Editorial / Wie der Ukraine-Krieg zur Gefahr für uns wird
„Die meisten Kriege – und höchstwahrscheinlich auch dieser Krieg – enden irgendwann am Verhandlungstisch.“ Wer hat es gesagt: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg oder Rotkreuzler Peter Maurer?
Klingt humanitär, stammt aber von der Spitze des transatlantischen Bündnisses. Das Interessante: Stoltenbergs Statement ist stellenweise deckungsgleich mit der Position des Präsidenten des „Internationalen Komitees vom Roten Kreuz“ (IKRK), Peter Maurer. Während die NATO präzisiert, dass das, was am Verhandlungstisch passiere, sehr eng mit dem Kriegsgeschehen vor Ort verbunden sei, plädiert das IKRK prinzipiell für Waffenstillstände: Dadurch seien die Verhandlungsvoraussetzungen besser und der Schutz der Zivilbevölkerung gewährleistet. Wann allerdings der richtige Zeitpunkt für diese Verhandlungen ist, wollen weder die NATO noch das IKRK direkt kommentieren. Aus humanitärer Sicht gebe es keinen „legitimen oder illegitimen Zeitpunkt der Friedensstiftung“, so Maurer im Tageblatt-Interview. Für die Alliierten der Ukraine sieht es jedoch leicht anders aus. Einerseits bestehen die geopolitischen Interessen, den faschistischen Angriffskrieg Russlands deutlich und bis zum letzten Soldaten auszufechten, andererseits sind weltweit die ökonomischen Folgen des Kriegs spürbar – und somit Friedensperspektiven gewünscht. Dennoch bleibt die Frage: Wie will sich die Ukraine verteidigen? Was ist der Plan?
Es lässt aufhorchen, wenn selbst die Amerikaner keine Antworten auf diese Fragen zu haben scheinen. So meldet die New York Times am Mittwochabend: „The U.S. lacks a clear picture of Ukraine’s war strategy, officials say.“ Übersetzt: Man habe kein klares Bild von der ukrainischen Kriegsstrategie. Demnach haben selbst wohlwollende Partner und Beobachter Schwierigkeiten, zu verstehen, wie das überfallene Land sich gegen den Aggressor verteidigen will. Das Tageblatt hat jüngst die ukrainische Vize-Außenministerin Emine Dzhaparova zu genau dieser Problematik befragt: Was hat das Land vor, dessen Bürger abgeschlachtet werden? Was ist die langfristige (Friedens-)Perspektive? So offen und kämpferisch sich Dzhaparova auch gab, so unklar bleibt neben der allgemeinen Zielsetzung – der Eindämmung von Putins hinterhältigem Krieg – die konkrete Strategie. Dzhaparova wiederholte, dass man mithilfe der Alliierten die militärisch-technologische Oberhand gewinnen wolle, um den zahlen- und kriegsgerätmäßig überlegenen Invasoren zu besiegen. Was jedoch passieren soll, falls diese Aufrüstung gelingt, was ein Sieg überhaupt bedeutet, und wie man eine weitere Eskalation des Kriegs verhindern will, wollte die Diplomatin nicht beantworten. Hinsichtlich der Presse ist diese Haltung irgendwo nachvollziehbar. Es bereitet einem jedoch Sorgen, wenn offenbar nicht einmal die US-Geheimdienste genau verstehen, was die Ukraine gerade militärisch und nachrichtendienstlich treibt, um Putins Staatsterrorismus in der Ukraine ein Ende zu setzen.
Moniert wird laut NY Times Folgendes: Es fehle an Informationen zur ukrainischen Kriegsführung, während die USA gleichzeitig wesentlich besser über das russische Militär, geplante Operationen und Erfolge sowie Misserfolge informiert seien. Die ukrainische Vize-Außenministerin machte wiederum klar, wie es zu so etwas kommen kann: „Wenn Sie kämpfen, denken Sie nicht an andere: Sie tun, was Sie tun sollten, aber niemand weiß, wie es enden wird.“ Es geht also ums Überleben. Nur stellt sich die Frage, ob dieses intransparente Vorgehen langfristig zielführend ist, um die territoriale Integrität der Ukraine zu wahren beziehungsweise wiederherzustellen. Wenn selbst die Alliierten der Ukraine das Gefühl haben, die Nation befinde sich in einem gefährlichen Alleingang, kann sich die politische, diplomatische, ökonomische und militärische Hilfe möglicherweise nicht effizient genug entfalten.
Und so geraten das überfallene Land und seine politische Regierung zu Hause, aber auch international unter Druck. Während bereits 4.253 ukrainische Zivilisten kaltblütig ermordet wurden, zwölf Millionen Ukrainer fliehen mussten, stehen die internationalen Märkte und Wirtschaftssysteme zunehmend unter Druck. Ganz zu schweigen von der drohenden Hungersnot, die zu Putins Terrorarsenal gehört und Kiew in eine noch schlimmere Situation bringt. Während diese russische Waffe vor allem Bevölkerungen Afrikas treffen wird und möglicherweise zu Flüchtlingswellen führt, die Europa erneut destabilisieren könnten, ist der Krieg auch im Alltag der Konsumenten angekommen – bis nach Luxemburg.
So lässt die nationale Statistikbehörde Statec in ihren jüngst veröffentlichten Szenarien nur wenig Spielraum für Interpretation: Falls der Ukraine-Krieg andauert, wächst die ökonomische Unsicherheit auch für uns. Einfach formuliert: steigende Preise, unterbrochene Lieferketten und ein (überschaubarer) Einbruch der nationalen Wirtschaftsleistung. Fast pervers: Für die Staatsfinanzen hat dieses Phänomen mit Blick auf die Inflationsentwicklung keine Auswirkungen, weil steigende Preise zu erhöhten Steuereinnahmen führen (via TVA und Steuern auf den Einnahmen der Haushalte). Dennoch warnt auch Statec davor, diese Inflationsentwicklung zu verharmlosen: „Seit etwa 40 Jahren haben wir keine derartige Preissteigerungsrate mehr gesehen.“ Und auch politisch muss der jüngste Kurswechsel der Regierung zu denken geben: Statt auf die bevorstehenden Wahlen zu schielen, sollten konkretere Berechnungen, Prognosen und Umsetzungsvorschläge auf dem nächsten Tripartite-Verhandlungstisch liegen – noch einen Sozialkonflikt brauchen „weder Land nach Leit“.
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Guten Tag Herr Dr. Sabharwal,
Krieg setzt das sechste Gebot außer Kraft. Krieg erzeugt abschlachtungsgierige Menschen. Diese konkupiszente Mentalität hört auch mit dem Ende eines Krieges nicht auf. Deshalb müssen wir, auch und besonders in Luxemburg, über diese Mentalität reden. Die Veranstaltung mit Frau Eva MENASSE im IPW am 16. Juni wird eine Gelegenheit dazu bieten. Ich kann leider nicht da sein.
MfG
Robert Hottua
ëch wonnere mëch, dat ass jo genau dat, wat wichtëg a performant Politiker decidéiert hun, an dësen holpereche Wee agehol hun, woubäi déi ganz Völker do musse mat maan wann Alles d’Baach roofgeet ..
dat war dach scho vun Ufank u gewosst, dat dëse Wee an de Ruin féiere géif ..
a viiewat dann elo de Schwanz bäizéien, deene Räiche geet ët jo dach nët schlecht, ët ass de People den drënner läid
Immer mehr kommt die EU-Unkompetenz und Konzeptlosigkeit
zum Vorschein,jede Balkanerweiterung war und bleibt
unerwünscht.All Kommentare bleiben überflüssig.