Hinter den Kulissen der Chamber / Wie der Wissenschaftsdienst zur Professionalisierung des Parlaments beiträgt
Die „Cellule scientifique“ ist noch eine sehr junge Abteilung des Parlaments. Dennoch machte sie mit einigen Gutachten bereits von sich reden. Ein Besuch bei den Wissenschaftlern, die ein wichtiges Puzzlestück bei der Professionalisierung der Chamber sind.
Sie ist ein Produkt der Pandemie. Zumindest hat Corona ihre Entstehung beschleunigt. Die Rede ist von der „Cellule scientifique“ des Parlaments, die 2021 gegründet wurde. Dass der Wissenschaftsdienst eine junge Abteilung der Chamber ist, zeigt sich bereits an den Räumlichkeiten. Sie befinden sich nicht in einem der drei Gebäude am Krautmarkt, sondern etwas weiter in der rue du Curé. Auch das Parlament hat mit Platzmangel zu kämpfen und so wurde hier eine Wohnung in ein Büro umfunktioniert.
Hinter den Kulissen
Das Parlament besteht nicht allein aus 60 Abgeordneten. Insgesamt arbeiten rund 160 Menschen für die Chamber und das in den unterschiedlichsten Bereichen. In der Serie „Hinter den Kulissen der Chamber“ stellt das Tageblatt verschiedene Abteilungen des Parlaments vor, die meist nicht so in der Öffentlichkeit stehen und dennoch das gute Funktionieren von Luxemburgs Demokratie garantieren.
Bisher erschien in der Serie:
Teil 1: „Das Hinterzimmer: Wie der ,Service Séances plénières‘ die Chamber-Sitzungen vorbereitet“, am 27. August
Teil 2: „Der unsichtbare Dienst am Land: Wie der ,Service logistique‘ die Chamber am Laufen hält“, am 30. August
Teil 3: „In zweiter Reihe und doch vorne dabei: Wie der ,Service international‘ Präsidenten und Abgeordnete begleitet“, am 2. September
„Die Idee, einen Wissenschaftsdienst aufzubauen, gab es bereits länger, aber während der Pandemie wurde noch einmal deutlich, wie wichtig es ist, die Abgeordneten auch wissenschaftlich zu unterstützen“, sagt Fabio Spirinelli. Der Historiker ist einer von acht Wissenschaftlern, die momentan für die „Cellule scientifique“ arbeiten. Der Dienst besteht momentan aus vier Juristen, zwei Naturwissenschaftlern, einem Geografen und einem Historiker. Hinzu kommt noch ein administrativer Mitarbeiter und es wird nach einem Wirtschaftswissenschaftler gesucht.
„Zu Beginn bestand die Abteilung aus drei Mitarbeitern, 2022 kam eine Juristin hinzu und im vergangenen Jahr wurden noch einmal vier Wissenschaftler rekrutiert“, erklärt Marie Marty, eine der vier Juristen der „Cellule scientifique“. Die Abteilung wächst also rasant, was einmal mehr verdeutlicht, wie groß der Bedarf an wissenschaftlicher Expertise ist. „Dieser Dienst hat uns jahrelang gefehlt“, sagt Mars di Bartolomeo. Der LSAP-Abgeordnete und ehemalige Chamber-Präsident bestätigt, dass die Idee eines wissenschaftlichen Dienstes schon jahrelang existiert. „Andere Parlamente haben wissenschaftliche Dienste mit über 100 Experten. Es war unabdingbar, einen ähnlichen Dienst aufzubauen.“ Bis 2021 mussten sich die Abgeordneten vor allem auf staatliche Experten verlassen, die der Regierung unterstehen. „Damit will ich deren Arbeit nicht anzweifeln, aber damit ein Parlament seine Rolle richtig wahrnehmen kann, muss sie auf eigene Experten zurückgreifen können.“
Von Pandemie bis Bettelverbot
Das kann es jetzt seit drei Jahren. In den ersten Monaten waren es vor allem Fragen um die öffentliche Gesundheit, mit denen sich der wissenschaftliche Dienst auseinandersetzen musste, wie Christian Penny, einer der beiden Naturwissenschaftler, erklärt. Auch wenn die Pandemie beendet ist, haben sich die Experten aus der Chamber bis vor kurzem noch mit deren Aufarbeitung beschäftigt. „Wie kamen die politischen Entscheidungen zustande, welchen Impakt hatte die Pandemie?“ Alles Fragen, mit denen sich das Expertenteam laut Penny bis vor kurzem auseinandersetzte.
Einige der wissenschaftlichen Gutachten wurden auch in der Öffentlichkeit breit diskutiert. So zum Beispiel jenes über das Bettelverbot. Hier kamen die Wissenschaftler zum Schluss, dass das Verbot wahrscheinlich verfassungswidrig ist. Wie geht man als Wissenschaftler damit um, wenn man an einem so brandaktuellen und viel diskutierten Thema arbeitet? Steht man in dem Fall besonders unter Druck? „Jeder hat sein persönliches Stresslevel, das er erreichen kann“, sagt Marie Marty und lacht. „Natürlich weiß man bei einigen Themen bereits im Vorfeld, dass sie viel Beachtung finden werden. Andere werden öffentlich nicht so sehr diskutiert, haben im legislativen Prozess dennoch einen großen Impakt“, so Marty.
Unabhängigkeit nicht in Gefahr
Die Juristin hat das Gutachten zum Bettelverbot gemeinsam mit Fabio Spirinelli erstellt. Sehr oft arbeiten mehrere Wissenschaftler an einem Gutachten. Dennoch sei die Arbeit teilweise sehr einsam, so die Wissenschaftler. „Vor allem bei der Recherche. Teilweise verbringen wir unsere ganzen Tage in der Bibliothek“, so Marty. Sobald das Gutachten steht, wird sich aber ausgetauscht. Zudem werden die Gutachten immer gegengelesen. Sei es von einem Arbeitskollegen oder von einem externen Experten. „Auch das ist Teil unseres Jobs. Wir pflegen Kontakte zu Experten im In- und Ausland, da wir nicht immer alle Bereiche abdecken können“, sagt Estelle Mennicken, die ihren Doktor in Geografie gemacht hat.
Es geht uns darum, die Politik und die Wissenschaft zusammenzubringenGeografin
So organisiert die Abteilung jährlich zwei größere Veranstaltungen. Zum einen eine Konferenz zu einem bestimmten Thema, wie zum Beispiel im Mai dieses Jahres über die Herausforderungen der Jugend in Luxemburg. Zum anderen organisiert die „Cellule“ auch ein Treffen zwischen Abgeordneten und Wissenschaftlern. „Es geht uns darum, die Politik und die Wissenschaft zusammenzubringen. Wie kann die Wissenschaft von der Politik profitieren und wie kann die Politik, also der legislative Prozess, von der Wissenschaft profitieren.“ Die Chamber kofinanziert zudem den Lehrstuhl für Parlamentarismusforschung auf der Uni.lu und in dem Zusammenhang übernimmt die „Cellule scientifique“ Koordinierungsarbeiten und unterstützt die Recherchen.
Wenn die Wissenschaft so nah an der Politik ist, läuft sie da nicht Gefahr, ihre Unabhängigkeit, beziehungsweise ihre Neutralität zu verlieren? Nein, sagen die Wissenschaftler und begründen es unter anderem mit der Prozedur, wie ihre Abteilung mit Aufgaben beauftragt wird. Ein Abgeordneter stellt einen Antrag, dass die Wissenschaftsabteilung sich mit einem bestimmten Thema oder einer spezifischen Frage zu einem Thema beschäftigen soll. Diese Anfrage wird dann in der „Conférence des présidents“ diskutiert. „Wenn sie der Anfrage nachkommen, bedeutet das ja, dass es einen politischen Konsens gibt“, so Christian Penny. So wird verhindert, dass die Wissenschaftler von einer Partei für eine politische Agenda instrumentalisiert werden. „Außerdem kommen wir alle aus dem akademischen Bereich und die Unabhängigkeit der Wissenschaft ist für uns sehr wichtig.“
Guter Austausch
Die Mitglieder der „Cellule scientifique“ können zudem dem Parlament auch eigene Vorschläge für Recherchen unterbreiten. „Aufgrund der vielen Aufträge, die wir ohnehin haben, kommt das nicht ganz häufig vor, aber die Möglichkeit besteht“, so Penny. Neben den Gutachten, der Netzwerkpflege und der Organisation von größeren Veranstaltungen, beraten die Wissenschaftler auch den Chamber-Präsidenten. Insgesamt gebe es einen sehr guten und direkten Austausch mit den Parlamentariern, sind sich alle einig.
Momentan ist die Abteilung noch an das Generalsekretariat angegliedert, soll aber bald eigenständig werden. Nach drei Jahren ist der Wissenschaftsdienst dabei, sich weiterzuentwickeln. Seinen festen Platz in der Chamber hat er aber bereits gefunden und trägt einen Teil zur Professionalisierung des Parlaments bei.
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