Einmaleins der neuen Rechten / Wie die ADR die Grenzen des Sagbaren auslotet
Ein Facebook-Eintrag, Hasskommentare, viel Empörung. So lässt sich das Wochenende für die ADR zusammenfassen. Am Montag kam dann noch eine Rüge hinzu und ein Rücktritt der für den Onlinebeitrag verantwortlichen ADR-Vizepräsidentin Sylvie Mischel. Ein rassistischer Einzelfall und ein Missverständnis demnach? Ganz so einfach ist das nicht – auch wenn die ADR das glauben lassen möchte.
Auf den ersten Blick könnte der Eindruck entstehen, die ADR habe sich noch rechtzeitig aus der Facebook-Affäre um einen Eintrag ihrer Vizepräsidentin Sylvie Mischel herausgewunden. Mischel trat am Montag von all ihren Parteiämtern zurück, nachdem der öffentliche Druck nach einem von vielen als rassistisch kritisierten Post Mischels auf die Partei zu groß geworden war.
Mischel hätte es um ein Haar noch schlimmer getroffen. Ebenfalls am Montag wurde sie von ihrem Arbeitgeber, der Luxemburger Zentralbank, für ihren Facebook-Auftritt gerügt – was in der Arbeitswelt als Schuss vor den Bug gedeutet werden darf, als letzte Warnung. Insider-Informationen zufolge lag der Vorschlag, eine Kündigungsprozedur der Staatsbeamtin in der Fonctionnaire-Karriere anzustoßen, durchaus auf dem Tisch, wurde schlussendlich aber verworfen. Sylvie Mischel hatte zuvor auf Facebook wie auch auf dem Business-Netzwerk LinkedIn alle Angaben zu ihrem Arbeitgeber entfernt.
Sylvie Mischel scheint also noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Die ADR in der öffentlichen Wahrnehmung wohl auch, sieht es doch jetzt so aus, als würde die Partei sich von dem von Mischel online gestellten Foto distanzieren. Was aber nicht der Fall ist.
Märtyrerin Mischel und die bösen Anhänger
Das Foto zeigt Außenminister Jean Asselborn mit aus Niger nach Luxemburg im Rahmen des EU-Resettlement-Programms eingeflogenen Flüchtlingen in der „Millebaach“. Dazu der Schriftzug: „Der LSAP hiert éischt Walplakat 2023“. Der dazugehörige Text war eine Kritik an der Migrationspolitik der Luxemburger Regierung. Die ADR-Politikerin schürte so den Sozialchauvinismus, indem sie die für Flüchtlinge verwendeten staatlichen Ausgaben mit jenen für Sozialfälle in Luxemburg in einen Topf wirft – ein bei radikal rechten Parteien Europas und darüber hinaus beliebtes Muster zur gesellschaftlichen Aufstachelung.
In der Pressemitteilung der ADR findet sich keine Distanzierung von dem Posting – Mischel wird vielmehr als Märtyrerin dargestellt, die freiwillig von ihren Ämtern zurückgetreten sei, um ein Zeichen zu setzen gegen die Hasskommentare, die schnell und zahlreich unter ihrem Foto-Beitrag erschienen waren. In der Mitteilung heißt es: „Besonnesch d’Madame Sylvie Mischel huet dës Entwécklung kritiséiert a wëll e kloert Zeeche setzen.“ Deswegen lege sie ihre Ämter „fir de Moment“ nieder, „fir kloer ze maachen, datt weder si perséinlech nach d’ADR als Plattform fir niddreg Gefiller kënne mëssbraucht ginn“ – als wäre das Foto einer am rechten Rand der ADR zu verortenden Politikerin, das vor allem junge afrikanische Männer zeigt, die neu in Luxemburg angekommen sind, nicht genau das: eine Einladung, die eigenen „niddreg“ Gefühle mal so richtig rauszulassen.
Unser Rassismus, deren Rassismus
Die ADR distanziert sich also vom Rassismus ihrer Anhänger, nicht aber von dem Rassismus, das dem Posting ihrer (mittlerweile) ehemaligen Präsidentin der ADR-Fraen zugrundeliegt. Das Verfremden des Fotos und damit die vermittelte Botschaft werden als Satire abgetan.
In der Pressemitteilung lässt die ADR auch an anderer Stelle durchblicken, dass sie nicht gewillt scheint, den unter Fernand Kartheiser eingeschlagenen Kurs nach rechtsaußen abzubremsen, und schreibt vom „Här Asselborn zesumme mat Migranten aus dem Niger“. Der Begriff „Migranten“ ist wohl mit Bedacht gewählt wegen der negativen Konnotation des Begriffs „Wirtschaftsmigranten“. Dabei sind die Menschen, die jetzt aus Niger kommen (zumeist stammen sie aus Eritrea, Somalia oder Sudan) anerkannte Flüchtlinge – sie bestiegen das Flugzeug in Niger mit einer von Luxemburger Behörden ausgestellten Aufenthaltsgenehmigung in der Hand.
Beim sogenannten Resettlement-Programm haben sich Staaten der EU dazu bekannt, von den Vereinten Nationen aus libyschen Flüchtlingscamps befreite Personen bei sich aufzunehmen. Diese wurden von UN-Organisationen bereits dahingehend überprüft, ob sie ein Anrecht auf internationalen Schutz haben. Nach nochmaliger Prüfung durch Luxemburger Behörden konnten diese Menschen legal nach Luxemburg einreisen.
Erstaunen in der Opferrolle
Trotzdem pocht die ADR wenige Zeilen später darauf, „all Mëssbrauch vum Asylrecht“ abzulehnen – im Wissen, dass auch die anderen Parteien Missbrauch ablehnen und dass es sich in besagtem Fall nicht um einen Missbrauch des Asylrechts handelt. So wird die rassistische Flamme am Lodern gehalten – und nicht gelöscht, wie Mischels Autodegradierung suggerieren könnte.
Prominente Vertreter der ADR haben dieses Spiel nach der Mischel-Affäre nahe an der Perfektion gespielt. Was aber nicht wundern darf, gehört diese Vorgehensweise zum kleinen Einmaleins aller rechtspopulistischen oder radikal rechten Parteien Europas. Vereinfacht geht es so: Einer provoziert und testet die Grenzen des Sagbaren aus, dann wird die öffentliche Reaktion abgewartet, später ist es meist der Parteipräsident, der wahlweise beschwichtigt oder auf Distanz geht. In diesem Fall sagt ADR-Präsident Jean Schoos gegenüber RTL, für ihn gehöre ein solcher Facebook-Beitrag nicht mehr zum normalen politischen Diskurs, „mat mir gëtt et dat net“.
Auch die beiden ADR-Abgeordneten Fernand Kartheiser und Gaston Gibéryen, die Mischels Post auf Facebook geteilt beziehungsweise gelikt haben, wollten sich in der Öffentlichkeit rasch aller Sympathie-Verdächtigungen für den Post entledigen. Gibéryen sagte dem Tageblatt gegenüber, er like prinzipiell alles von der ADR auf Facebook. Abends habe er dann einen Anruf von Parteipräsident Schoos erhalten, der ihn gefragt habe, ob er wisse, was da eigentlich steht. „Daraufhin habe ich meinen Like entfernt“, so Gibéryen. Kartheiser wiederum habe den Post wegen seiner privaten Beziehung zu Mischel geteilt, erklärt ADR-Präsident Schoos. Schon waren alle Hände in Unschuld gewaschen – bis zum nächsten rassistischen Ausreißer.
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