Politik / Wie die Europawahlen manipuliert werden sollen
Zur Jahreswende hatten Digitalexperten davor gewarnt, der Europawahlkampf könne von Desinformationskampagnen und Falschnachrichten beeinflusst werden. Kurz vor dem Start der Abstimmungen zeigt sich: Genau so ist es gekommen.
Die Traktoren rollen wieder an diesem Dienstag in Brüssel. Im Schatten des berühmten Atomiums nimmt der „Bauernprotest“ Aufstellung für eine weitere Medieninszenierung. Doch schnell ist recherchiert, dass sich wichtige Bauernverbände von dem Ereignis distanzieren. Denn große Teile der Teilnehmer sind in die rechtspopulistische Szene hinein vernetzt. Ihre Kampfansage an grüne Landwirtschaftspolitik in der EU ist ein weiteres Beispiel für die Versuche, die Meinungsbildung der 350 Millionen Wahlberechtigten zu den Donnerstag beginnenden zehnten Direktwahlen zum Europaparlament zu manipulieren. Am Brüsseler Monument zeigt sich jedoch nur die Spitze des Eisberges.
Bereits vor Beginn des Wahlkampfes hatte das Auswärtige Amt 50.000 gefälschte Nutzerkonten auf der Onlineplattform X enttarnt, über die mehr als eine Million Tweets abgesetzt worden waren, um Stimmung gegen die Ukraine-Unterstützung Deutschlands zu machen. Es folgte der Schlag gegen die „Stimme Europas“ in Tschechien. Dem Nachrichtenportal wurde vorgeworfen, ebenfalls als verlängerter Arm des Kreml Meinung in Europa zu machen und prorussische Aktivitäten mitten in den EU-Institutionen zu finanzieren und zu fördern. Kurz nach dem Schließen der Internetseite innerhalb der EU nahm sie außerhalb ihren Betrieb wieder auf: von Kasachstan aus. Das digitale Ausweichmanöver folgte dem analogen: Nach dem Stopp der Lieferung kriegswichtiger Güter aus der EU nach Russland hatten die Bestellungen jener Waren durch Kasachstan explosionsartig zugenommen.
Politiker nicht gefeit
Wie berechtigt die Warnungen vor einem Missbrauch der Künstlichen Intelligenz zur Manipulation von „Nachrichten“ sind, erfuhr AfD-Chefin Alice Weidel am Wochenende, als sie eine angebliche Pressemitteilung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser zitierte, die zuvor in AfD-affinen Accounts massenhaft verbreitet worden war. Bilder vom Mannheimer Messerattentat sollten nicht mehr verbreitet werden, weil dies der AfD nutzen könne, hatte Faesers Behörde angeblich appelliert. Allerdings war dies frei erfunden. „Da sind wir bei der Recherche einem Fake aufgesessen, was uns sehr leidtut“, schrieb Weidel auf X. Allerdings wurden die Passage der Wahlkampfrede Weidels und auch die gefälschte Pressemitteilung munter weiter geteilt.
Bereits vor Monaten hatte die EU-Agentur für Cybersicherheit vor den Gefahren gewarnt, die mit Desinformationskampagnen insbesondere zu den Themen Ukraine, Klima, Migration, Energiepreise und Gender verbunden sind, wenn damit die Wähler unterschwellig verunsichert und ihre Wahlentscheidung beeinflusst werden soll. Mit dem Herannahen des Wahltermins nehmen auch Falschbehauptungen zu den Wahlen selbst zu. So beobachten Faktenprüfer der Correctiv-Plattform vermehrt irreführende „Informationen“ zur Stimmabgabe. Um Wahlfälschungen zu verhindern, sollten die Stimmzettel unterschrieben werden, heißt es etwa – was die Stimme ungültig macht. Es könnten drei Kreuze gemacht oder Kandidaten gestrichen werden – mit demselben Effekt. Und auch Meldungen, wonach manipulierte Stimmzettel an einem Loch in einer Ecke oder dem Fehlen einer Ecke erkannt werden könnten, besagt das Gegenteil der Wahrheit: Denn damit soll Blinden lediglich das Wählen erleichtert werden.
„Desinformation ist ein globales Problem geworden, weil Menschen gezielt verunsichert werden, um Demokratien zu schwächen“, stellt die Grünen-Digitalexpertin Alexandra Geese fest. Durch Desinformation schwinde der Rückhalt für gemeinsame Ziele wie Demokratie und Klimaschutz, wüchsen stattdessen Misstrauen und Empörung. „Alle, die ein Interesse an der Destabilisierung Europas haben – von Russland und China bis zur AfD – greifen deshalb gezielt mit Desinformationskampagnen die Europawahl an“, erläutert die Bonner Europaabgeordnete. Dabei würden sie von den Algorithmen großer Netzwerke unterstützt, die „den Lügen Flügel verleihen“. Geese setzt darauf, mithilfe des europäischen Digitale-Dienste-Gesetzes das Internet langfristig wieder zu einem Ort des Wissens und des Austausches machen zu können.
Kurzfristig zeichnet sich auch ein anderes Vorgehen ab gegen eine besonders markante Quelle massiver Desinformationskampagnen. Sie ist zwar auch staatlichen Ursprungs, sprudelt jedoch nicht in Moskau oder Peking, sondern in Budapest: Die von Viktor Orban geführte Regierung hat sich in der Schlussphase des Wahlkampfes darauf konzentriert, EVP-Chef Manfred Weber mit einer besonderen Schmutzkampagne zu überziehen. Der CSU-Politiker habe die Einführung einer europäischen Wehrpflicht gefordert, berichten ungarische Medien. Und Außenminister Peter Szijjarto unterstellte auch sogleich, damit sollten junge Europäer zum Kämpfen an die ukrainisch-russische Front gebracht werden. Schnell verwahrte sich auch Orban selbst gegen Webers angebliche Pläne, wonach „andere über das Blut von Ungarn entscheiden“ könnten. Davon stimmt – nichts.
Es passt jedoch zur antieuropäischen Stimmungsmache und zur ständigen ungarischen Blockade von EU-Beschlüssen, die die Ukraine unterstützen sollen. Vor diesem Hintergrund hat sich die belgische Ratspräsidentschaft nun entschlossen, das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn fortzusetzen. „Ich denke, wir müssen den Mut haben, Entscheidungen zu treffen“, sagte Belgiens Außenministerin Hadja Lahbib und erwähnte ausdrücklich die Konsequenz, Ungarn das Stimmrecht zu entziehen. Knapp einen Monat vor Übergabe der EU-Ratspräsidentschaft von Belgien an Ungarn ist das ein beispielloses Vorgehen.
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