Statec-Experte / Wie der Mechanismus hinter dem Index funktioniert – und es mit der nächsten Tranche weitergehen könnte
Laut einer ersten Prognose der Statistikbehörde Statec ist die Inflation zumindest im Mai nicht so sehr gestiegen, dass bereits jetzt eine weitere Indextranche fällig ist. Alles hängt nun davon ab, wie sich die Preise im Juni entwickeln. Wie groß die Chance ist, dass der Index danach fällt, erklärt Statec-Experte Marc Ferring – und auch, wie das Rollen dieser Tranche formell mit dem Tripartite-Gesetz „verhindert“ werden kann.
Das Tripartite-Gesetz ist auf dem Instanzenweg. Die Chancen stehen bis jetzt gut, dass es bis Ende Juni tatsächlich in der Chamber verabschiedet werden kann. Damit die Verhinderung der Auszahlung der möglichen Tranche im Juli aber legal ist, sollte das Gesetz bis spätestens Anfang Juli im Amtsblatt veröffentlicht werden. Ansonsten werden die Mühlen der berühmten „automatischen Lohnindexierung“ wohl – zur Freude nicht weniger – unerbittlich weitermahlen.
Dass das Gesetz erst Anfang Juni in Kraft tritt, ist knapp bemessen – könnte aber ausreichen. Bereits am Montag hatte Statec gegenüber dem Tageblatt mitgeteilt, dass es „äußerst unwahrscheinlich“ sei, dass bereits im Mai eine Tranche gefallen sei. Tatsächlich belief sich die Inflation im Jahresvergleich im Mai auf 6,8 Prozent, wie aus einer provisorischen Statec-Berechnung hervorgeht. Im April lag dieser Wert bei 6,96 Prozent. Wohlgemerkt: Es handelt sich um die Jahresinflation: „Bei der Jahresinflation spielen alle Preise eine Rolle, die sich zwischen Mai 2021 und Mai 2022 verändert haben“, sagt Marc Ferring, der bei Statec für die Berechnung der Inflation zuständig ist. Aber: „Mit dieser Information können wir jetzt schon sagen, dass die kumulierte Inflation seit der letzten Indextranche die 2,5 Prozent nicht überschritten hat.“
2,5 Prozent
2,5 Prozent – das ist die Schlüsselzahl für das System der automatischen Lohnindexierung in Luxemburg. Grob gesagt funktioniert diese so: Steigt die Inflation seit der letzten ausgezahlten Indextranche um 2,5 Prozent, bekommt jeder 2,5 Prozent mehr Gehalt.
Zumindest im Mai wurde dieser Grenzwert definitiv nicht überschritten, die Gehälter werden im Juni also noch nicht indexiert. Das sei sowieso „von Anfang“ an sehr unwahrscheinlich gewesen, erklärt Ferring. „Ich weiß nicht genau, welchen Wert wir hätten erreichen müssen, damit wir schon im Mai die 2,5 Prozent überschritten hätten – aber er ist höher als 6,8, ich glaube sogar zweistellig.“
Tatsächlich ist die Inflation zwar immer noch hoch, aber im Mai sogar sehr wahrscheinlich weniger stark gestiegen als noch im April. Politiker hatten gegenüber dem Tageblatt zuvor die Möglichkeit eingeräumt, dass der Index bereits im Mai hätte fallen können. Dann hätte die Regierung ein Problem. Denn ohne Gesetzesänderung hätte eine Lohnindexierung jetzt wohl nicht verhindert werden können.
Marc Ferring erklärt den formalen Weg, wie Statec den Index „vermeldet“: Nachdem die Verbraucherpreise über einen Monat gesammelt wurden, werden sie verrechnet und mit dem Basiswert von 2015 verglichen. Das heißt, dass der Durchschnittsindex für das Jahr 2015 „100“ war. Im April 2022 erreichten die Preise im Vergleich dazu den Wert 115,72. Das bedeutet, dass der Verbraucherpreisindex seit 2015 um 15,72 Prozent gestiegen ist. Warum 2015 als Basisjahr? „Das Basisjahr wird alle zehn Jahre aktualisiert“, erklärt Marc Ferring. Damit soll vermieden werden, dass der Index sehr hohe Werte hat. 2026 wird das Basisjahr wieder verändert.
Dieser Wert wird mit dem festgelegten Faktor 8,23566 multipliziert. Das Ergebnis ist der berühmte „Indice base 100 = 1.1.1948“, der im April dieses Jahres bei 953,03 lag. Der Faktor 8,23566 kann durch politische Entscheidungen verändert werden – aktuell wird die CO2-Steuer so beispielsweise für den Index neutralisiert.
Für den Indexmechanismus wird der Sechsmonatsschnitt des „Indice base 100 = 1.1.1948“ berücksichtigt. Dieser Wert lag im April bei 930,37. Der „Indice base 100 = 1.1.1948“ und sein Sechsmonatsschnitt sind also eher technischer als historischer Werte – aber das Zünglein an der Waage. Denn: Steigt der Sechsmonatsschnitt des „Indice base 100 = 1.1.1948“ um 2,5 Prozent seit der letzten Indextranche, läuten die Glocken: Der Index fällt.
Die Verkündung dieser Nachricht obliegt Statec. Sie erfolgt nach der Zusammenkunft der sogenannten „Indexkommission“, einem Gremium aus Abgesandten von Regierung, Gewerkschaften, Kammern, Zentralbank und Experten. Die Kommission hat die Aufgabe, Statec bei der Erstellung der Verbraucherpreisindizes zu „beraten und unterstützen“. Sie tritt jeden Monat vor dem Inflationsbericht zusammen – auch wenn der Index nicht „fällt“. Nach der Sitzung der Indexkommission veröffentlicht Statec eine Pressemitteilung mit den Inflationsdaten.
Egal, ob eine Tranche ausgezahlt werden muss oder nicht: Als nächster Schritt muss der neue Wert des „Indice base 100 = 1.1.1948“ im Amtsblatt veröffentlicht werden. Dazu sendet Statec eine entsprechende Mitteilung ans Wirtschaftsministerium, die die Meldung dann im „Journal officiel“ veröffentlicht. In dieser Meldung steht zudem der Wert des Sechsmonatsschnitts. Muss eine Tranche ausgezahlt werden, folgt ein weiterer Absatz, der den überschrittenen Schwellenwert sowie die neue „Cote d’application“ benennt. Diese „Cote d’application“ ist der Faktor, mit dem die Gehälter berechnet werden und die auf dem Gehaltszettel steht. Sie wächst bei jeder Indextranche um 2,5 Prozent. Seit der letzten Indexierung im April liegt sie bei 877,01 Punkten, davor lag sie bei 855,62. Wichtig: „Die neue ‚Cote d’application’ ist dann in Kraft, wenn sie im Memorial veröffentlicht wird“, erklärt Ferring. Also nicht beispielsweise erst am Monatsende, wenn die meisten Gehälter ausgezahlt werden.
Die Chamber muss das Tripartite-Gesetz über die Verhinderung der kommenden Indextranche also veröffentlichen, bevor diese im Amtsblatt veröffentlicht wird. Marc Ferring geht davon aus, dass beim Aufschub der Tranche im Juli oder August der letzte Absatz über die Auslösung einer Indextranche einfach nicht im entsprechenden Blatt des „Memorial“ eingetragen wird. „Wenn das Gesetz in Kraft tritt, dann ist der automatische Mechanismus ausgehebelt und es wird keine ‚Cote d’application’ veröffentlicht“, sagt er. So sei das in den Jahren 2012 und 2013 gehandhabt worden, als ebenfalls ein Gesetz verabschiedet wurde, das Indextranchen verschob. „Die Indextranche wurden vom Frühjahr 2012 in den Oktober 2012 verschoben und auch 2013 wurde der Schwellenwert eigentlich schon früher überschritten, aber erst im Oktober wurde die Quote adaptiert“, sagt Ferring.
„Cote d’application“
Vor dem Hintergrund der aktuellen Verschiebung, die im April 2023 ausgezahlt werden soll, würde der entsprechende Absatz zur Anhebung der „Cote d’application“ dann eben erst im April 2023 veröffentlicht. Und falls bis zum nächsten Stichdatum im April ein Jahr später – also 2024 – mehrere weitere Tranchen fallen würden? „Wenn es zwischenzeitig zwei weitere Tranchen geben sollte, würde ich davon ausgehen, dass da einfach ebenfalls ein Abschnitt mit der ‚Cote d’application’ steht – aber mit einer Zahl, die fünf anstatt 2,5 Prozent höher ist“, sagt Ferring.
Bis jetzt ist jedoch weder klar, ob die Inflation im Juni noch um August so sehr steigt, dass überhaupt in diesen Monaten eine Tranche ausgelöst wird. Der „Indice base 100 = 1.1.1948“ muss dafür im Sechsmonatsschnitt den Wert von 941,12 überschreiten – also 2,5 Prozent mehr als die 918,17 Punkte, deren Überscheiten die Tranche im April dieses Jahres abgelöst hat. „Im April lagen wir bei 930,37“, sagt Ferring. Demnach fehlen bis zur nächsten Tranche noch rund elf Punkte. „Bis 941,12 ist noch ein Stück. Daran sieht man auch, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Tranche bereits im Mai ausgelöst wurde.“
In den vergangenen Monaten, als die Inflation stark anzog, sei der Sechsmonatsschnitt dennoch nur um fünf, sechs, oder maximal sieben Punkte gewachsen. „Elf Punkte, das wäre etwas unwahrscheinlich gewesen“, sagt Ferrring. „Jetzt müssen wir schauen, ob das im Juni oder doch eher im Juli passiert.“ Auch Entscheidungen der Politik würden sich jetzt auf die Inflation auswirken. „Die Regierung hat entschieden, die Netzkosten für die Gasrechnungen zu übernehmen – das bringt einen stärkeren Rückgang dieser Kategorie im Verbraucherpreis.“ Würde die Grenze erst im Juli überschritten, dann wäre die nächste Tranche im August fällig – wie bei den Tripartite-Verhandlungen Ende März erwartet.
Eine Prognose will Ferring nicht geben. „Ob Juni oder Juli, das ist schwer vorherzusehen“, sagt er. „Man weiß ja einfach noch nicht, wie die Preise im Juni steigen werden.“
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