US-Wahlen / Wie die Lokaljournalisten Kayla und Micah gegen die Polarisierung ankämpfen
Am Dienstag wird in den USA ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt. Wie in den vergangenen Kampagnen spaltet der Wahlkampf das Land. Zwei Lokaljournalisten berichten, wie sie diese Spaltung erleben und wie sie tagtäglich dagegen vorgehen.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.“ Micah wirkt auf einmal nachdenklich, als er danach gefragt wird, ob die Demokratie in den USA in Gefahr sei. Eine klare Antwort hat er nicht, ebenso wenig wie Kayla. „Ich weiß es auch nicht, aber ich habe Angst davor. Donald Trump hat im Wahlkampf einige Dinge gesagt, die mich nervös machen.“ Beide sind aber überzeugt, dass es wieder einmal ein Test für die Demokratie ist. Kayla und Micah Green arbeiten als Lokaljournalisten in Alabama und South Carolina. Sie gehören zur Führung der Gulf Coast Media Gruppe, die verschiedene Lokalzeitungen herausbringt.
Die US-amerikanische Gesellschaft ist seit Jahren gespalten. Das zeigt sich im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf erneut. Die Fronten bleiben verhärtet. Ganz gleich welche noch so abstrusen, an den Haaren herbeigezogene Theorien Trump von sich gibt, seine Wählerschaft scheint ihm treu zu bleiben.
So richtig verstärkt habe sich die Spaltung der Gesellschaft 2016, als Trump das erste Mal zum Präsidenten gewählt wurde, sagt Micah. Er und Kayla, die seit rund 15 Jahren als Lokaljournalisten aktiv sind, berichten zwar nicht direkt über die Präsidentschaftswahlen, über das Duell zwischen dem Republikaner Donald Trump und der Demokratin Kamala Harris, aber sie sind sehr nah an ihren Lesern und damit den Bürgern in ihren Landkreisen dran.
Fake News werden Mainstream
Kayla und Micah glauben fest an die Wichtigkeit des Lokaljournalismus für eine Gesellschaft. „Seit 2005 sehen wir, wie immer mehr lokale Zeitungen verschwinden und es gibt mittlerweile Studien darüber, dass in diesen Nachrichtenwüsten Korruption zunimmt und die Menschen sich nicht mit ihrer Gemeinschaft identifizieren. Nur weil es keine Zeitungen mehr gibt, verschwinden die Nachrichten ja nicht“, sagt Kayla. In den vergangenen 20 Jahren mussten 3.000 Lokalzeitungen schließen, heute gibt es 43.000 Lokaljournalisten weniger, die über die Alltagsprobleme der Menschen schreiben. Und der Trend geht weiter. „Wenn es ein Informationsvakuum gibt, wird etwas kommen und es füllen. Das waren in den vergangenen Jahren Fake News und Missinformation“, sagt Micah. Für lokale Medien sei es schwierig, gegen deren Verbreitung auf sozialen Medien anzukämpfen.
Wenn ich sage, ich komme von der lokalen Zeitung, dann nimmt das den Leuten meistens die Skepsis wegLokaljournalist und Fotograf
Da es in immer mehr Teilen der USA keine Lokaljournalisten mehr gibt, bleibt vielen Menschen, neben den sozialen Medien, nur noch die nationalen Nachrichten und die nationale Politik, um sich zu informieren. In Kaylas Augen trägt dies zur weiteren Polarisierung der Gesellschaft bei. „Als Lokaljournalisten ist es natürlich unsere Aufgabe, die lokale und regionale Politik zu kontrollieren. Es ist aber auch unsere Aufgabe, das Leben in den jeweiligen Gemeinschaften zu beleuchten, zu pflegen und zu feiern. Das ist etwas, was nationale Zeitungen oder Fernsehsender nicht bieten können, was aber für das Funktionieren einer Gesellschaft sehr wichtig ist“, sagt Kayla. Für die beiden geht es darum, hervorzuheben, was die Menschen in einer Gemeinde, einem Landkreis verbindet. „Und das dürfen dann auch schon mal positive News aus der Nachbarschaft sein, um der allgemeinen Untergangsstimmung entgegenzuwirken“, erklärt Kayla.
Vor allem das Ende der Trump-Präsidentschaft und der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 habe die Situation noch einmal verschlimmert. Es war die Zeit, in der Verschwörungstheorien durch Gruppierungen wie QAnon in den Mainstream gelangten. Welche Folgen das haben kann, zeigte sich zuletzt nach Hurrikan Helen in North Carolina. Dort wurde ein Helfer der staatlichen Notfallhilfe angegriffen, weil sich die Verschwörungstheorie verbreitete, dass der Staat nun versuchen würde, den Menschen dort das Land wegzunehmen, um an Bodenschätze zu gelangen. Dass sich dieser Vorfall in einer sogenannten Nachrichtenwüste abspielte, ist für Micah kein Zufall.
Von Nachahmen bis Ablehnung
Zwar berichten die Lokalzeitungen von Gulf Coast Media nicht direkt über nationale Politik, aber man habe „eine lokale Verbindung zur nationalen Politik“, wie Kayla es beschreibt. Alabama und South Carolina, die beiden Bundesstaaten, in denen Gulf Coast Media vertreten ist, gelten als tiefrote, also republikanische Staaten. Die allgemeine Stimmung im Land schlage sich bis auf die lokale Ebene durch. Es komme in ihrer täglichen Arbeit mal zu Anfeindungen, allerdings sehen Kayla und Micah nicht die gleiche Feindseligkeit gegen lokale Medien wie gegen nationale Medien. „Wenn ich sage, ich komme von der lokalen Zeitung, dann nimmt das den Leuten meistens die Skepsis weg“, sagt Micah.
Die nationale Politik hat nicht nur einen Einfluss auf die Stimmung der Bürger, sondern auch auf die lokalen Politiker. Nach Trumps Wahlerfolg 2016 gab es einige Lokalpolitiker, die seine Strategie nachahmten. Nach der Wahl 2020 haben Kayla und Micah diesen Trickle-down-Effekt nicht mehr wahrgenommen. „Im Gegenteil, man verspürte eher eine Ablehnung gegenüber Trumps Ideen“, sagt Kayla. Nun aber sei er wieder auf dem Vormarsch. Kayla und Micah können sich gut vorstellen, dass es im Falle eines Sieges von Trump wieder zu Nachahmern auf lokaler Ebene kommt. So findet die nationale Politik Einzug in das alltägliche Leben der Menschen. „Da kommen wir dann ins Spiel“, sagt Kayla.
Mir ist klargeworden, dass einige der wichtigsten Themen von ganz normalen Menschen handeln können, die ganz normale Dinge tunLokaljournalistin
Als in Washington über Abtreibung diskutiert wurde, haben sie und Micah Kliniken in ihrer Umgebung besucht und mit den Menschen gesprochen, die direkt von einem Abtreibungsverbot betroffen sind. „Wir konzentrieren uns auf die Dinge, die unseren Alltag direkt betreffen. Dadurch, dass wir direkt mit betroffenen Menschen aus unserem Landkreis sprechen, nehmen unsere Leser die Dinge auch gleich ganz anders wahr, als wenn es bloß um nationale Zahlen und Statistiken geht“, erklärt Micah.
Die Greens sind von der Wichtigkeit des Lokaljournalismus für die amerikanische Gesellschaft überzeugt. Sie haben ihre Berufung gefunden. „Natürlich träumt jeder Journalist zu Beginn seiner Karriere davon, die nächste Watergate-Affäre aufzudecken. Aber mir ist klargeworden, dass einige der wichtigsten Themen von ganz normalen Menschen handeln können, die ganz normale Dinge tun“, sagt Kayla. „Ich bin froh, diese Geschichten unseren Lesern vermitteln zu können, auch wenn sich die Leserschaft nur auf einen Landkreis oder eine Stadt begrenzt“, fügt Micah hinzu. Beide haben das Gefühl, durch ihre Tätigkeit als Lokaljournalisten ein erfüllteres Leben zu führen. Und zudem tragen sie ihren Teil dazu bei, dass die USA den erneuten Test für ihre Demokratie bestehen können.
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