Rousegäertchen / Wie ein emblematischer Platz entstanden ist
Die place des Martyrs oder „Rousegäertchen“ zeigt sich augenblicklich nicht von ihrer schönsten Seite. Doch dies wird sich sicherlich bis Jahresfrist ändern, da nach der Anpassung des unterirdischen Parkhauses an die neuesten Sicherheitsnormen der französische Garten restauriert und punktuell neugestaltet wird. Dieser herrliche Garten inmitten des Bahnhofsviertels war ursprünglich nicht vorgesehen.
Der Name place des Martyrs erinnert an sämtliche Opfer des Zweiten Weltkrieges. Rosenplatz und Beethovenplatz sind ältere Bezeichnungen für diesen beliebten Platz. Ein Blick zurück in die Geschichte seiner Entstehung erlaubt es, ihn mit neuen Augen zu entdecken.
Das Plateau Bourbon war vor der Schleifung der Festung (1867) talwärts von Fort Bourbon und Fort Elisabeth begrenzt. Sie gehörten zum mittleren Verteidigungsring der Südfront (Front de Thionville) und waren größtenteils im 17. und 18. Jahrhundert gebaut worden. Ihnen war das Festungsrayon vorgelagert, wo die Errichtung von Festbauten untersagt war.
Nach der Auflösung der Festung setzte die Schleifung dieser beiden Werke 1871-1875 ein. Die place des Martyrs befindet sich im Festungsbereich, war aber nicht mit Festungswerken überbaut. Mit der Auflösung der Festung kam das ehemalige Militärareal in den Besitz des Staates. Auf Anhöhe der heutigen rue Sainte-Zithe verlief in Zick-Zack-Form die Grenze zur Gemeinde Hollerich. Sie folgte einem gewöhnlichen Feldweg. Der untere Teil des Plateau Bourbon, auch Ober-Petruss genannt, befand sich in privatem Besitz und die damaligen Grundstücke dienten als Felder. Erst 1888 ließen sich hier die Karmeliterschwestern nieder (heute Zitha-Klinik), gefolgt 1890 von der Weinhandlung „Fabrique germano-belge“.
Die Einführung der Straßenbahn im Jahre 1875 hatte zu Engpässen auf dem damaligen, nur sieben Meter breiten Viadukt geführt. Die Diskussionen zur Verlängerung der Eisenbahnline Remich-Luxemburg bis zum Bastion Berlaimont am Boulevard Royal verstärkten die Forderungen nach einem zweiten Brückenbau, ebenso wie der Vorschlag, auf Plateau Bourbon einen Bahnhof zu errichten. Das ehemalige Festungsareal auf Plateau Bourbon könnte so als Industriegelände genutzt werden. 1882 wurde die Eisenbahnlinie nach Remich nur bis zum heutigen Bahnhof gebaut. 1887 und 1891 wurde der Bau eines Bahnhofs im Zentrum des Plateaus studiert. 1897 wurde schließlich das Gesetz zum Bau einer Eisenbahnlinie nach Echternach angenommen. Dazu gehörte der Bau des heutigen Pont Adolphe. Der Grundstein der „Neuen Brücke“ wurde am 14. Juli 1900 gelegt, das Bauwerk wurde 1903 dem Verkehr übergeben. Ab 1904, bis 1954 fuhr die Schmalspurbahn Charly über den Pont Adolphe, ihm folgte 1908 bis 1961 die elektrische Straßenbahn.
Die Planungen zur Bebauung des Plateau Bourbon zogen sich über mehrere Jahre hin. Der französische Landschaftsingenieur, welcher den Entwicklungsplan der Stadt Luxemburg 1873 entworfen hatte, aber auch der deutsche Baurat Josef Stübben sowie der Luxemburger Chef-Ingenieur der Straßenbauverwaltung, Jean Worré, hatten der Regierung dazu mehrere Pläne vorgelegt. Die Diskussionen wurden zum Teil sehr emotional geführt. Erste Entwürfe sahen den Bau einer 52 Meter breiten avenue de la Liberté vor. Die Projekte wurden als zu groß für Luxemburg abgetan, und man einigte sich schließlich auf 30 Meter Straßenbreite. Überzeugender wirkt dabei ein Blick auf das verfügbare Bauareal, das durch den Talrand begrenzt ist.
Eine 52 Meter breite Avenue hätte zu viel ertragreiches Bauland geopfert, und die Bebauung des Viertels wäre für den Staat unrentabel geworden. Ebenso die Diskussion um die Bebauung entlang des neuen Straßenzuges mit Einfamilienhäusern. Die avenue de la Liberté sollte auf die Oberstadt vorbereiten und eine stärkere Bevölkerungsdichte aufzeigen. Auch diese Entscheidung zeigt vom wirtschaftlichen Interesse des Vorhabens.
Entwicklungspole schaffen
Um das Viertel zu beleben, mussten Anziehungspunkte geschaffen werden. Am Brückenkopf war ein monumentaler Platz vorgesehen, welcher schließlich als Halbkreis (place de Metz) angelegt wurde. Am oberen Teil der Avenue, wo sich bereits entlang der rue du Fort Elisabeth und der rue Jean Origer mehrere Häuser befanden, wurde die place de Paris angelegt.
Der Bau einer Kirche für das Bahnhofsviertel war auf Hollericher Gebiet, am Ende der Michel-Rodange-Straße vorgeschlagen worden. Der sakrale Bau hätte in der Sichtachse eines Nationalmuseums gestanden, für welchen der Staat 1902 Pläne vorgelegt hatte. Aufgrund von Uneinstimmigkeiten zwischen Staat und Stadt sowie des Protests der Geschäftswelt der Oberstadt, war das Projekt an diesem Platz erstmal auf Eis gelegt worden. Weitere Standorte auf dem Stadtgebiet wurden anschließend analysiert. Der Bebauungsplan von 1906 bestimmte das zentrale Grundstück des Plateau Bourbon als Bauplatz für ein öffentliches Gebäude. Ihm sollte eine place de l’Étoile vorgelagert werden, die heutige place des Martyrs. Dann wurde diese Option wieder fallen gelassen, und das Areal als „reservierter Baublock“ bezeichnet. 1906 wurde der Bebauungsplan zur Erschließung des Plateau Bourbon angenommen.
Bei der Bebauung kaum 20 Jahre später, wurde der Plan jedoch mit einigen Änderungen umgesetzt. Dabei wurden die Grenzen zwischen Hollerich und Luxemburg entlang der neu angelegten rue Sainte-Zithe neu festgelegt. Die Geschäftsleute der Oberstadt und der avenue de la Liberté forderten nun bei der Regierung, dass die Bebauung der neuen Verbindungsstraße zwischen dem Bahnhof und dem westlichen Teil der Oberstadt dem Handel keine weitere Konkurrenz schaffen durfte.
Staatsminister Paul Eyschen traf in diesem Sinne eine wesentliche Entscheidung: Unternehmen mit hohem Einkommen sollten eine einkommensstarke Bevölkerung anziehen. Arbeitsplätze und neue Einwohner sollten die bestehende Geschäftswelt unterstützen. So überzeugte er die Sparkassenverwaltung und den Verwaltungsrat der Eisenbahngesellschaft sowie die Gesellschaft der Sozialversicherungen, sich entlang der damaligen avenue de la Liberté und der rue Sainte-Zithe niederzulassen. 1917, nach Eyschens Tod, wollte die Regierung den zentralen Bauplatz am Talrand für den Bau eines Gerichtspalastes nutzen. Aber auch hier gab es heftigen Widerstand der Geschäftswelt, welche befürchtete, der Umzug der Magistratur aus der Altstadt führe zum Ruin des dortigen Handels. Der Plan wurde fallen gelassen, und das Grundstück den vereinigten Eisenhütten von Burbach-Eich-Düdelingen (Arbed) angeboten.
Die „Aciéries réunies“ kauften 1920 den Baugrund und errichteten hier ihren zentralen Sitz. Die Stärke eines Wirtschaftsstandorts misst sich ebenfalls an der Zahl und Wichtigkeit von Unternehmenssitzen. Die Eisenhütten-Gesellschaft hatte geplant, ihrem Gebäude einen Park vorzulegen, der sich zwischen der rue Goethe und der rue Lessing (heute rue de la Grève) erstrecken sollte. Diese Anfrage wurde jedoch verworfen aufgrund der Nähe zum Petrusstal, welches damals zum Stadtpark umgestaltet wurde.
Brache – Beethovenplatz – Rosengarten
Das Areal gegenüber dem Sitz der Arbed blieb zunächst brach liegen. Die Beethoven- und Schiller-Straßen säumten das freiliegende Areal. Der Bau des Arbed-Palastes war 1922 abgeschlossen, die Eckbauten an der avenue de la Liberté waren gleich nach dem Bau des Arbed-Sitzes in den Jahren 1922 bis 1926 errichtet worden. Die Bebauung der heutigen rue du Plébiscite und der rue de la Grève erfolgte in den späten 20er Jahren, respektive zu Beginn der 30er Jahre.
Die Regierung hatte vor, das Grundstück vor der Arbed mit Wohnungen zu bebauen. Diskutiert wurde, ob man das Areal, das hin und wieder Beethovenplatz genannt wurde, nicht in zwei Hälften aufteilen könnte, um die rue Michel Rodange direkt auf den Arbed-Palast zuzuführen. Die Tiefe des verbleibenden Areals war jedoch ungenügend zur Aufnahme von Ertragshäusern. Die Größe ihrer Binnenhöfe hätte nicht den hygienischen Normen entsprochen. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 hatte zur Verzögerung der Bebauung des Platzes beigetragen. Inzwischen wurde das Grundstück spontan für größere Veranstaltungen genutzt, dann diente es, zum großen Ärger des Chronisten Batty Weber, als Bauschuttplatz der Straßenbauverwaltung.
1931/32 wurden hier die Steine zur Errichtung der Église du Sacré-Cœur gelagert und behauen. Erst 1937 beauftragte die Regierung den Landschaftsgestalter Henri Luja damit, das brachliegende Areal als Rosengarten umzugestalten. Die Herausforderung war groß: avenue de la Liberté und Zitha-Straße laufen nicht parallel zueinander. Die Bebauung entlang der Zitha-Straße war unregelmäßig, zum Teil Blockrandbebauung, zum Teil mit Vorgarten, zum Teil gelockerte Bauweise. Die bis 1920 zu Hollerich gehörende Straßenseite war nicht vom Bebauungsplan des Plateau Bourbon betroffen gewesen. Die rue de la Renaissance (heute in den Bau der Sparkasse integriert) war eine Privat-Straße, welche sich quer durch das Areal, parallel zur Michel-Rodange-Straße, zog.
Vom Rosengarten zum Parkhaus
Die qualitative Bebauung entlang der rue du Plébiscite und der rue de la Grève unterscheidet sich wesentlich von den Bauten entlang der avenue de la Liberté, wo strengere Vorschriften galten. Die Längsseiten der zukünftigen place des Martyrs waren als einfache Nebenstraßen und Wohnstraßen geplant gewesen. Sie sollten mit Häusern mit höchstens zwei Stockwerken bebaut werden, damit beide Straßenseiten über eine ausreichende Beleuchtung verfügten. Durch das nun frei gebliebene, zum Rosengarten umgestaltete Bauland blieben die Häuser entlang des Platzes im Maßstab zu klein, um einen solch geräumigen Platz zu säumen, und in ihrer Ausführung zu bescheiden. Die Blumenanlage sollte all diese Makel vertuschen.
Man war stolz auf den Platz, aber nicht unbedingt zufrieden damit. Das Verwaltungsgebäude der Arbed und die Rosenanlagen wirken als Unterbrechung mitten in der avenue de la Liberté, auch wenn sie aufgrund ihrer Gestaltung 1994 mit ins Unesco-Perimeter aufgenommen wurden. 1963 verlangte der lokale Interessenverein die Aufstellung eines Denkmals zu Ehren der Erfinder des Thomas-Gilchrist-Verfahrens zur Stahl-Erzeugung. Die avenue de la Liberté wurde nach dem Abbau der Straßenbahn (1962/63) neu angelegt und die Lindenbäume durch Kirschbäume und Platanen ersetzt.
Später schlug der Verein vor, hier einen Muschelkiosk und Springbrunnen zu errichten, um das Viertel stärker zu beleben. 1970 wurde die Forderung gestellt, hier ein Parkhaus zu bauen. Zwei private Projekte zum Bau eines Parkhauses in der avenue de la Gare und der rue Jean Origer befanden sich damals im Gespräch. Schließlich wurde sich für den Bau des Parkhauses an der place des Martyrs entschieden. Das Projekt betraf kein privates Grundstück, und die Baustelle störte nicht den lokalen Handel. Das Parkhaus ist in großer Nähe zu den Einkaufsstraßen und besonders zu den vielen Arbeitsplätzen, welche sich zwischen der place de Metz und place de Paris befinden. Der Bau des Parkhauses wurde 1980 ausgeschrieben und 1982 fand die Eröffnung statt.
Der Platz wurde damals nach altem Muster neu angelegt. Der Lindenbaum-Vorhang entlang der rue Sainte-Zithe wurde entfernt. Luja hatte diesen angelegt, um die städtebaulichen Unregelmäßigkeiten zu verdecken. 2001 wurde das Kunstwerk „Mother and Child“ (1983) des britischen Künstlers Henry Moore als Zentralfigur der Treppe am Eingang des Platzes aufgestellt. 2023 wurde es während der Bauarbeiten zeitweilig auf den Vorplatz der Bahnhofskirche gestellt.
2018-2020 wurde anlässlich der Bauarbeiten zur Straßenbahn die avenue de la Liberté neu mit nur hochstämmigen Platanen bepflanzt. Dabei wurde auf die symmetrische Aufteilung der Bäume im Straßenraum sehr geachtet. 2019 entstand ein Autobrand in der Parkgarage, welche anschließend geschlossen wurde. Das Parkhaus wurde bei den Sicherungsarbeiten allen aktuellen Normen angepasst und die Zugänge barrierefreier gestaltet. Die Neugestaltung der Anlage führt die Stadt Luxemburg in Zusammenarbeit mit WWW+, dem „Institut national du patrimoine architectural“ und dem Unesco-Beauftragten des Kulturministeriums durch.
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