Lateinamerika / Wie Autokraten und Drogenkartelle voneinander profitieren
Die organisierte Kriminalität hält die meisten lateinamerikanischen Länder im Würgegriff. Die Regierungen setzen verstärkt auf ein hartes Durchgreifen und repressive Maßnahmen, ohne die eigentlichen Ursachen zu bekämpfen. Zugleich sinkt das Vertrauen in die Demokratie. Eine Analyse anhand der Beispiele Ecuador und El Salvador.
Marta ist entsetzt. Noch eine Woche nach der Rückkehr aus ihrer Heimat wirkt sie aufgebracht. „Dabei ist es vielmehr die Enttäuschung“, sagt die in Luxemburg lebende Ecuadorianerin, die nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden will. „Ich habe schon viel davon gehört, wie sich die Lage verschlechtert hat. Doch dass es so schlimm sein würde, hätte ich nicht gedacht.“
Armut und soziale Konflikte, die sich in Protesten gegen die eine oder andere Regierung niederschlugen, kannte Marta. Das jüngste Ausmaß an Gewalt und Unsicherheit ist für Ecuador ungewöhnlich. „Das Land geht vor die Hunde“, sagt die Mittvierzigerin. Innerhalb weniger Jahre ereilt Ecuador ein ähnliches Schicksal wie viele andere Länder Lateinamerikas. Es steckt im Würgegriff krimineller Organisationen. Einst relativ friedlich, befindet sich der 18-Millionen-Einwohner-Staat zwischen Anden, Amazonas-Tiefland und Pazifikküste nach den Worten von Präsident Daniel Noboa „im Kriegszustand“.
Das seit November amtierende Staatsoberhaupt hat dem Militär weitreichende Befugnisse im Kampf gegen 22 kriminelle Banden gegeben. Noboa nennt sie „Terroristen“. Ihr Terror erinnert an den der kolumbianischen Drogenkartelle vor allem in den 80er und 90er Jahren. Autoexplosionen, Gefängnisrevolten, Geiselnahmen – der Tiefpunkt war erreicht, als eine Gruppe bewaffneter Männer einen Fernsehsender während einer Live-Sendung überfiel. Zu den Attacken kam es, nachdem der Drogenboss José Adolfo Macías „Fito“ Villamar, Anführer des Kartells Los Choneros, geflohen war.
Szenenwechsel: Die belgische Polizei stürmt ein Lagerhaus im Antwerpener Stadtteil Wilrijk. Die Beamten stellen rund sechs Tonnen Kokain sicher. Der Marktwert der Drogen liegt bei mehr als 200 Millionen Euro. Etwa ein Dutzend Personen werden festgenommen. Ein selbst für Antwerpen außergewöhnlicher Fang. Die flämische Hafenstadt gilt als der größte europäische Umschlagplatz für Kokain. Der Stoff wird häufig zusammen mit Bananenlieferungen aus Südamerika nach Europa transportiert. Und landet auch in Luxemburg.
Über Westafrika nach Europa
Die Drogenschmuggler schlagen häufig die Route über Westafrika ein. Im vergangenen Jahr wurden in Antwerpen 116 Tonnen Kokain sichergestellt. Die Fahnder wissen jedoch: Auf einen spektakulären Fund kommen viele Tonnen Kokain, die unbemerkt bleiben. Nach Schätzungen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) beträgt das Verhältnis eins zu neun. Sowohl Personal als auch Ausrüstung reichen nicht aus, um alle Container zu untersuchen.
In der riesigen Hafenanlage gleicht die Arbeit der Drogenfahnder einer Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Erschwerend kommen die Korruption und die zunehmende Gewalt auch in der Stadt an der Schelde hinzu. In Belgien wird das Rauschgiftgeschäft zurzeit von albanischen Clans dominiert. Der Handel wird zwischen ihnen, der vornehmlich aus Marokkanern, Niederländern und Personen von den Niederländischen Antillen bestehenden „Mocro“-Mafia sowie der serbischen und der italienischen ’Ndrangheta aufgeteilt.
Anfang Januar fiel dem Antwerpener Drogenkrieg ein elfjähriges Mädchen zum Opfer. Es war in die Schusslinie geraten. Ob Sprengstoffanschläge oder Schießereien – die Frequenz der gewaltsamen Verbrechen hat zugenommen. Dass die Menge des beschlagnahmten Kokains jedes Jahr größer geworden ist, liegt nicht nur an der gestiegenen Nachfrage, sondern auch daran, dass die Produktion des Stoffs in den drei wichtigsten Anbauländern Kolumbien, Peru und Bolivien zugenommen hat. Auch in Luxemburg und Deutschland kommt immer mehr Kokain aus Südamerika an. Nach Angaben des deutschen Bundeskriminalamts hat sich die Menge des sichergestellten Rauschgifts von 2018 bis 2023 versiebenfacht.
Laut einer europäischen Studie hat sich der Kokainkonsum seit 2015 deutlich erhöht, vor allem in belgischen, niederländischen und spanischen Städten, aber auch etwa in Berlin, wo er sich verdreifacht hat. Ein großer Teil des weißen Pulvers dürfte in Bananencontainern per Schiff aus Ecuador nach Europa gekommen sein, weiß der deutsche Journalist und Lateinamerika-Kenner Ferdinand Muggenthaler. Kein anderes Land exportiere mehr Bananen. In den vergangenen Jahren ist Ecuador zugleich zum größten Kokainexporteur nach Europa aufgestiegen. Andere Verstecke für den Schmuggel sind unter anderem Kleidung, Fruchtsaft oder Wolle.
Einige Banden lösen den Stoff auch in Plastik auf. In eigens dafür eingerichteten Laboren in der belgischen oder niederländischen Provinz verwandeln sogenannte Drogenköche das Kokain wieder zurück. Wie gut vernetzt die Drogendealer heute sind, zeigt ein Blick in den 2023 publizierten Bericht des internationalen Journalisten-Netzwerks „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP), den „Narco Files“. Die Drogen werden sowohl in Flugzeugen als auch in Schiffen transportiert. Nach wie vor gibt es auch noch sogenannte Bodypacker: Menschen, die Drogen in ihrem Körper transportieren. Übrigens ist Luxemburg in den meisten Fällen nicht nur ein Bestimmungsland für die Drogen, sondern ein Transitland, wie Recherchen des Online-Magazins reporter.lu ergaben.
Tötungsrate versechsfacht
Während in Europa der Kokain-Konsum laut EMCDDA in den vergangenen Jahren gestiegen ist (laut Abwasseranalysen wurden am meisten Rückstände an Drogen in Antwerpen gemessen, gefolgt von Tarragona und Amsterdam), unter Berücksichtigung erheblicher Schwankungen zwischen den einzelnen Ländern, und die Drogenkartelle im Kokainhandel Gewinnspannen von bis zu tausend Prozent erzielen, hat sich in Ecuador die „Tötungsrate“ seit 2015 versechsfacht und 2023 mit bis zu 40 gewaltsamen Todesfällen pro 100.000 Einwohner einen historischen Höchststand erreicht. Mit der gestiegenen Gewalt ab 2020 wuchs die Sehnsucht nach einer Politik der „harten Hand“.
„Eine autoritäre Haltung, die in ganz Lateinamerika an Boden gewinnt“, konstatiert Muggenthaler in seiner Analyse „Ecuador und die Autokratie der Kartelle“. So trat Präsident Noboa, mit 36 Jahren der jüngste Staatschef in der ecuadorianischen Geschichte, im November 2023 mit dem Versprechen an, härter gegen die Kartelle vorzugehen. Als eine seiner ersten Amtshandlungen ordnete er an, den Bandenchef Fito Villamar in ein Hochsicherheitsgefängnis zu verlegen. Dieser hatte seine Choneros bisher aus dem Gefängnis heraus dirigiert. Als etwa tausend Polizisten und Soldaten ihn Anfang Januar aus seiner Luxuszelle holen wollten, war er verschwunden. Auch der inhaftierte Boss der konkurrierenden Lobos „entließ“ sich im Januar selbst aus der Haft.
Noboa verhängte den Ausnahmezustand, die Armee übernahm die Kontrolle der Gefängnisse. Die eigentlich verfeindeten Banden griffen daraufhin Polizeistationen an, entführten und exekutierten Polizisten, zündeten Autobomben und nahmen Wärter als Geiseln in den Gefängnissen. Vorläufiger Höhepunkt dieser Machtdemonstration war die Geiselnahme im TV-Studio. Als dem Militär mehr Befugnisse eingeräumt wurden, warnten Menschenrechtler vor willkürlichen Verhaftungen und Misshandlungen durch die Soldaten.
Die Regierung meldete tatsächlich Erfolge: Die Zahl der Morde sei nach einem Monat Ausnahmezustand von täglich 36 auf sechs gefallen. Außerdem stellte das Militär große Mengen Kokain sicher: Im Januar fanden Soldaten in einer Schweinefarm 22 Tonnen der Droge im Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar – es war der größte Drogenfund in der Geschichte des Landes. Die Ecuadorianer unterstützen das martialische Vorgehen der Armee. Noboa genießt mittlerweile Zustimmungswerte von 80 Prozent, nachdem er in der ersten Runde der Wahlen mit nur 23,4 Prozent in die Stichwahl am 15. Oktober gegen die linksliberale Kandidatin Luisa González gekommen war.
Kaum eine politische Kraft in Lateinamerika vertritt heute noch andere als rein repressive Ansätze in der KriminalitätsbekämpfungJournalist
Nicht nur der Ruf nach einem harten Durchgreifen gegen Kriminalität wurde immer lauter. Zugleich ist die Zahl derer gestiegen, die sich enttäuscht von der Demokratie abwenden: Mehr und mehr Menschen in Lateinamerika finden eine autoritäre Herrschaft unter bestimmten Umständen besser als die Demokratie oder glauben, dass die Regierungsform nach der im Juli 2023 veröffentlichten Studie „The State of Democracy“ des in Santiago de Chile angesiedelten Latinoberómetro für sie keinen Unterschied mache. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts glauben nur noch 49 Prozent der Menschen an die Demokratie (2010 waren es noch 67 Prozent). 54 Prozent erscheint es egal, ob ihre Regierung autoritär oder demokratisch ist, solange sie die Probleme löst. Damit ist der Anteil der Lateinamerikaner, welche die Demokratie jeder anderen Regierungsform vorziehen, weiter gesunken.
Ein Ausdruck dieses Trends ist die Beliebtheit des autokratischen Präsidenten von El Salvador, Nayib Bukele. Dieser genießt auch außerhalb seines Landes große Popularität, vor allem weil es ihm gelang, die Mordrate extrem zu drücken. Allerdings sitzen mehr als zwei Prozent der männlichen Bevölkerung im Gefängnis – oft ohne Gerichtsurteil. Der Ecuadorianer Noboa orientiert sich an Bukeles Modell. Im Januar präsentierte er Pläne für zwei neue große Gefängnisse, geplant von derselben Firma, die auch die neuen Gefängnisse in El Salvador gebaut hatte.
„Coolster Diktator“
Doch ist es unwahrscheinlich, mit Ausnahmezustand und Masseninhaftierung die Macht der Gangs zu brechen. Der Jurist und Politologe Edgardo Buscaglia, Lehrbeauftragter der New Yorker Columbia University und Mitbegründer der Organisation Save Democracy, sieht Ecuador auf einem gefährlichen Weg. In El Salvador gebe es nur eine vorläufige „Pax Mafiosa“ – einen mafiösen Frieden. Die Strategie Bukeles verfolge lediglich die „kleinen Fische“ und beruhe vermutlich auf einer Art Stillhalteabkommen mit den großen Akteuren der illegalen Märkte, kritisiert der US-Uruguayer.
In Ecuador gab es nach Ferdinand Muggenthalers Worten lange ein ähnliches Arrangement: „Der viele Jahre andauernde relative Frieden beruhte auf den guten Verbindungen der Kartelle zum Staat.“ Aber was führte dann zu der Gewaltexplosion in dem Andenstaat? Die Ursache dürfte nicht zuletzt in der geografischen Lage des Landes zwischen Kolumbien und Peru zu finden sein. Nirgendwo wird mehr Koka angebaut als in den beiden Nachbarländern. Der Exportweg über Ecuador bietet sich an.
Darüber hinaus haben die Sparprogramme der vergangenen ecuadorianischen Regierungen die Polizei und Justiz weiter geschwächt. Die soziale Ungleichheit in Ecuador, die während des Rohstoffbooms etwas gefallen war, stieg wieder an. Alle diese Faktoren verwandelten Ecuador in eine Art Logistikzentrum für den internationalen Drogenhandel. Die Mordrate schoss vor allem deshalb in die Höhe, weil sich die Banden zersplittert hatten und gegenseitig bekämpften.
Den Anfang vom Ende der „Pax Mafiosa“ markierte 2020 die Spaltung der Choneros – der bis dahin vorherrschenden kriminellen Organisation in Ecuador. Während die verbliebenen Choneros vor allem mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell zusammenarbeiten, sind die abgespaltenen Lobos vermutlich mit der Konkurrenz verbündet: dem ebenso aus Mexiko stammenden Kartell Jalisco Nueva Generación. „Ecuador scheint in eine Sackgasse geraten zu sein“, kommentiert der Journalist Sebastán Ortiz die Lage.
Der wachsende Markt für Kokain in Europa ließ Ecuador für die albanische Mafia und die italienische ‘Ndrangheta interessant werden. Anstelle weniger zentral gesteuerter Kartelle trat ein schwer zu durchschauendes Netzwerk, in dem einzelne Akteure immer wieder blutig um einen größeren Anteil am Geschäft kämpfen. Kokainhandel ist nur ein Geschäftsfeld – neben illegalen Schleuserdiensten, Menschenhandel, Schutzgelderpressung, Waffenschmuggel und dem Handel mit geschützten Tier- und Pflanzenarten. Die Kartelle haben ganze Provinzen im Griff und gehen ähnlich „klientelistisch“ vor wie populistische Politiker. Gefängnisse dienen ihnen als Kommandozentralen. Dort rekrutieren sie auch ihre Leute.
„Kaum eine politische Kraft in Lateinamerika vertritt heute noch andere als rein repressive Ansätze in der Kriminalitätsbekämpfung“, stellt Muggenthaler fest. „Die traditionelle linke Antwort – Sozialpolitik und Legalisierung des Drogenkonsums – verspricht keine schnellen Erfolge und ist unpopulär.“ Dabei hatte der kolumbianische Präsident Gustavo Petro noch vor zwei Jahren in einer Rede vor den Vereinten Nationen zu Recht festgestellt, der „Krieg gegen die Drogen“ sei gescheitert, und forderte ein Umdenken. Es sei falsch, von der „Drogenmafia“ zu sprechen, kritisiert Edgardo Buscaglia. Er weist darauf hin, dass die Kartelle in sehr vielen Bereichen agieren: „Sie schmuggeln Waffen, bringen Migranten illegal über die Grenzen, organisieren die Prostitution, handeln mit Raubkopien und Organen. Sie sind in die Internetkriminalität involviert und für unzählige Entführungen und Erpressungen verantwortlich.“
Muggenthaler sieht eine Chance, die Macht der Kartelle einzudämmen, „wenn alle Staaten entlang der Lieferkette an einem Strang zögen“. Ein Land wie Ecuador allein könne der organisierten Kriminalität wenig entgegensetzen. Nötig wäre ein breites, international unterstütztes Maßnahmenpaket, die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols mit rechtsstaatlichen Mitteln und Achtung der Menschenrechte sowie eine Politik, die vor allem den jungen Menschen andere Perspektiven als eine kriminelle Karriere in den sogenannten Maras bietet. Hinzu komme der Kampf gegen Geldwäsche und Korruption.
Mediale Aktionen wie Großrazzien und die Verhaftung von Drogenbossen ändern nichts an der Infrastruktur der Kartelle. Mafia und Autokratie seien wesensverwandt, so Muggenthaler. So etwa in El Salvador. Zwar bemängelte die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bei der Präsidentschaftswahl in dem mittelamerikanischen Land im Februar zahlreiche Unregelmäßigkeiten – die Wiederwahl von Amtsinhaber Nayib Bukele anzuzweifeln, kam den Beobachtern nicht in den Sinn. Das von ihm kontrollierte Wahlgericht bescheinigte ihm eine Zustimmungsrate von 84,6 Prozent. Der frühere Geschäftsmann, PR-Experte und Leiter einer Werbeagentur sowie Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador stieg in fünf Jahren zum Alleinherrscher auf. Der 42-Jährige nennt sich selbst den „coolsten Diktator der Welt“. Er kontrolliert die Justiz und aufgrund des von ihm geänderten Wahlsystems 54 Prozent von 60 Abgeordneten. Das sind 90 Prozent der Sitze, obwohl seine Partei Nuevas Ideas nur 71 Prozent der Stimmen bekam.
In Lateinamerika wird Bukele von vielen nicht als Diktator gesehen, sondern eher als Held und Vorbild, so auch von Unternehmersprössling Daniel Noboa. Leute wie er betrachten Maßnahmen des Präsidenten von El Salvador, wie den Ausnahmezustand oder den Bau von Hochsicherheitsgefängnissen, als Lösung eines der dringendsten Probleme des Kontinents, der Gewaltkriminalität. In der Tat ging die Zahl der Tötungsdelikte im Jahr 2022 nach offiziellen Statistiken um 56,8 Prozent auf 7,8 Morde pro 100.000 Einwohner zurück. El Salvador, 2015 das gefährlichste Land des Kontinents, wurde zu einem der sichersten Länder der Region.
Bukeles Methoden sind jedoch mehr als fragwürdig. Dazu gehören der seit Jahren immer wieder grundlos verlängerte Ausnahmezustand, mit dem die Grundgesetze ausgesetzt werden, und der Aufbau eines Polizeistaats, in dem, proportional zur Bevölkerung, weltweit am meisten Menschen hinter Gittern sitzen und politische Rivalen, kritische Journalisten und Umweltschützer juristisch verfolgt werden. Während des Ausnahmezustands wurden mehr als 75.000 Menschen eingesperrt, laut Schätzungen von Menschenrechtlern sind rund 20.000 unschuldig Verhaftete. In den Gefängnissen komme es nachweislich zu Folterungen und Tötungen. Derweil sind Vetternwirtschaft, Korruption und Intransparenz in dem Land nach wie vor weit verbreitet.
Unterdessen richten Bukeles PR-Teams den Fokus auf die Erfolge des Präsidenten in der Sicherheitspolitik. Sie setzen auf Ablenkungsmanöver, indem sie auf die Einführung des Bitcoin als Landeswährung hinweisen. Dabei verspekulierte die Regierung damit vor allem Steuergelder – ausgerechnet in einem Land, in dem mehr als zwei Drittel der 6,5 Millionen Einwohner in prekären Verhältnissen leben. Bukele schürt zugleich Angst. Sollte er nicht an der Macht bleiben, warnt er, würden seine Nachfolger die Kriminellen wieder freilassen. Dass die extreme Armut in seiner Amtszeit weiter anstieg, dass Infrastruktur, Gesundheits- und Bildungssystem am Boden liegen und seine Partei mit einer Neuaufteilung der Wahlkreise den Wahlausgang manipulierte, erscheint dabei nebensächlich.
Autoritäre Tendenzen
Trotz alledem hat seit der Demokratisierung der Region in den 1980er und 1990er Jahren kaum ein autoritärer Herrscher in Lateinamerika so viel Rückhalt wie Bukele. Dabei macht er keinen Hehl aus seiner Verachtung für demokratische Institutionen. Sein Vizepräsident Felix Ulloa verkündete in einem Interview mit der New York Times, El Salvador werde die Demokratie eliminieren und durch Besseres ersetzen. Bukele schickte im Jahr 2020 sogar die Armee ins Parlament, als dieses einen von ihm beantragten Kredit nicht schnell genug freigab. Bukeles Modell ist eine bislang erfolgreiche Neuauflage der Politik der harten Hand, die übliche Antwort der Eliten auf das Problem der Gewalt, mit dem die meisten lateinamerikanischen Länder zu kämpfen haben. Die eigentlichen Probleme bleiben bestehen. Dazu gehören mangelnde Rechtsstaatlichkeit, strukturelle Armut und Chancenungleichheit.
Ähnlich ist es in den großen Ländern der Region. Zwar wurde etwa Mexikos linksgerichteter Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) ein Liebling von Investoren, aber er konnte nicht verhindern, dass in seiner Amtszeit so viele Menschen ermordet wurden wie unter kaum einem seiner Vorgänger. Zurzeit bekriegen sich das Sinaloa-Kartell und das Kartell Jalisco Nueva Generación um die Routen für den Drogenschmuggel und für die Verbindungswege, über die Migranten nach Norden geschleust werden. AMLOs Nachfolgerin Claudia Sheinbaum steht vor einer schwer zu lösenden Aufgabe.
Mexiko ist das geworden, was Kolumbien in den 80ern und 90ern wurde: ein Land, wo der Staat keine Präsenz mehr zeigt und das organisierte Verbrechen die Macht übernimmt und die Kartelle ihren Geschäften nachgehen. Wie etwa auch in Brasilien, wo aus dem „Primeiro Comando da Capital“ (PCC), einst in einem Gefängnis des Bundesstaates São Paulo entstanden, ein multinationales Kartell wurde. Das PCC hat längst die Politik und die Justiz infiltriert. Und in Zusammenarbeit mit europäischen und afrikanischen Mafiaorganisationen die Lieferungen des Stoffs von Südamerika via Westafrika nach Europa.
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