Verfassungsexperte / Wie das Parlament im „Fall Dieschbourg“ in die Rolle der Staatsanwaltschaft schlüpfen muss
Der Rücktritt der Grünen Umweltministerin Carole Dieschbourg am letzten Freitag hat eine verfassungsrechtlich spannende Situation geschaffen. Es stellt sich nun die Frage, ob die Ex-Ministerin so behandelt werden muss wie eine Ministerin oder nicht. Ein Blick nach Belgien und ein Blick zurück in die Luxemburger Geschichte helfen, die Situation einzuordnen. Der ehemalige Abgeordnete und Verfassungsexperte Alex Bodry meint im Gespräch mit dem Tageblatt, der Ball läge jetzt beim Parlament.
Was war passiert? Am letzten Donnerstag hatte die Staatsanwaltschaft die Ergebnisse ihrer vorläufigen Ermittlungen in der Sache „Gaardenhaischen“ an den Präsidenten der Abgeordnetenkammer weitergeleitet und bekannt gegeben: „Gemäß Artikel 82 und 116 der Verfassung hat nur die Abgeordnetenkammer das Ermessen, ein Mitglied der Regierung anzuklagen.“
Was bedeutet das? Unter gewöhnlichen Umständen erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen Beschuldigten. In diesem Fall war die Angeklagte jedoch eine Ministerin. Der frühere Abgeordnete und Verfassungsexperte Alex Bodry erklärt, dass in diesem Fall nicht die Staatsanwaltschaft Anklage erheben kann, sondern das Parlament. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Vorermittlung abgeschlossen und die Unterlagen an das Parlament weitergegeben. Hier hört der Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft auf. Der Ball liegt bei den Abgeordneten, wie Bodry im Gespräch mit dem Tageblatt erläutert.
„Die Staatsanwaltschaft drückt keine Meinung darüber aus, dass die Sache vor Gericht soll. Das ist nicht ihre Aufgabe. Sie reicht nur die Ergebnisse ihrer Vorermittlung weiter“, erklärt Bodry. Er sieht aber ein großes Problem – einen „Schönheitsfehler“. Die Staatsanwaltschaft hat die Ministerin Carole Dieschbourg nicht zu den Vorwürfen befragt. Offenbar hat der „Parquet“ die Verfassungstexte so ausgelegt, dass er Dieschbourg nicht befragen darf. Für eine Anklageerhebung müssten aber normalerweise beide Seiten gehört worden sein. „In meinen Augen ist diese Akte bislang nicht komplett – und damit habe ich Probleme“, sagt Bodry. Die Frage, die sich dadurch ergibt, sei nämlich, ob das Parlament sich so überhaupt ein komplettes Bild machen kann, um eine Person vor Gericht zu bringen.
Wie nun vorgegangen wird, sei nicht ganz klar, meint Bodry. Im Reglement des Parlaments finden sich laut Bodry keine Hinweise darauf, wie vorgegangen werden muss, um über die Anklage eines Regierungsmitgliedes zu entscheiden. So ist z. B. nicht klar, ob eine neue Kommission gegründet wird, um sich damit zu befassen, oder ob ein bestehendes Organ des Parlamentes das Dossier unter die Lupe nimmt.
Sollte das Parlament auch zur Einschätzung kommen, dass das Dossier unvollständig ist, stellt sich wiederum eine andere Frage. Gibt das Parlament das Dossier zurück an die Staatsanwaltschaft, hört es Dieschbourg selber, oder entscheidet es sich gegen eine Anklage? Bodry erinnert, dass das Parlament der Justiz (aufgrund der Gewaltentrennung) keine Order geben kann. Im besten Fall könnte das Parlament der Staatsanwaltschaft also signalisieren, dass es mit einer Befragung von Dieschbourg einverstanden ist.
Ex-Ministerin
Durch ihren Rücktritt am Freitag hat Carole Dieschbourg eine besondere Situation geschaffen. Es stellt sich nämlich nun die Frage, ob es noch immer die Aufgabe des Parlaments ist, Anklage zu erheben. „Diese Frage hat sich bereits 2012 im Fall Jeannot Krecké gestellt. Dieser war schon seit einigen Monaten nicht mehr Minister, als ein Dossier an die Chamber ging“, erinnert Bodry. Damals habe das luxemburgische Parlament den Blick über die Grenze geworfen – nach Belgien. Dort waren die Gerichte der Meinung, dass ein Ex-Minister auch nur vom Parlament angeklagt werden kann, wenn das, was ihm zur Last gelegt wird, in seine Amtszeit fällt. Der Vergleich mit Belgien ist deshalb möglich, weil Belgien bis vor kurzem eine Verfassung hatte, die der luxemburgischen sehr ähnlich ist. „Deshalb hat das Parlament damals in einer Resolution, die mit 55 Stimmen angenommen wurde, festgehalten, dass diese Prozedur sich auch auf frühere Minister bezieht.“
Bodry meint: „Es wäre seltsam, wenn man heute zu einer anderen Einschätzung der Lage gelangen würde.“ Und ergänzt: „Aber als Jurist kann man durchaus auch Argumente finden, die gegen die belgische Interpretation der Texte sprechen.“ Da der Verfassungstext explizit von Ministern spricht, könne man durchaus argumentieren, er beziehe sich nicht auf ehemalige Minister – so seien die Texte bislang aber nicht interpretiert worden.
Würden die Abgeordneten zu einem positiven Ergebnis kommen, was würde das heißen? Eine Anklage durch das Parlament bedeutet in keiner Weise, dass Carole Dieschbourg schuldig ist, bestätigt Bodry. „Wenn das Parlament aber die Rolle der Staatsanwaltschaft einnimmt, dann muss es auch so vorgehen, wie die Staatsanwaltschaft es tun würde. Dann muss es sich ansehen, ob es genug Indizien gibt, die zu einer Verurteilung führen könnten. Wenn die Beweislage schwach ist, oder es sich nur um Spekulationen handelt, muss das Parlament zu dem Schluss kommen, dass es die Akte nicht an ein Strafgericht weitergibt“, erklärt Verfassungsexperte Bodry. Umgekehrt habe die Staatsanwaltschaft das Recht, eine Sache nicht vor Gericht zu bringen, selbst wenn sie an eine Schuld glaubt. Wenn das Parlament die Rolle der Staatsanwaltschaft übernimmt, müsse es dieses Recht auch haben, so Bodry. (Stichwort: „principe de l’opportunité de poursuite“)
Der Tatsache, dass Dieschbourgs Partei – die Grünen – Teil der Mehrheitskoalition ist, misst Bodry keine herausragende Bedeutung zu. Er erinnert daran, dass in Kréckes Fall 55 der 60 Abgeordneten gegen eine Anklage votiert hatten, also weit mehr als die damalige Mehrheitskoalition. Auch die damals oppositionellen Grünen und DP hatten sich gegen eine Anklage ausgesprochen.
Im Übrigen: Die Akte, die an das Parlament ging, wird die Öffentlichkeit nicht sehen, erklärt Bodry. Denn für das Parlament gilt nun das gleiche Ermittlungsgeheimnis wie es für die Staatsanwaltschaft gelten würde.
Vor den Abgeordneten liegt jetzt eine Menge Arbeit. Am Montagabend berieten sich die Parlamentarier bis in den späten Abend hinein, und auch danach blieben noch viele Fragen offen.
Die Grünen haben sich einen Bärendienst erwiesen mit dem Rücktritt der Ministerin.
Weit und breit ist kein Ersatz zu finden, die Partei ist nur noch mit sich selbst beschäftigt, es hat sich fertig gewirkt.
Jeder eventueller Ersatz zieht andere Personal Probleme nach sich.
Und die Affären, Gartenhäuschen, Superdreckskëscht usw., werden die angeschlagene Partei bis zum letzten Tag des Wahlkampfes begleiten.