen. Obwohl Haas‘ Bruder Pierre später behauptete, die Schifflinger LRL hätte zwischen 1941 und 1942 nur wenig Gegenpropaganda und Sabotageakte ausgeführt, soll die Organisation dennoch bei der Produktion patriotischer Symbole oder von Propagandafotos mit den Motiven der Großherzogin oder luxemburgischer Geldscheine aktiv gewesen sein. Letztere waren von Jean-Pierre Haas bei einer angeordneten „Vernichtungsaktion“ luxemburgischer Geldscheine im Arbed-Werk von Esch-Schifflingen heimlich gerettet worden. Nebenbei unterstützte die Gruppe 7 auch weiterhin die Aktivitäten der ALWERAJE. Ihre Höchstphase erreichte die mindestens 39 Personen umfassende Gruppe jedoch erst mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und der Zerschlagung der ALWERAJE im August 1942, dessen Mitglieder später u. a. auch der Schifflinger LRL beitraten.
Den Widerstandskämpfern Camille Kayser und Jean-Pierre Haas gelang die Vernetzung mit französischen und belgischen Widerstandsgruppen. Mit falschen Papieren ausgestattet – teilweise von Jean-Pierre Haas selbst hergestellt – gelang es der Gruppe aufgrund dieser Verbindungen, u. a. Wehrdienstverweigerer und Deserteure über die Grenze nach Frankreich oder Belgien zu bringen. Andere wurden bei Privatpersonen untergebracht. Hierfür nutzte die Gruppe ein Netzwerk aus 36 Verstecken in und um Schifflingen. Insbesondere das in der Schifflinger rue des Aulnes gelegene Elternhaus der Familie Haas eignete sich, aufgrund der Lage zum Wald hin, Flüchtige über den Kayler Poteau zur Grenze zu führen. Dabei nutzten die Fluchthelfer u. a. die Route Schifflingen-Esch-Russange-Micheville. Die medizinische Versorgung wurde von vier Ärzten aus Schifflingen und Esch gewährleistet. Bis zur Befreiung soll die Gruppe 7 ca. 59 Personen zur Flucht verholfen haben. Zu ihren erfolgreichsten Fluchthelfern zählten u. a. Camille Kayser, Jean-Pierre Haas und dessen Ehefrau Marguerite. Letztere war aufgrund ihres Engagements im französischen Widerstand auch unter dem Decknamen „Dame Rouge“ bekannt. Jean-Pierre Haas allein soll sogar zwischen 25 und 30 Personen zur Flucht verholfen haben. Die Anstrengungen der Gestapo, die Gruppe 7 auszuheben, blieben zunächst erfolglos. In Schifflingen sollen jedoch vermehrt „Spitzel, Polizei, SA, usw.“ eingesetzt worden sein, um nähere Informationen über die Gruppe herauszufinden.
Auflösung der Schifflinger LRL
Neben der ALWERAJE versuchte die Gruppe 7 mit anderen Widerstandsgruppen zusammenzuarbeiten, darunter auch mit der Schifflinger Armée Blanche. Aufgrund des aufdringlichen Verhaltens eines ihrer Mitglieder wurde Haas jedoch misstrauisch. Er ließ die Gruppe u. a. mit Hilfe der Differdinger LRL beschatten. Die Armée Blanche war infiltriert worden. Haas versuchte vergebens, den Leiter der Widerstandsbewegung, Mathias Dal Zotto, von der Unterwanderung zu überzeugen. In zwei Verhaftungswellen wurde die Armée Blanche Ende Januar 1944 von der Gestapo zerschlagen. Ihre Mitglieder wurden festgenommen, darunter auch Jean-Pierre Faber, ein früheres LRL-Mitglied. Unter Folter gab dieser die Namen der LRL-Gründer preis. Es gelang ihm jedoch, diese frühzeitig zu warnen. Haas tauchte mit Hilfe des LRL-Netzwerkes unter, u. a. auch im Bunker „Eisekaul“ in Esch/Alzette. Während seiner Flucht entging Haas einigen Razzien, so z.B. im Mai 1944 in Steinbrücken bei der Familie Musquar. Nur seine Ehefrau und Camille Kayser wussten, wo sich der LRL-Chef befand.
Im Untergrund unterstützte Haas die Aktivitäten der Gruppe 7 weiter und verhalf verfolgten Luxemburgern und französischen Kriegsgefangenen zur Flucht ins Ausland oder in geeignete Verstecke. Im Bunker „Eisekaul“ war er zudem, als einer von drei anerkannten Anführern, für die Sicherheit der restlichen 24 Bunkerbewohner mitverantwortlich. In der Zwischenzeit versuchte die Gestapo mehrfach die hochschwangere Marguerite Haas einzuschüchtern. Sie wurde verhört, bedroht und durch Fußtritte misshandelt. Den Aufenthaltsort ihres Mannes gab sie jedoch nicht preis. In den folgenden Monaten sollten Verhaftungen und Umsiedlungen die Reihen der Schifflinger LRL zunehmend dezimieren. Jedoch erst die Festnahme von Camille Kayser hätte, Haas zufolge, der Gruppe ein Ende gesetzt. Ende Mai 1944 war Kayser bei Micheville aufgegriffen und in die Außendienststelle der Gestapo in Esch gebracht worden. Dort wurde er über acht Tage verhört und gefoltert, bevor man ihn über das KZ Hinzert u. a. in ein Arbeitskommando des Lagers nach Mainz-Finthen deportierte. Im Frühjahr 1945 wurde Kayser befreit. Trotz intensiver Fahndung blieb Jean-Pierre Haas unentdeckt und erlebte die Befreiung des Landes bei Aloyse Wilhelm, einem LRL-Mitglied in Schifflingen: „Als ich [die Amerikaner] sah, da glaubte ich wieder an die Freiheit, an das große Glück.“
Quellen- und Literaturauswahl: MNRDH: JP. Haas, Bericht, Schifflingen, 16.12.1970; Pierre Haas, Bericht, Schifflingen, um 1972; Listen erstellt von JP. Haas, undatiert; ANLux: ALWERAJE, FD-235-15; ALWERAJE, FD-235-25; CDRR, Akte JP Haas; CDRR, CNR-103; Arolsen: 6.3.3.5/105621980; 82202121; 82202122; 449287; Literatur: Limpach/Kayser, Wir glauben an die Demokratie; Engel/Hohengarten, Hinzert.
Datenbank der Widerstandskämpfer*innen
Das „Musée national de la Résistance et des droits humains“ baut derzeit eine Datenbank der Widerstandskämpfer*innen des Zweiten Weltkrieges auf. Es handelt sich um ein laufendes, partizipatives Projekt. Wenn Sie Informationen in Bezug auf eine Biografie haben oder eine Biografie selbst hinzufügen möchten, kontaktieren Sie das Museum über: biographies@mnr.lu.

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